Unterwegs mit wilden Wölfen: Grazer Biologin im Interview
Gudrun Pflüger wurde in ein Wolfsrudel aufgenommen: Die Wildbiologin über „Fritzi“ und unsere Angst vor dem Fremden.
Sie haben in Kanada einen Tag mit einem wilden Wolfsrudel verbracht. Wie kam es dazu?
Für ein Projekt in Britisch Columbia habe ich das Leben und den Bestand der Tiere erforscht. Ich bin jeden Tag kilometerlang gewandert, habe Spuren wie etwa Kot-Reste gesammelt und einige Wölfe gesehen. Eine Zeit lang hat mich ein Kamerateam begleitet, dabei kam es zur Begegnung mit dem Wolfsrudel.
Festgehalten wurde das in der Universum-Doku „Auf der Spur der Küstenwölfe“. Was ist passiert?
Es war unglaublich: Ich lag auf einer Lichtung im Gras, wo ich Wölfe vermutete. Dann kam tatsächlich ein Rudel aus dem Wald: Die Wölfe haben mich neugierig gemustert. Ich habe mich ganz ruhig verhalten. Die Leitwölfin hat vorsichtig meinen Kopf beschnuppert. Als sie erkannte, dass ich keine Gefahr bin, ließ sich das Rudel rund um mich nieder, die Jungen haben gespielt. So bin ich einige Stunden bei ihnen gelegen.
Nun sorgt Wolf „Fritzi“ für Aufregung: Er ist in Mautern ausgerissen und zieht durch die Steiermark. Wie gefährlich sind Wölfe?
Bei einem Wolf, der in einem Gehege gelebt hat, würde ich vorsichtig sein, weil er die natürliche Scheu vor Menschen verloren hat. Ich kenne Fritzi aber nicht. Entscheidend ist, welche Erfahrung er mit Menschen gemacht hat. Wenn es problematische Situationen mit Wölfen gibt, sind meistens die Menschen schuld.
Manche Menschen haben Panik, andere romantisierte Vorstellungen vom wilden Wolf.
Ja, Wölfe wecken in uns viele Emotionen. Es gibt die Idee vom „bösen Wolf“ und ein verniedlichtes Bild – das ist genauso gefährlich, weil es falsche Erwartungen schürt. Wölfe sind Wildtiere, man muss ihnen mit Respekt begegnen.
Finden Sie den Medienhype um Wölfe nützlich?
Das hängt von der Art der Berichterstattung ab, aber Präsenz ist gut, weil die Leute dann zumindest über die Tiere nachdenken. Wölfe sind ja eine der am strengsten geschützten Tiere in Europa. Bei meiner Arbeit für die „European Wilderness Society“ habe ich auch Wolfsspuren in Deutschland, Italien oder Bulgarien entdeckt – in Österreich aber nicht.
Warum „brauchen“ wir Wölfe?
Warum brauchen wir Vogelgezwitscher in der Früh, wenn wir aufwachen? (lacht) Wir wollen doch in einer intakten Natur leben. Wölfe sorgen für das Gleichgewicht im Wald. In Österreich hätten wir genug Lebensraum für die Tiere. Aber die Art, wie wir auf Wölfe reagieren sagt viel über uns und unsere Ängste vor dem Fremden aus. Das erinnert mich daran, wie wir mit Asylwerbern umgehen.
Inwiefern erinnert Sie das an den Umgang mit Asylwerbern?
Auch gegenüber Flüchtlingen gibt es eine Abwehrreaktion, die oft aus Hilflosigkeit resultiert. Wir wissen wenig über diese Menschen: Woher kommen sie? Was haben sie erlebt? Auch in Bezug auf Wölfe gibt es viele unrealistische Ängste und Mythen. Deshalb braucht es sachliche Informationen, Respekt, Toleranz und die Offenheit, sich auf Neues einzulassen.
Sie waren früher Leistungssportlerin im Langlauf und Berglauf. Gibt es unter Biologen wenige Frauen, die derart „abenteuerliche“ Forschung betreiben?
Bei den Wildbiologen gibt es etwa gleich viele Frauen wie Männer. Aber es ist wie in den meisten Branchen: An der Spitze offizieller Einrichtungen aus dem Naturschutz stehen meistens Männer.
In Ihrem Buch „Wolf Spirit“ schreiben Sie, dass Ihnen die Wolfsbegegnungen Kraft gegeben haben, um später einen Hirntumor zu überwinden. Was haben Sie von den Wölfen gelernt?
Die Zeit in Kanada war hart, man geht viele Kilometer in der Kälte und fragt sich: Warum soll ich durchhalten? Aber die Erlebnisse sind unglaublich: Da sehe ich einen Wolf auf einem zugefrorenen, glitzernden See … Das gibt viel Kraft und das unglaubliche Gefühl in die Natur eingebettet zu sein.
STECKBRIEF
geb. am 18.8.1972 in Graz, lebt in Salzburg, tätig für die „European Wilderness Society“, Universum TV-Doku über ihre Arbeit: „Auf der Spur der Küstenwölfe“ (2005)
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