Interview mit Michael Baubin
„Wir handeln nach bestem Wissen und Gewissen“

Notarzt Michael Baubin | Foto: Gerhard Berger
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INNSBRUCK. Er ist Bereichsoberarzt Notfallmedizin am Landeskrankenhaus Universitätsklinik Innsbruck und seit 33 Jahren aktiver Notarzt.

Wir haben ein Interview mit Michael Baubin geführt und spannende Einblicke in seinen Arbeitsalltag bekommen.

Was war für Sie ausschlaggebend, sich zu entscheiden, Notarzt zu werden?
Baubin: Bevor ich mich entschloss, Medizin zu studieren, war ich bereits vor 45 Jahren bei den Johannitern in meiner Heimatstadt ehrenamtlich in der Ersten-Hilfe Ausbildung, im Fahrdienst von Menschen mit Beeinträchtigung, als Rettungssanitäter im Rettungsdienst und nach pflegerischer Ausbildung auch in der mobilen Hauskrankenpflege tätig. Gerade die Erfahrungen im Rettungsdienst haben mich stark berührt und motiviert, nach meinem Studium in Innsbruck und meiner ärztlichen Ausbildung in die Notfallmedizin einzusteigen. Damit war es nur logisch, nach der Ausbildung zum Allgemeinmediziner, die Facharztausbildung in Anästhesie und Intensivmedizin hier in Innsbruck zu absolvieren.
 
Seit über 30 Jahren üben Sie bereits die Tätigkeit als Notarzt aus. Was ist Ihr Geheimrezept, wenn es denn eines gibt, bei all den teilweise schlimmen Vorfällen trotzdem durchzuhalten und nie aufzugeben?
Baubin: Krankheit, Not, Sterben gehören zum Leben wie Geburt, Freude, Glücklichsein und sollen im eigenen Leben, wenn möglich, in einem ausgewogenen Verhältnis wahrgenommen und erlebt werden dürfen. Für die Aufgaben als Teamentscheider in besonderen Situationen in der Notfallmedizin sind für mich ein paar Grundeinstellungen entscheidend wichtig. Erstens, Menschen machen Fehler und dürfen Fehler machen. Jede 50. Entscheidung eines einzelnen Menschen kann falsch sein, daher sind Teams wichtig, ist gute Sicherheitskultur wichtig, dürfen und sollen wir uns gemeinsam helfen, denn mehrere Augen und Ohren sehen und hören mehr. Alles, was wir als Notärztinnen und Notärzte draußen auf der Straße, in Wohnungen tun, tun wir mit bestem Wissen und Gewissen. Im Nachhinein sehen wir die Dinge manchmal anders, vielleicht klarer – dies gilt für vieles im Leben. Zweitens, ein gesunder Respekt und eine gewisse Demut sind wichtig, trotz hervorragender (Notfall) Medizin können wir nicht jeden Menschen retten, nicht jede kritische Situation lösen, oft nicht mehr helfen. Und drittens braucht es vielleicht zum Durchhalten ein gutes, stabiles Menschen- und Lebensbild, Dankbarkeit und persönliche Auffangnetze.
 
Wie schaffen Sie es, Berufliches vom Privaten zu trennen?
Baubin: Meist gehe ich von der Klinik zu Fuß bzw. fahre mit dem Fahrrad nach Hause; am Weg versuche ich, den Tag zu reflektieren und wenn nötig noch den einen oder anderen Handyanruf zu tätigen, um mich dann zu Hause möglichst viel meiner Familie widmen zu können. Ausgewogene private, persönliche Erholungszeiträume sind wichtig; Sport, Gartenarbeit, Musik, Malen, Künstlerisches, Naturerlebnisse, Partnerschaft können gut helfen, ausgeglichen und authentisch zu bleiben.
 
