Reichspogromnacht
Erinnerungskultur mit Hindernissen

Das Pogromdenkmal am Innsbrucker Landhausplatz. | Foto: Foto: Christian Michelides
  • Das Pogromdenkmal am Innsbrucker Landhausplatz.
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Gedenkveranstaltungen sind ein fester Bestandteil der Erinnerungskultur, wie am 9. November zur Reichspogromnacht. Ein dazu passender Gemeinderatsantrag befindet sich in der Warteschleie und eine "Zusage" für einen Beitrag zur Erinnerungskultur feiert bald Jahrestag.

INNSBRUCK (hege). Zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht findet am Jüdischen Friedhof im städtischen Westfriedhof am 9. November um 17.30 Uhr eine Veranstaltung statt. Schülerinnen der WRG Ursulinen Innsbruck tragen antifaschistische Texte vor, Julia Schuhmacher-Fritz und Karl-Heinz Putzer spielen Klezmermusik, der Chor der Vielfalt singt Widerstandslieder und Elisabeth Mayr hält die Gedenkrede. Um 18 Uhr 30 findet der Kaddish der Israelitischen Kultusgemeinde am Eduard-Wallnöfer-Platz statt. Horst Schreiber lädt am 16. November um 14 Uhr zu einem antifaschistischen Spaziergang zu Orten der Erinnerungen ein. 

Gemeinderatsantrag in der Warteschleife

Im Oktober 2018 hat Stadträtin Elisabeth Mayr im Gemeinderat den Antrag gestellt: "... das Stadtarchiv zu beauftragen, in Abstimmung mit ausgewiesenen ExpertInnen und der Israelitischen Kultusgemeinde Standorte für das Anbringen von Stolpersteinen zu finden und diese errichten zu lassen. Die Stolpersteine sollen an die Opfer der Pogromnacht 1938 in Innsbruck erinnern. " Der Antrag wurde in der Novembersitzung einstimmig dem Stadtsenat zugewiesen. Die Idee der Stolpersteine fand aber nicht ungeteilten Zuspruch. Stattdessen sollten andere Möglichkeiten der Erinnerungskultur genutzt werden. Mit dem Antrag und der Umsetzung beschäftigt sich der Kulturausschuss der Stadt Innsbruck. Konkretes Ergebnis liegt noch keines vor.

Gedenktafel ausstehend

Die Freiheitliche Partei hat in der Anichstraße 5 ihr Bürgerbüro in der ehemaligen Wohnung der Familie Adler eingerichtet. Ing. Josef Adler war Oberbaurat der Bundebahnen, Mitglied des Israelitischen Kultusrates sowie Schwager des ermordeten Ing. Richard Berger. In der Reichspogromnacht war seine Frau Gertrude, geb. Weiss und sein Vater Itzig Adler in der Wohnung. Seine Frau schilderte den Überfall mit den Worten: "In der Nacht vom 9. auf 10. November brach eine entmenschte Horde, zirka 10-12 Mann, in unsere Wohnung, Anichstraße 5, 1. Stock, stürmte unser Schlafzimmer, schlug meinen Mann und mich nieder. Soviel ich mich erinnern kann, kamen sie in dieser Nacht noch ein zweites Mal. Mein Mann konnte sich nicht mehr rühren, er trug eine Lähmung davon und ich eine Gehirnerschütterung. Am nächsten Morgen veranlaßte unser Hausarzt, Dr. Köllensberger, die Überführung meines Mannes in die Nervenklinik. Ich blieb zu Hause, weil ich die Wohnung nicht allein zurücklassen wollte. Eine goldene Schaffhauser Herrenuhr ließen die Banditen auch mitgehen. Wir hatten einen Termin, bis wann wir Innsbruck verlassen mußten, und so verließen wir am 3. Jänner 1939 mit der Ambulanz Innsbruck und fuhren nach Wien, wo mein Mann 3 Wochen später starb.“ FPÖ-Landesparteiobmann Markus Abwerzger meinte im Dezember 2018, dass er Gespräche mit dem Hauseigentümer bezüglich einer Gedenktafel führen werde. Fast ein Jahr später gibt es noch keinen Tafel als Beitrag zur Erinnerungskultur.

