Ein Bischof, der Brücken bauen will – Hermann Glettler im großen WOCHE-Interview

Es werde Licht: "Kunstpfarrer" Hermann Glettler hat 20 Jahre lang in St. Andrä in Graz für internationalen Austausch gesorgt. | Foto: Jorj Konstantinov
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  • Es werde Licht: "Kunstpfarrer" Hermann Glettler hat 20 Jahre lang in St. Andrä in Graz für internationalen Austausch gesorgt.
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Vor 20 Jahren wurde Hermann Glettler zum Pfarrer von St. Andrä ernannt. In der Grazer Pfarrkirche im Griesviertel hat er in diesen Jahren viel bewegt und mit seinen Kunstwerken sowie der kunstvoll gestalteten Kirche für Aufsehen gesorgt. Der studierte Theologe und Kunsthistoriker ist bekannt für seine Offenheit, sein Vordenken und den multikulturellen Austausch, den er stets fördert. Am 2. Dezember wird der Steirer (geboren 1965 in Übelbach) zum Bischof von Innsbruck geweiht. Die WOCHE bat ihn vorab zum Gespräch:

In unserem letzten Gespräch vor zwei Jahren meinten Sie: „Kirche soll nicht nur ein sakraler Raum sein, sondern ein Umschlagplatz für alles, was die Menschen heute bewegt.“ Was bewegt die Menschen heute?
Vieles. Es sind verständliche Sehnsüchte, aber auch Ängste. Globale Entwicklungen und viel Äußerliches, aber auch verinnerlichte Sorgen. In unserer wohlhabenden Gesellschaft ist es vor allem die Angst, zu kurz zu kommen oder den gewohnten Lebensstandard zu verlieren. Eine bewegende Sehnsucht ist jene nach einer gewissen Selbstwirksamkeit. Menschen haben den lähmenden Eindruck, in einer vollständig globalisierten Highspeed-Welt nicht mehr wirksam sein zu können. Das Individuum wird als potentieller Konsument hochgezüchtet und zugleich spielt es überhaupt keine Rolle. Das sind ja nur ein paar Andeutungen. Ich bin überzeugt, dass diese Fragen auch in der Kirche zu verhandeln sind. Christliche Spiritualität ist ja gerade nicht weltflüchtig.

Wechsel von Graz nach Tirol: Sie haben vieles als Pfarrer von St. Andrä aufgebaut. Wie fühlt es sich an, diesen Platz nun zurückzulassen?  Wie würden Sie Ihre Zeit in Graz zusammenfassen?
Um das Loslassen zu meistern, habe mich für das Vertrauen entschieden. Ich vertraue, dass das Wesentliche von dem, was ich an seelsorglicher Arbeit und Herzblut investiert habe, nicht verloren geht. Es wird vielleicht anders weitergeführt und einiges darf auch zugrunde gehen. Neues muss Platz haben! Die Zeit als Pfarrer im Griesviertel war für mich ein großes Geschenk. Wir haben in einem überschaubaren Stadtraum sehr viel wahrgenommen, was unsere Welt im Großen umtreibt. Der multikulturelle Mix, die sozialen Bruchstellen, die Unterschiedlichkeit von Weltanschauungen und Religionen – all das war doch eine tolle "Welterfahrung".

Was verbinden Sie mit Graz? Welche Erlebnisse, Orte, Menschen,...?
Vor allem sind es konkrete Menschen. Ein schönes Netzwerk von Beziehungen und Freundschaften. Ich fang da nicht an, aufzuzählen. Mit Graz verbinde ich eine fruchtbare Zusammenarbeit von sozial und gesellschaftlich engagierten Menschen und Einrichtungen – ich denke an meine unmittelbare Nachbarschaft I.S.O.P., ich denke an den Kunstverein „rotor“ beim Volksgarten, an die Akademie Graz, an das Forum Stadtpark, um nur einige zu nennen. Ich denke sehr gerne an die Kunstachsen hin zum Kulturzentrum bei den Minoriten, zum Kunsthaus und zu vielen anderen Kulturplayern, die es in Graz gibt. Ich denke an eine engagierte und lebendige Stadtkirche von Graz, an eine breit aufgestellte Caritas und an die Vinziwerke. Vor allem verbinde ich mit Graz ein angenehmes Lebensgefühl. Ich bin dankbar für die lange Zeit, die ich in dieser Stadt verbringen durfte.

Was werden Sie an Graz vermissen?

Auf den Punkt gebracht – klingt jetzt wehmütig, aber so ziemlich alles. Die Atmosphäre in dieser schönen alten und zugleich weltoffenen Stadt. Aber Innsbruck ist im kleineren Format Graz sehr ähnlich. Sehr viele Studenten, eine recht dynamische Kulturszene, Traditionelles und Avantgardistisches im Mix. Das ist ein wirklicher Trost. Außerdem bin ich von Natur aus neugierig und für neue Aufträge gerne zu haben. Außerdem habe ich zur Erinnerung den Grazer Uhrturm in mein Bischofswappen übernommen. Das ist schon mehr als eine Schleichwerbung (lacht).

