"Es mangelt an Medienkompetenz"
Online-Hetze gegen Unschuldigen nach Amoklauf

- Ein junger Leibnitzer wurde nach dem Amoklauf von Graz fälschlicherweise verdächtigt und bedroht.
- Foto: GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
- hochgeladen von Verena Kriechbaum
Der Amoklauf von Graz zeigt die grotesken Seiten von Social Media auf: Im Internet ist ein junger Leibnitzer Hetznachrichten und Drohungen ausgesetzt, weil manche ihn fälschlicherweise für den Täter halten. Er hat sich selbst an die Öffentlichkeit gewandt. Eine Digitalexpertin kritisiert fehlende Medienkompetenz – und gibt Tipps, wie man Falschmeldungen erkennt.
STEIERMARK. Noch am Tag des Amoklaufs geisterte der Name eines jungen Leibnitzers durch die sozialen Netzwerke – er hat den gleichen Vornamen und sein Nachname beginnt mit demselben Buchstaben wie der mutmaßliche Täter. Was folgte, sind Beschimpfungen und sogar Morddrohungen gegen ihn und seine Familie.
Hilfesuchend wandte sich der junge Mann an die Polizei und auch den ORF. "Ich verstehe nicht, wie Menschen so dumm sein können, dass da einer eine Nachricht verbreitet. Ich hab alles auf meinem Handy, so viele Anfragen, so viele Nachrichten", erzählt er dem ORF.
Fehlende Medienkompetenz und Selbstreflexion
Es zeigt auf erschreckende Art und Weise, wie schnell sich Falschmeldungen ohne Überprüfung im Internet verbreiten können. Solche Fälle kennt die Journalistin Ingrid Brodnig: Die gebürtige Grazerin ist Digitalexpertin und setzt sich seit Jahren mit der Thematik auseinander. "Nach schrecklichen Gewalttaten kann sich online eine Art Mob entwickeln, der selbstständig versucht, den Täter zu greifen und dabei einfach Unschuldige verdächtigt", sagt sie im Gespräch mit MeinBezirk.

- Die gebürtige Grazerin Ingrid Brodnig ist Autorin, Journalistin und Expertin für digitale Mediennutzung.
- Foto: Gianmaria Gava
- hochgeladen von Bildungszentrum Saalfelden
Sogar bei Fällen wie diesem, wo klar ist, dass der Täter bereits tot ist, ist das schon passiert. "Dass es nun auch jemanden in Österreich betrifft, schockiert mich ehrlich gesagt und sagt einiges über fehlende Medienkompetenz oder fehlendes Nachdenken aus", meint Brodnig. "Mich erstaunt das immer wieder, dass selbst eine so dermaßen falsche und leicht durchschaubare Behauptung von einigen geglaubt wird - und manche von ihnen sogar bedrohlich auftreten."
Das Bild des jungen Leibnitzers wurde in sozialen Netzwerken und sogar auf internationalen Plattformen geteilt. Dabei hätte eine schnelle Google-Suche nach dem Namen gereicht: In der Datenbank des Österreichischen Fußballbunds ist der Leibnitzer mit Jahrgang 2002 registriert. Der Amokläufer war aber 21 Jahre alt. "Offensichtlich mangelt es mancherorts an Medienkompetenz, aber auch an Selbstreflexion. Dass so etwas auch in Österreich passieren kann, zeigt, dass auch wir in Europa noch einen weiten Weg gehen müssen – damit mehr Menschen kritischer solche falschen Behauptungen hinterfragen", denkt Brodnig.
Mehr Bildung und Bewusstsein
Braucht es also mehr Medienbildung in der Schule? "Es gibt mittlerweile für Jugendliche das Fach 'Digitale Grundbildung' - das ist gut", sagt die Expertin. Das Fach könnte noch stärker auf Aufklärung über Falschmeldungen und auf einen fairen Umgang online ausgerichtet sein. Denn das Senden von Drohungen ist auch eine Straftat, was mitunter kaum bewusst ist.

- Ingrid Brodnig gibt regelmäßig Vorträge zu digitalen Themen wie Hetze und Falschmeldungen.
- Foto: Gregor Fischer/re:publica
- hochgeladen von Simon Michl
Der unschuldige Betroffene hat sich deutlich reflektierter verhalten als jene, die ihm gedroht haben. Während andere einfach einer Behauptung im Netz geglaubt haben, hat er sich an ein seriöses Medium gewandt. "Wenn eine Falschmeldung bereits eine gewisse Sichtbarkeit hat, ist es gut, wenn Medien das einordnen", so Brodnig. Menschen müsse bewusst werden, dass nach solchen Taten oft Unschuldige verdächtigt werden und dass Selbstjustiz nicht in Ordnung ist.
Emotionales Video
Auch der FC Großklein, wo er Fußball spielt, wurde online zur Zielscheibe und hat einen Anwalt eingeschaltet. Am Mittwoch wandten sich der Fußballer und sein Verein mit einem Video auf sozialen Kanälen direkt selbst an die Öffentlichkeit: "Bevor ihr eine Nachricht glaubt, lasst euch besser darüber informieren. Einen Menschen zu verurteilen als Amokläufer ist das Schlimmste, was einem passieren kann."
Er hofft, dass das Video viral geht und es damit ein Ende hat. Nach nicht einmal 24 Stunden wurde das Video rund 300.000 Mal angesehen und über 2.500 Mal geteilt.
Tipps bei Falschmeldungen
Was kann man also tun, um (vermeintlichen) Falschmeldungen im Internet zu erkennen? "Das Wichtigste ist, die eigene Emotion kritisch zu betrachten: Solche schrecklichen Straftaten wühlen Menschen auf, da wird die Gefahr umso größer, dass man falsche, aber spektakuläre Behauptungen glaubt", rät Brodnig. "Aber starke Emotionalität kann einen davon ablenken, kritisch die Behauptung zu betrachten und zu hinterfragen. Deshalb: Je mehr ich aufgewühlt bin, desto zurückhaltender sollte ich eigentlich werden. Das heißt, umso weniger teilen, und mir vor Augen halten, dass Ausnahmesituationen wie ein Amoklauf prädestiniert dafür sind, dass Falschmeldungen verbreitet werden."

- Die Expertin empfiehlt Jugendlichen, nach dem Amoklauf nicht auf TikTok zu sein: "Es gibt viele Kommentarvideos von Influencer:innen, die mit einer hochaufgeregten Ansprache Aufmerksamkeit auf sich ziehen."
- hochgeladen von Simon Michl
Und die erwähnten Medien mit seriöser Berichterstattung spielen hier eine wichtige Rolle. "Gerade in solchen Ausnahmesituationen empfiehlt es sich, nicht irgendwelche unbekannten oder fragwürdigen Accounts im Internet mitzulesen, sondern bei größeren, etablierten Medien. Hier ist die Chance deutlich höher, dass gesicherte Informationen verbreitet werden."
Wichtige Anlaufstellen
Krisentelefon des Psychosozialen Dienstes: 05 0944 - 4444 (Mo-Fr 9-13 Uhr)










Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.