Die Reichspogromnacht

Horst Schreiber schreibt über diese Nacht: "Am 7. November 1938 verübte ein 17jähriger Jude, Herschl Grynspan, in Paris ein Attentat auf den deutschen Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath. Der junge Mann wollte mit dieser Tat auf das Schicksal seiner Eltern und weiterer 17.000 polnischstämmigen Jüdinnen und Juden hinweisen, die aus Deutschland ausgewiesen worden waren.

Tiroler Befehl

Gauleiter Franz Hofer erteilte nach seiner Rückkehr von den Parteifeiern in München am 10. November 1938 um ein Uhr früh den lokalen Führern der SS, SA, SIPO, Gestapo und des SD den Auftrag, dass sich „die kochende Volksseele gegen die Juden” erheben müsse, weil der deutsche Diplomat Ernst vom Rath in Paris einem Attentat eines 17jährigen Juden erlegen war. SS-Oberführer Hanns Feil gab unter Beisein von SS-Standartenführer Erwin Fleiss entsprechend den Anweisungen Hofers ausgesuchten SS-Führern den Befehl, die in der Gänsbacherstraße 4 und 5 wohnenden männlichen Juden (Karl und Wilhelm Bauer, Richard Graubart) „auf möglichst geräuschlose Art umzulegen” und weiters Ing. Richard Berger „aus dem Wege zu räumen”. Der Gebrauch von Schusswaffen war ausdrücklich verboten. Arisierungskommissar Duxneuner hatte die Liste der zu überfallenden Jüdinnen und Juden vorbereitet. Keine jüdische Familie sollte ungeschoren davonkommen. Die Rollkommandos bestanden aus verlässlichen und ideologisch überzeugten SS-Männern. Zwei Drittel von ihnen waren „illegale Nationalsozialisten”, die sich bereits während der Verbotszeit von 1933 bis 1938 für die Partei eingesetzt hatten.

Auswahl der Opfer

Die Opfer wurden aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position innerhalb und außerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde ausgesucht: Richard Berger war Mitgründer der Zionistischen Ortsgruppe Innsbruck und Vorsitzender der Kultusgemeinde, Richard Graubart Miteigentümer des Schuhhauses Graubart in der Museumstraße, Wilhelm Bauer führte mit seinem Bruder Stefan die Manufakturwarenhandlung in der Brixnerstraße – Herzog-Friedrich-Straße, Josef Adler war Bundesbahn-Oberbaurat und führender Exponent der zionistischen Bewegung und des Bundes Jüdischer Frontsoldaten in Innsbruck sowie Mitglied des Kultusrates. Die Überfälle der Rollkommandos erfolgten schließlich kurz vor drei Uhr früh.