Sie gelten als Brückenbauer und Vordenker: Welche Brücken gilt es, jetzt zu bauen?
In einer unverkennbar polarisierten Gesellschaft ist es die Brücke der Geduld und des Respekts, die unbedingt zu errichten ist. Es braucht ein Plus an Versöhnung und Einheit, ein Plus an Interesse für den Anderen, für den Fremden und es braucht eine größere soziale Aufmerksamkeit – und woher kann das kommen? Unser christlicher Glaube begründet das Bauen von Brücken. Jesus selbst war und ist die Brücke zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Er hat die Verbindung wieder hergestellt. Auch zwischen uns. Als Bischof werde ich versuchen müssen, die Brücke zwischen den verschiedenen Lagern innerhalb der Kirche zu bauen. Das ist kein leichter Job! Und Brücken hin zu Menschen, die mit Kirche gar nichts mehr am Hut haben oder enttäuscht wurden. Innsbruck verdankt sich seit seiner Gründung im Mittelalter der Lage am Inn, es hat bis heute eine Brückenfunktion. Der Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien und zwischen West und Ost ist natürlich eine extreme Belastung.

Werden Sie Ihre Kunstprojekte auch mitnehmen ins neue Amt und unkonventionelle Kunstwerke in Innsbruck umsetzen? Schweben Ihnen schon Ideen vor?
Spaßhalber habe ich schon mit folgendem Gebet begonnen: Lieber Gott bewahre mich und andere vor meinen Ideen. Nein, tatsächlich. Meine erste Mission heißt nicht Kunst. Ich bin nicht als Vertreter zeitgenössischer Kunst für Innsbruck ernannt worden, sondern als Bischof. Ich muss mich um die Verkündigung des Glaubens und um die Begleitung und Leitung der katholischen Kirche im Land kümmern. Und die Benachteiligten der Gesellschaft besonders im Auge behalten. Das gehört zum Bischofsein.

Was sind sonst noch die Aufgaben eines Bischofs heutzutage?
Ich glaube, dass sich das Wesentliche seit der Zeit der Apostel nicht geändert hat. Der Bischof sollte möglichst vertrauensvoll und mutig die Ortskirche leiten. Er muss den Gesamtorganismus der Kirche in Schwung halten, das heißt auf die vielen Begabungen und Berufungen achten, die Gott auch heute schenkt. Er muss dafür sorgen, dass trotz der unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen „Wetterlagen“ die Botschaft von Jesus, dem Lebendigen, verkündet wird. Das Evangelium ist zu allen Zeiten ein wirklicher Trost und eine Provokation zugleich. Immer wieder ist es notwendig, dass die Kirche sich selbst erneuert und Menschen zur Umkehr aufruft. Wer glaubt, lebt nicht für sich selbst allein. Das Ziel kann nicht ein saturiertes, nur auf die eigenen Wünsche und Befindlichkeiten bezogenes Leben sein. Ein Bischof muss mitgehen und vorausgehen. Ich hoffe, dass ich zumindest ein wenig davon schaffe.

Wussten Sie schon als Kind, dass Sie Ihr Leben einmal ganz der Kirche widmen würden?
Ja, ich habe schon gegen Ende der Volkschulzeit daran gedacht, Priester zu werden. Das hat sich dann verdichtet, vor allem in Richtung: Du wirst gebraucht! Wichtig für meine Entscheidung war ein Glaubenskurs für Jugendliche, an dem ich im Alter von 15 Jahren teilgenommen habe. Eine bewusste Freundschaft mit Jesus hat begonnen. Ich habe großartige Priesterpersönlichkeiten kennengelernt und auch Priester, die gescheitert sind. Die Freude ist gewachsen, aber auch das Wissen um die Zerbrechlichkeit dieser Berufung. Wichtig geworden sind mir der missionarische Auftrag und die Bedeutung eines gemeinschaftlichen Lebens.

Wie wollen Sie die Jugend wieder stärker in die Kirchen bringen? Wie kann man Menschen heute für Religion begeistern?
Wenn wir Frauen und Männer der Hoffnung sind, dann erweisen wir unserer Gesellschaft, die unter einem enormen Erfolgsdruck steht, einen großen Dienst. Und wir sollten von unserem Glauben in einer normal verständlichen Sprache Auskunft geben. Wahrscheinlich braucht es mehr offene Orte von Kirche, wo Menschen andocken können. Einige Pfarrgemeinden verwirklichen das, andere möchte ich bitten, dies zu tun. Die Kirche kann als Gemeinschaft überzeugen, wenn sie sich auch für jene interessiert, die „scheinbar“ oder offensichtlich nicht mehr dazugehören. Und unsere Kirche wird bestimmt lebendiger und damit auch attraktiver, wenn wir in alles, was wir tun – in die Begegnungen, in die Gottesdienste und in die Caritasarbeit – ein Plus an Freude und Leidenschaft hineinlegen.

Welchen Wert haben religiöse Symbole in der Öffentlichkeit heute noch?

