Nora Tödtling-Musenbichler
Caritas Steiermark Direktorin zeichnet Stimmungsbild

Herausfordernde Zeiten für eine Caritas-Direktorin: im Juli 2022 hat Nora Tödtling-Musenbichler das Amt von Herbert Beiglböck übernommen. 
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Die neue Caritas Steiermark-Direktorin Nora Tödtling-Musenbichler ist seit Juli 2022 im Amt. Im Gespräch mit MeinBezirk.at zeichnet die Steirerin ein nüchternes wie auch hoffnungsvolles Stimmungsbild der Gesellschaft. 

STEIERMARK. Mit Juli 2022 hat die damalige Vizedirektorin und einstige VinziWerke-Leiterin Nora Tödtling-Musenbichler das Direktorium der Caritas Steiermark von ihrem Vorgänger Herbert Beiglböck übernommen. MeinBezirk.at hat mit der Steirerin über aktuelle Herausforderungen sowie ihre persönlichen Einstellungen zu Glaube, Solidarität und Politik gesprochen.

Sie haben die Direktion in schwierigen Zeiten übernommen.
Nora Tödtling-Musenbichler: Ja, wir sind schon in eine sehr spannende Zeit hineingeraten. Wobei ja schon die letzten Jahre von Krisen geprägt waren. Wir haben gehofft, dass es jetzt zu einer Entlastung kommt. Dann kam die Ukrainekrise, die ein massiver Einschnitt war. Und jetzt ist es sicher auch die wirtschaftliche Situation, die uns als Caritas fordern wird, noch lange. Ich glaube, das ist der Beginn von etwas, von dem wir noch nicht genau wissen, wo es hingehen wird. Und diese Ungewissheit ist natürlich auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwierig.

Welche sehen Sie aktuell als die größten Herausforderungen?
Seit Anfang des Jahres brauchen aufgrund der Teuerungen immer mehr Menschen unsere Unterstützung. In den Beratungsstellen für Existenzsicherung haben wir 30 Prozent Zuwachs, vor allem bei Erstgesprächen. Das heißt, dass immer mehr Menschen, die vorher noch nicht von Armut betroffen waren plötzlich sagen 'Jetzt ist es auch bei mir so weit'. Und es ist nicht nur die finanzielle Belastung, sondern auch die psychische. 

Und was uns derzeit alle fordert, ist auch die Situation am Arbeitsmarkt. Wie können wir diejenigen, die sich in den letzten zwei Jahren noch mehr zurückgezogen haben erreichen? Wie können wir Arbeitsmöglichkeiten schaffen? Das sind schon die großen Herausforderung in der aktuellen Situation.

Bevor Tödtling-Musenbichler zur Caritas kam, leitete sie die VinziWerke. | Foto: Konstantinov
  • Bevor Tödtling-Musenbichler zur Caritas kam, leitete sie die VinziWerke.
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Macht uns die Krise solidarischer, oder ist das Gegenteil der Fall?
Ich glaube die Steiermark ist grundsätzlich sehr solidarisch. Das haben wir jetzt in der Ukrainekrise sehr stark gemerkt. Es zeigt sich derzeit aber auch immer wieder, dass Brüche in unserer Gesellschaft passiert sind, weil man verlernt hat, miteinander zu reden. Ich glaube deshalb, dass wir Solidarität auch wieder trainieren müssen.

Und da sehen wir uns als Caritas als Brückenbauerin. Wir sind jetzt vermehrt verpflichtet, in der Gesellschaft Gesprächs- und Begegnungs-Oasen zu finden, damit die Menschen wieder zueinander finden. Denn es braucht jetzt diesen gemeinsamen Blick. Deswegen war es auch ganz wichtig, dass die Regierung jetzt schnell Schritte setzt und die Sozialleistung valorisiert. Es wird nicht reichen, im Gießkannenprinzip auszuschütten – wir müssen gezielt jenen helfen, die am stärksten betroffen sind.

Es besteht derzeit rundum so viel Bedarf – wie priorisiert die Caritas?
Die Caritas Steiermark hat ein sehr vielfältiges Angebot, das ist unsere große Stärke. Und somit haben wir auch ein riesengroßes Netzwerk an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Viele Unternehmen mussten ja Mitarbeiter reduzieren – die Caritas wächst hingegen in der Krise. Und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ein Sensorium dafür, was es in welcher Situation braucht.

"Die Caritas wächst in der Krise"

Wenn zum Beispiel häufig Menschen zu unseren Beratungsstellen kommen, bei denen die Lebensmittel knapp sind, dann ist es unser Auftrag, da zu reagieren. Oder wenn wir spüren, dass es bei vielen Menschen eine große psychische Belastung gibt, dann müssen wir handeln. Und das sind dann unsere Prioritäten – wir priorisieren den Menschen, weil wir erfahren, was Menschen brauchen. Und wenn die Politik eine Bitte an uns heranträgt, dann handeln wir auch dementsprechend.

Mit "MeinBezirk.at" hat die Steirerin über aktuelle Herausforderungen, aber auch ihren persönlichen Zugang zum Glauben gesprochen.  | Foto: Konstantinov
  • Mit "MeinBezirk.at" hat die Steirerin über aktuelle Herausforderungen, aber auch ihren persönlichen Zugang zum Glauben gesprochen.
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Und umgekehrt – welche Bitten haben Sie an die Politik?
Unser Ansatz ist, dass wir als Caritas auch anwaltschaftlich handeln. Wir trauen uns auch, kritisch zu sein. Das heißt, dass wir auch unsere Stimme erheben und aufzeigen, wo es notwendige Änderungen braucht. Das haben wir jetzt zum Beispiel bei der Pflegereform gezeigt – wir fragen uns, was Menschen in der Pflege brauchen, damit sie gut arbeiten können. Und da gibt es jetzt Gott sei Dank dieses Pflegepaket.

"Wir sind sicher auch dieses unbequeme Gewissen."

Mein Wunsch ist also, dass wir als Expertin im Sozialbereich wahrgenommen werden – von der Öffentlichkeit und von den politisch Verantwortlichen. Und dass wir eingebunden werden. Weil wir sind jene, die an vorderster Front sind und dadurch auch am schnellsten wahrnehmen, wo es Probleme gibt. Und wir werden nicht schweigen, wenn Regelungen getroffen werden, die einem Großteil der Menschen schadet.

Was gibt Ihnen Kraft für diese vielen Herausforderungen?
Die Vorstellung ist meistens, die Arbeit bei der Caritas sei nur schwer. Und natürlich gibt es ganz viele Schicksale, aber wenn man sieht, dass man helfen kann, dann ist das irrsinnig schön und gibt Motivation. Und bei mir ist es sicher auch der Glaube, der mir Halt gibt.

Inwiefern hängt Glaube und Soziales für Sie persönlich zusammen?
Manches ist mir sicher auch in die Wiege gelegt worden: Dass es wichtig ist hinzusehen, wenn es anderen nicht gut geht, obwohl wir selber relativ wenig gehabt haben und nicht in einfachen Verhältnissen aufgewachsen sind. Und für mich war die Verbindung zur Kirche von Beginn an da.

Wenn ich das, was mir im Glauben wichtig ist – diese Menschenliebe – nicht leben kann, dann ist es nicht echt. Das Soziale ist also immer die Umsetzung meines Glaubens und auch das, was Kirche vermittelt. Die Kritik an Kirche in der jetzigen Zeit ist ja oft, sie sei nicht so sehr am Menschen interessiert. Aber genau da setzen wir als Caritas an: Wir sind ganz direkt dran.

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