Der Mord an Wilhelm Bauer

SS-Hauptsturmführer Hans Aichinger, der Führer eines aus mindestens neun SS-Männern bestehenden Mordkommandos, eilte mit seinen auf ausdrücklichem Befehl in Zivilkleidung angetretenen Leuten in die Gänsbacherstraße 5, wo Edith und Wilhelm Bauer im Parterre, Richard und Margarethe Graubart mit ihrer kleinen Tochter Vera im ersten Stock wohnten. Die SS-Männer stiegen über den Zaun in den Garten, läuteten und schrien „Gestapo. Sofort aufmachen, Hausdurchsuchung!”. Dem Hausmeister wurde geheißen, sich schleunigst wieder in seine Wohnung zu begeben. Aichinger teilte die Mordgruppe, woraufhin der aus dem Schlaf gerissene Wilhelm Bauer, der nur notdürftig bekleidet öffnete, sofort in den Gang gezerrt wurde. Daraufhin traktierten ihn die SS-Männer mit Pistolenhieben und stachen auf ihn ein, während einer der Täter, Robert Huttig, Edith Bauer im Schlafzimmer bei verschlossener Türe in Schach hielt. Als sie ihren Mann rufen hörte, dass er gestochen worden sei, entwand sie sich dem SS-Schergen. Im Zimmer bot sich ihr ein Bild des Grauens. Wilhelm Bauer lag blutüberströmt am Boden. Noch bei Bewusstsein röchelte er: „Einen Arzt”. Als Edith zum Telefon eilte, machte der SS-Mann Anstalten, sie mit dem Revolver zu schlagen. Mit letzter Kraft beschwor Wilhelm Bauer ihn, von seiner Frau abzulassen: „Sie wollen doch einer Frau nichts tun.” Huttig begnügte sich schließlich damit, das Telefonkabel aus der Wand zu reißen und sich mit einem Sprung aus dem Fenster davonzumachen. Die Eingangstüre wurde von den flüchtenden Tätern noch von außen zugesperrt.

Der Mord an Richard Graubart

In der Zwischenzeit war der andere Teil des Mordkommandos in den ersten Stock geeilt, wo Richard Graubart durch einen Dolchstoß von hinten, der unterhalb des Schulterblattes eine drei bis vier Zentimeter breite klaffende Wunde hinterließ, meuchlings ermordet wurde. Als Margarethe Graubart von Edith Bauer aus dem Zimmer, in das die SS-Männer sie gesperrt hatten, befreit wurde, fand sie ihren Mann am Boden in einer Blutlache liegend nur mehr tot auf. Nun konnte vom unversehrt gebliebenen Telefon der Wohnung Graubart der Hausarzt gerufen werden, der aber erst nach einer Stunde in Begleitung von Rettungsmännern eintraf. Wilhelm Bauer, der noch Lebenszeichen von sich gab, wurde zwar in die Klinik transportiert, er verstarb jedoch noch während der Fahrt.

Der Mord an Richard Berger

Ing. Richard Berger wurde von drei SS-Männern aus seiner Wohnung in der Anichstraße 13 geholt und mit dem Auto stadtauswärts Richtung Kranebitten gebracht, wo sie ihn am Innufer brutal ermordeten und seine Leiche anschließend in den Fluß warfen. Josef Adler wurde in seiner Wohnung überfallen und durch Schläge auf den Kopf schwerstens verletzt, sodass er zwei Monate später verstarb. Er litt bereits vorher an einer Gehirnerkrankung.

Zerstörung der Synagoge

Die Morde bildeten zwar den unrühmlichen Höhepunkt der Gewalttätigkeiten in Innsbruck, von den Ausschreitungen betroffen waren jedoch praktisch alle Jüdinnen und Juden. Die Rollkommandos drangen in die Wohnungen von mindestens 25 Familien ein, prügelten die Männer, ob alt oder jung, nieder und verschonten oft auch die Frauen nicht. Die Synagoge in der Sillgasse wurde verwüstet, zwei jüdische Geschäfte geplündert.

Blutiger Schauplatz

Bei den antijüdischen Ausschreitungen am 10. November 1938 gab es in zwei österreichischen Städten Todesopfer zu beklagen: in Wien und Innsbruck. Im Verhältnis zur Größe der jüdischen Gemeinde war Innsbruck einer der blutigsten Schauplätze der Pogromnacht. Im Gegensatz zu Wien nahm jedoch die Bevölkerung an den Ausschreitungen nicht teil. Vereinzelt wurde jüdischen Familien gegenüber die Ablehnung des barbarischen Vorgehens des NS-Regimes zum Ausdruck gebracht. Generell gab es allerdings kaum Kritik an der Blutnacht. Hilfeleistungen blieben jedenfalls ebenso aus wie ein öffentlicher Protest. Auch die katholische Kirche äußerte sich nicht.

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