UniGraz_1585-tomorrow
Universität arbeitet ihre Geschichte digital auf
Mit knapp 60.000 Studierenden zählt die steirische Landeshauptstadt zum zweitgrößten Universitätsstandort Österreichs, knapp die Hälfte davon studiert an der Universität Graz. Sie werden dazu beitragen, dass die Zukunft der Wissenschaften gesichert ist – so wie es viele vor ihnen getan haben. Mit dem Projekt "UniGraz_1585-tomorrow" legt die Universität ihre Geschichte in einem digitalen Raum offen. Mit allem, was dazugehört: Akteurinnen und Akteure, Meilensteine, Brüche und Zäsuren.
GRAZ/STEIERMARK. Es ist, wie so oft in der Geschichte, einem Glaubenskampf – in diesem Fall – zu verdanken, dass sich die Welt der Wissenschaften gewandelt hat, auch in Graz. Dort, wo die Jesuiten die Bildungsstandorte übernommen hatten, setzt sich Erzherzog Karl II. für die Gründung einer katholischen Universität als Zeichen des Kampfes gegen die Gegenreformation ein. Das Ergebnis: Der Papst persönlich gab seinen Segen – und die Universität Graz wurde am 1. Jänner 1585 begründet (wenn auch erst ein Jahr später offiziell eröffnet, denn die Pest sorgte dafür, dass der Lehrbetrieb verspätet aufgenommen werden konnte).
In 438 Jahren hat nicht nur die Zeit die Lehrenden und Studierenden geprägt, die Akteurinnen und Akteure prägten auch die Universität – von der Gründung der Institute bis zu den ersten Frauen am Campus, von Erweiterungen bis zu Nobelpreisen und Umstrukturierungen. Zwischen all den Hochphasen, aus den Hörsälen hervorgegangenen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern oder Nobelpreisträgerinnen und -trägern gab es allerdings unzählige Brüche und Konflikte. Daraus ist auch die Plattform "UniGraz_1585-tomorrow" entstanden. Das Projekt soll durch die Aufarbeitung der eigenen Geschichte durchaus zum kritischen Diskurs anregen.
Eine neue Darstellungsform
Ausgangspunkt der Aufarbeitung war ein Forschungsprojekt zur Auseinandersetzung mit der kritischen Universitätsgeschichte im Hinblick auf den Nationalsozialismus, der Entnazifizierung sowie der Redemokratisierung, wie Projektleiter Gerald Lamprecht, Leiter des Centrum für Jüdische Studien, erklärt. "Es gab bereits kritische Forschungen, aber sie waren nicht ausreichend", sagt er. Man habe sich auf das Wissen von Kolleginnen und Kollegen gestützt und versucht, nicht neu, sondern aufbauend zu forschen sowie "neue Darstellungsformen zu finden" und nach außen zu tragen.
"UniGraz_1585-tomorrow" steht sowohl all jenen, die hier studieren, arbeiten, lehren als auch universitätsfremden Personen zur Verfügung. "Die Frage danach, für wen das Projekt gedacht ist, war geklärt. Wie wir Geschichte erzählen wollen, war ein anderer Punkt", sagt Lamprecht. Das Ergebnis: Das Team ist über eine bloße Zielgruppenorientierung hinausgewachsen. Bislang gibt es 623 Einträge, doch das Portal soll und darf wachsen.
Durch die Darstellung der Historie anhand diverser Zeitachsen, durch Verortung, über Objekte oder konkrete Themen und Akteurinnen und Akteure, Menschen, ermöglicht es nicht nur lineare Blickweisen. Erfahren werden kann das alles durch multimediale Beiträge, eine digitale Karte oder durch eine interaktive Zeitleiste.
Kritische Auseinandersetzung erwünscht
Wie es auch schon andere Bildungsstätten getan haben, ordnet die Universität Graz den Bruch während des Nationalsozialismus ein. Mit einem Unterschied, dass Graz nicht trennt. "UniGraz_1585-tomorrow" bettet das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ein und zeigt Lehrende und Studierende – wobei bei der Gruppe der rund 50 Studierenden nur jene angeführt werden konnten, die sich bei der Inskription als "jüdisch", "israelitisch" oder "mosaisch" definierten.
Aufgeteilt ist die Gruppe in jene, die bis zum Studienjahr 1937/38 inskribiert und vertrieben wurden, bis zum Sommersemester 1938 weiterstudieren durften und die, die nach der ha'Schoah zu ihrer Alma Mater zurückkehrten. "Wir gehen von mehr aus und mussten uns der Frage stellen, was es heißt, ein 'Vertriebener' zu sein. Viele Biografien verlaufen sich, weil nach der Vertreibung nur noch wenig zur Person bekannt ist. Andere Biografien sind gut erschlossen", sagt Projektmitarbeiter Marco Jandl. "Viele haben die Universität auch verlassen. Die Geschichte kann also weitergeschrieben werden", so Lamprecht.
Die Auseinandersetzung mit dem Leben an und mit der Universität und dem nationalsozialistischen Regime zeigt den Mikrokosmos dieser Zeit. Arierinnen und Arier und Jüdinnen und Juden – im Sinne der Rassenideologie – haben nebeneinander gelehrt, gelernt und gearbeitet. Ein gutes Beispiel dafür ist die Promotionsurkunde der Gisela Kaufmann (der jüdischen Studentin, geboren und aufgewachsen in Graz, wurden noch am 6. Juli 1938 die Doktorwürde verliehen). Auf dieser sind die Namen von Hans Reichelt – der nach dem Anschluss Österreichs als Rektor eingesetzt wurde –, Karl Polheim – zum damaligen Zeitpunkt noch Dekan der Philosophischen Fakultät, später Rektor, Mitglied der NSDAP – und Physiker Erwin Schrödinger – dem am 26. August 1938 aufgrund "politischer Unzuverlässigkeit" die Lehrbefugnis entzogen wurde – zu lesen.
- "UniGraz_1585-tomorrow" ist ein Projekt im Auftrag des Rektorats der Universität, durchgeführt vom Centrum für Jüdische Studien in Kooperation mit den Universitätsmuseen, dem Universitätsarchiv, der Universitätsbibliothek und der Abteilung Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.
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