Welches waren prägendste Erlebnisse in Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn?
Baubin: Reanimationsmaßnahmen bei der Geburt, kindliche Notfälle, Patienten wieder zu treffen, die z.B. Motorradfahren und die man vor Jahren wiederbeleben konnte; medizinisch-dramatische Situationen auch im eigenen Leben, besondere soziale Umstände und Krisen, die man entschärfen konnte.
 
Wie sieht ein "klassischer Arbeitstag” aus? Gibt es einen solchen Tag überhaupt?
Baubin: Ca. 1/3 meiner klinischen Arbeitszeit am Landeskrankenhaus/Universitätskliniken Innsbruck bin ich als Anästhesie-Oberarzt im Operationssaal, 2/3 als Bereichsoberarzt Notfallmedizin und dabei unter anderem der ärztliche Leiter zweier Notarztstützpunkte, in Innsbruck und in Telfs.
Um 7:00 bin ich in meinem Arbeitszimmer in der Klinik und schaue für 10 Minuten schnell die letzten Email-Nachrichten durch, um 07:15 nehme ich an der Frühbesprechung der Anästhesie-Klinik teil, bei der auch der/die NotärztIn der letzten Nacht über die vergangenen Notarzteinsätze berichtet. Um 07:30 startet der OP oder treffe ich am Notarztstützpunkt ein. Hier bin ich in der Regel bis 16:00, meist mit einer/m jungen Notarzt/Notärztin in Ausbildung, als Notarzt eingeteilt. Die Mannschaft des Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF) besteht aus einem Notfallsanitäter / einer Notfallsanitäter, gleichzeitig auch Fahrer / Fahrerin dem Notarzt/der Notärztin und einem/r Auszubildenden. Im Jahresschnitt etwa 11 mal pro 24 Stunden, an extremen Tagen auch bis zu 24 mal, wird der NEF alarmiert und rückt aus. Oft bin ich dann noch eine Stunde in der Klinik. Ca. zweimal pro Monat habe ich 24 Stunden Dienst. In der Einsatzfreien bzw. OP-freien Zeit bearbeite ich meine Emails, begleite ich bestehende oder setze neue Initiativen oder wissenschaftliche Projekte, bilde aus etc. er Funktion entsprechend nehme ich auch an vielen Besprechungen teil oder leite diese, wie auch Tagungen und bin bei Kongressen und in Fachgesellschaften tätig.

Welche Tipps haben Sie für angehende Notärztinnen und Notärzte?
Baubin: Gehen Sie mit der Einstellung an jeden Einsatz, dass Menschen in akuter medizinischer Not Sie brauchen. Behandeln Sie ihre Patientinnen und Patienten als seien es nahe Angehörige; Erhalten Sie sich Ihre Begeisterung für den Beruf, Menschen akut helfen zu können; ideale präklinische Notfallmedizin ist für mich die Kombination aus Anästhesie & Intensivmedizin, der Tätigkeit als Allgemeinmediziner mit besonderen Kenntnissen und Fertigkeiten, in der Palliativmedizin und mit ethischem Hintergrund. Mit Wissen und Erfahrung abgesicherte Entscheidungsfreudigkeit, Mut und Demut verbunden mit einem ausgeprägten Verständnis für sozial schwierige Situationen und Erfahrung im Krisenmanagement sind sehr hilfreich.
 
Was ist Ihr Ausgleich zum stressigen Berufsalltag?
Baubin: Spazieren/Wandern, Gartenarbeit und -genießen, Musik und ganz besonders die eigene Familie
 
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Notfallmedizin?
Baubin: Ich wünsche mir / uns, der Gesellschaft, uns in Österreich, Tirol und Innsbruck, dass es immer genügend Menschen gibt, die direkt oder indirekt in der und für die Notfallmedizin tätig sind; dass die Entscheidungsträger die Bedeutung der Notfallmedizin wahrnehmen, schätzen, erhalten und ausbauen und für Innovationen – auch materiell/finanziell – offen sind, damit kein Stillstand entsteht; dass Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde im Alltag und in besonderen Situationen gelebt werden.

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