Ich liebe viele: Beziehungen mit mehreren Männern und Frauen

Ich bin in der Zwickmühle: Ich liebe mehrere Männer oder Frauen! Kennen Sie dieses Problem? Um eine Lösung zu finden, gilt es erst einmal zu definieren, was Liebe überhaupt ist.
Laut der Psychologin Barbara Fredrickson ist Liebe mehr als sexuelles Begehren, sich auf einen Partner festzulegen und Bindung. Liebe ist ein Gefühl, das in einem Moment zehn bis 30 Sekunden dauert: Dabei ist man voller positiver Gefühle für sein Gegenüber. Die emotionalen Zentren im Gehirn feuern währenddessen bei beiden synchron: Man ist bereit, für den anderen einzutreten. Das sind Momente positiver Resonanz. Aus vielen solcher Momente kann Bindung entstehen: Man lässt sich auf den anderen ein. So entsteht eine Beziehung.

Monogam oder polyamor?

Damit ergibt sich auch die Antwort: Der Mensch ist von Natur aus in der Lage, mehrere Liebesbeziehungen zu führen. In unserer früheren Stammesgeschichte war das auch sinnvoll, um das Überleben der Nachkommen zu sichern. Welche Beziehungsformen in heutigen Gesellschaften dominieren, ist abhängig von den soziokulturellen Umständen: Rund 40 Prozent der Gesellschaften sind monogam organisiert. Damit Beziehungen mit mehreren Partnern gelingen, braucht es absolute Offenheit und gegenseitiges Einverständnis auf freiwilliger Basis und Augenhöhe. Dennoch funktioniert diese Polyamorie in unseren Breiten nur selten: Es gibt Eifersucht und Fremdgehen. Warum? Der Mensch scheint eine Sehnsucht nach einem sicheren Nest zu haben. Das scheint eine Zweierbeziehung eher zu bieten. Wenn Sie es trotzdem probieren wollen, prüfen Sie Folgendes.

Tipps für polyamore Beziehungen

1. Prüfen Sie sehr genau, ob Beziehungen zu mehreren Personen wirklich Beziehungen auf Augenhöhe sind oder Leidenschaft. Das merken Sie, wenn Sie genau in sich hinein hören. Sie bemerken, ob Sie nur schnell einem Gefühl nachgeben, weil Sie ein Defizit fühlen oder ob es hier eine ernsthafte Basis gibt.
2. Prüfen Sie, wie offen und ehrlich Sie sein können. Drängt es Sie dazu etwas zu verheimlichen oder können Sie offen vor allen anderen dazu stehen mehrere Partner zu haben?
3. Prüfen Sie, ob mehrere Beziehungen wirklich zu Ihrer Persönlichkeitsentfaltung hinführen oder ob Sie ein kleines Stressspiel mit sich spielen, um von anderen Problemen abzulenken.
4. Prüfen Sie, ob Sie vor Gefühlen wie Eifersucht gefeit sind.
5. Prüfen Sie im Gespräch mit Freunden, was Sie wirklich suchen: Beziehung auf Augenhöhe? Oder wollen Sie durch Beziehungen zu zweiten, dritten, … Partnern versteckte Botschaften an den anderen schicken?
6. Wenn Sie dann all dies durchlaufen haben, können Beziehungen zu mehreren Menschen durchaus gewinnbringend und persönlichkeitsentfaltend sein.
7. Ansonsten müssen Sie es einfach mit einer Grundweisheit der positiven Psychologie halten: Der Schlüssel zum Glück liegt in der Selbststeuerung.
8. Dann können Sie versuchen, mit einem vertrauten Partner neue Momente der Resonanz zu erleben und eine erfüllende Beziehung zu erleben.

DER EXPERTE
Dr. Philip Streit ist Psychologe, Psychotherapeut und Lebens- und Sozialberater.
Seit 20 Jahren leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz, das größte Familientherapiezentrum der Steiermark.
www.ikjf.at, Tel.: 0316/77 43 44
Jede Woche beantwortet er in der „WOCHE“ eine Frage rund um Erziehung und Beziehung. Ihre Anregungen können Sie an die Redaktion schicken:
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