Unsere Gesellschaft würde ärmer werden, wenn religiöse Symbole verschwinden. Sie verweisen auf eine Wirklichkeit hinter allem, was wir wahrnehmen, messen und kaufen können. Religiöse Symbole sind Zeichen einer spirituellen Verankerung, sie können gegen den Übergriff einer Konsumideologie und gegen den Optimierungswahn unserer Zeit Widerstand leisten. Das Kreuz zum Beispiel ist ein Zeichen dafür, dass das Scheitern zum Segen werden kann und dass die Liebe über den Hass gesiegt hat. Der am Kreuz dargestellte Jesus ist für unzählige Menschen das stärkste Hoffnungszeichen – gegen jede Verzweiflung. Außerdem ein Zeichen der Wahrnehmung für alle, die in ihrem Leben ebenso ein schweres Kreuz zu tragen haben.


Wanderlust: Hermann Glettler (Mitte) mit Jakob Bürgler
und Wolfgang Meixner vor einem Gipfelkreuz. (Foto: Ott)

Was bedeutet Glaube für Sie?
Glaube heißt Aufschauen zu Gott – sich nicht von der Bodenschwere der Sorgen und Probleme hinunter ziehen lassen. Der Glaube ist eine starke Lebenskraft. Im jüdisch-christlichen Sinn ist der Glaube eine Beziehung, ein Ausschau halten auf den ganz Anderen, den wir Gott nennen und sich selbst auf Ihn hin verlassen. In dieser Bewegung wird sich der Mensch ganz geheimnisvoll wieder selbst geschenkt. Glaube ist auch das Wahrnehmen, dass Gott nicht nur das absolute, letztlich unfassbare Gegenüber ist, sondern zugleich auch der uns ganz Innewohnende. Gott ist Mensch geworden. Uns innerlicher als wir es je vermuten. Glaube stärkt und schwächt. Die Schwächung besteht darin, dass uns der Glaube an Jesus in eine tiefere Verbundenheit führt, gerade auch mit jenen, die in Not sind. Es gibt keinen starken Glauben ohne dass man eine Schwäche hat für Menschen.

Wie würden Sie Kindern Gott erklären?
Gott muss man nicht erklären. Er ist kein Objekt. Er ist die große Liebe, die uns umfängt. Kinder haben eine fast natürliche Sensibilität dafür, dass das Leben größer und tiefer ist als das, was wir physisch davon erfassen können. Kinder haben eine Herzensachse zu Gott. Ich schlage vor, mit Kindern auf diesen inneren Raum der Seele zu achten, bewusst mit ihnen für Großes und Kleines Gott zu danken. Das kindliche Staunen fördern und die herzliche Verbundenheit mit allen Menschen, auch mit der Schöpfung. Klingt fast schon wie ein Rezept, das es aber nicht braucht. Kinder können uns einiges lehren! Ich habe als Kind wahrscheinlich intensiver gebetet als ich es jetzt vermag. Ganz prägend kann das Vorlesen und Erzählen biblischer Geschichten sein. Das formt und weitet den Herzensraum.

Was wünschen Sie den Menschen in der Weihnachtszeit?

Ich wünsche ihnen eine gute Unterbrechung, ein tiefes Durchatmen und zur Ruhe kommen. Das ist alles einfacher gesagt als dann wirklich getan. Ich wünsche ihnen, dass sie bei der Krippe zum Staunen kommen. In dem Kind von Betlehem lässt sich Gott finden. Und aufnehmen. Weihnachten entlastet – auch wenn wir durch den selbstgemachten Stress oft Gegenteiliges beobachten. Die Entlastung besteht darin, dass wir vor Gott – und eigentlich auch voreinander – nichts leisten und produzieren müssen. Das Wertvollste sind immer die wirklichen Begegnungen. Weihnachten ist dann, wenn wir uns von Gott umarmen lassen. Und vielleicht lassen sie diese Erfahrung auch jemandem zuteilwerden, dem es nicht gut geht. Das ist dann geteilte Weihnachtsfreude.

Freuen Sie sich schon auf die Bischofsweihe?
Ja, ich freue mich. Das Interesse ist enorm. Es wird ein großes kirchliches Volksfest. Es geht trotz der Bischofsweihe nicht zuerst und auch nicht zuletzt um die Person des Hermann Glettler. Es wird ein Fest des Glaubens der ganzen Diözese Innsbruck, ein Impuls für ein Plus an Zuversicht und Vertrauen für alle Mitfeiernden. Die Kollekte wird der Krankenpflege Obdachloser zugutekommen und dem Bau eines Integrationshauses in Innsbruck. Auch über diesen solidarischen Aspekt freue ich mich. Außerdem wird nach dem Weihegottesdienst die Bühne für ein Kinder- und Jugendprogramm freigegeben.

Beschreiben Sie sich bitte abschließend in drei Worten:
Vielleicht unternehmenslustig, vertrauensvoll, gelegentlich chaotisch. Aber wichtiger ist das, was wir leben, nicht die Etikettierung.

Es werde Licht: "Kunstpfarrer" Hermann Glettler hat 20 Jahre lang in St. Andrä in Graz für internationalen Austausch gesorgt. | Foto: Jorj Konstantinov
Wanderlust: Hermann Glettler (Mitte) mit Jakob Bürgler und Wolfgang Meixner. | Foto: Ott
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