Wahl ohne Qual
Sanfte Anstupser für eine höhere Wahlbeteiligung

Wie bringt man mehr Menschen in die Wahlurne, ohne finanzielle Anreize oder Strafen einsetzen zu müssen? Diese Frage beantwortet Richard Sturn im Gespräch mit MeinBezirk.at. | Foto: Tzivanopoulos/Uni Graz
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  • Wie bringt man mehr Menschen in die Wahlurne, ohne finanzielle Anreize oder Strafen einsetzen zu müssen? Diese Frage beantwortet Richard Sturn im Gespräch mit MeinBezirk.at.
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Unter Nudging, zu Deutsch sanftes Anstupsen, versteht man die Beeinflussung menschlicher Entscheidungen, ohne Verbote, Gebote oder Anreize einsetzen zu müssen. Inwiefern diese Methode auch zu einer höheren Beteiligung an demokratischen Prozessen führen kann, weiß Richard Sturn, Ökonom an der Uni Graz. 

GRAZ. Schenkt man den Befragungen für das Demokratie-Radar Glauben, steckt die Demokratie in einer tiefen Krise. Die Ergebnisse dieser Polit-Studie, die von den Universitäten Graz und Krems in regelmäßigen Abständen durchgeführt wird, legen nämlich nahe, dass gerade junge Menschen die Demokratie nicht mehr für die beste Regierungsform halten und sich kaum für die Politik in Österreich interessieren. 

Kleine Anstupser können oft eine große Wirkung nach sich ziehen: Was für das Dominospiel gilt, lässt sich auch auf die Demokratiebeteiligung übertragen.  | Foto: Unsplash/rur
  • Kleine Anstupser können oft eine große Wirkung nach sich ziehen: Was für das Dominospiel gilt, lässt sich auch auf die Demokratiebeteiligung übertragen.
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Eine Möglichkeit, um diesen Tendenzen entgegenzuwirken und wieder mehr Menschen für die demokratische Mitbestimmung zu gewinnen, besteht darin, das erwünschte Verhalten durch "Nudging" zu fördern. Damit ist gemeint, dass zwar keine materiellen Anreize gesetzt oder Strafen angedroht werden, aber der mit einer Entscheidung verbundene Aufwand gesenkt wird.

Anstupser für den Gang in die Wahlurne

Umgelegt auf die Wahlbeteiligung bedeutet das beispielsweise, wie Ökonom Richard Sturn erläutert, dass die Wahlzeiten an die Lebensrealität angepasst werden. Dies sei ursprünglich auch der Fall gewesen, als noch große Teile der Bevölkerung am Sonntagvormittag den Weg zur Kirche nutzten, um ihre Stimme abzugeben. Mittlerweile werden an Sonntagen aber vielfach Familienausflüge unternommen, die sich mit den beschränkten Öffnungszeiten mancher Wahllokale kaum vereinbaren lassen. "Nudging" würde demnach bedeuten, die Wahlzeiten auszudehnen, auch an Werktagen wählen zu lassen oder automatisch Wahlkarten auszustellen.

Sturn geht davon aus, dass eine Anpassung der Wahlgegebenheiten an die Lebensrealitäten der Bevölkerung zu einer höheren Wahlbeteiligung führen kann.  | Foto: WU
  • Sturn geht davon aus, dass eine Anpassung der Wahlgegebenheiten an die Lebensrealitäten der Bevölkerung zu einer höheren Wahlbeteiligung führen kann.
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Aber auch die positive Hervorhebung, dass der Großteil der wahlberechtigten Bevölkerung sehr wohl von der Möglichkeit der Stimmabgabe Gebrauch macht, kann als ein derartiger Anstupser verstanden werden. Auf diese Weise werde das Wählen-Gehen als soziale Norm etabliert: "Das tut man einfach" ist somit die Botschaft, die der Bevölkerung mitgeteilt wird, wodurch Nicht-Wählen gleichzeitig als atypisches Verhalten deklassiert wird.

Klimarat als "Nudge" 

Neben der Steigerung der Wahlbeteiligung kann "Nudging" aber auch in anderen Beteiligungsprozessen dazu führen, die Partizipation zu stärken. Beispielhaft hierfür nennt Sturn etwa den Klimarat, der sich aus 100 Menschen zusammensetzt, die repräsentativ für die österreichische Bevölkerung stehen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich nicht nur Menschen aus einer sozialen Gruppe oder Alterskohorte beteiligen, sondern das gesamte Spektrum abgebildet wird. Gut funktionieren können derartige Konstellationen allerdings nur - und hier kommt das "Nudging" ins Spiel -, wenn an Versammlungen möglichst niederschwellig teilgenommen werden kann und beispielsweise auf familiäre Verpflichtungen Rücksicht genommen wird.

Der Klimarat gilt als niederschwellige Partizipationsform, da sich anstatt der Gesamtheit aller Wahlberechtigten nur ein kleiner Teil Zeit für die Versammlungen nehmen muss.  | Foto: Karo Pernegger/Klimarat
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Mit Blick auf Graz könnte daher besonders für Bürgerversammlungen auf Bezirksebene überlegt werden, wie die Entscheidung zur Teilnahme unterstützt und erleichtert werden kann. 

Abgrenzung zu Manipulation 

Gerade im Hinblick auf die Demokratie ist allerdings fraglich, inwieweit bewusstes "Nudging" betrieben werden soll: "Das eigentliche Nudging lässt sich bis zu einem gewissen Grad mit der Vorstellung eines autonomen Individuums nicht vereinbaren", erklärt Sturn. 

Auch die Frage, ab welchem Punkt anstatt von Nudging von Manipulation zu sprechen ist, sei schwierig zu beantworten. Der Ökonom differenziert daher zwischen "gutem" Nudging und "schlechter" Manipulation, wobei sich ersteres dadurch auszeichnet, dass es den Leuten hilft, das zu tun, was sie eigentlich tun möchten, wofür aber bislang die Widerstände zu groß waren. Insofern handelt es sich bei "Nudging" durchaus um eine Form der Manipulation, die aber einem guten Zweck dienlich ist.

Demgegenüber stellt Sturn die "reine" Manipulation, die schlechte Ziele verfolgt. Exemplarisch hierfür nennt der Experte etwa den Spielhöllenbetreiber, der bewusst Anreize setzt, um explizit Jugendliche anzusprechen. 

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