Soziologischer Standpunkt
Die Impfdebatte als Spaltpilz für die Gesellschaft

Die Pandemie spaltet unsere Gesellschaft – die künftig geplante Impfpflicht treibt die Spaltung zusätzlich an. | Foto: PIxabay
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  • Die Pandemie spaltet unsere Gesellschaft – die künftig geplante Impfpflicht treibt die Spaltung zusätzlich an.
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Familien und Freundschaften brechen auseinander, der Ton – besonders in den sozialen Medien – wird rauer, herabwürdigender, respektloser: Geimpft oder ungeimpft ist ein Status, der zum Spaltpilz für unsere Gesellschaft geworden ist. Meinbezirk.at beleuchtet diese Diskussion und die Kluft, die sie bewirkt, aus soziologischer Sicht.

STEIERMARK. Kein anderes Thema polarisiert derzeit mehr als die Debatte um die Impfung gegen das Coronavirus – und das nicht nur innerhalb Österreichs, sondern rund um den Globus. Die vonseiten der Regierung geplante Einführung der Impfpflicht befeuert den Konflikt zusätzlich. Die Gräben innerhalb der Gesellschaft vertiefen sich und scheinen zusehends unüberwindbar. Meinbezirk.at hat mit der Soziologin Johanna Muckenhuber über den aktuellen Keil in unserer Gesellschaft gesprochen und darüber, was die Impfpflicht soziologisch gesehen verursacht.

Meinbezirk.at:  Was hat die Pandemie mit unserer Gesellschaft gemacht?
Neben den ökonomischen Faktoren wurden und werden durch die Pandemie und durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie viele Probleme unserer Gesellschaft wie mit einem Brennglas verstärkt. Das betrifft unter anderem die Situation von Menschen aus sozio-ökonomisch benachteiligten Gruppen und hier in besonderem Ausmaß Kinder und Jugendliche. Die Pandemie hat gezeigt, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen nicht nur in einem sehr unterschiedlichem Ausmaß von der Pandemie betroffen sind, sondern quer durch alle Bevölkerungsgruppen auch sehr stark divergierende Einschätzungen ihrer Gefährdung durch das Virus und stark divergierende Positionen zu notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie vertreten.

Was macht die Impfpflicht mit uns als Gesellschaft?
Aus meiner Sicht ist es zu früh, dies abschließend zu beurteilen. Zum aktuellen Zeitpunkt zeigt sich, dass die Impfpflicht noch stärker als die bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie polarisiert. Welche Auswirkungen auf die Durchimpfungsrate durch die Impfpflicht erzielt werden, kann erst nach In Kraft treten derselben beurteilt werden. Möglicherweise könnten sich jedoch mit der Impfpflicht ein ähnlicher Verlauf der öffentlichen Diskussion und Stimmung zeigen wie z.B. bei der Einführung des Rauchverbotes in Gaststätten. Möglicherweise wird sich die polarisierte Diskussion wieder beruhigen und an Dynamik verlieren, sobald die Impfpflicht eine gewisse Zeit lang in Kraft ist und mit Widerstand dagegen kein Aufheben der Impfflicht mehr erwartet und erhofft wird. Bei einer kleineren Gruppe an Personen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich deren Ablehnung der Impfpflicht auch im Zeitverlauf nicht ändert.

Befasst sich im Speziellen mit den Unsicherheitsfaktoren der Covid-19-Pandemie im Arbeitsumfeld: Soziologin Johanna Muckenhuber | Foto: RegionalMedien Steiermark
  • Befasst sich im Speziellen mit den Unsicherheitsfaktoren der Covid-19-Pandemie im Arbeitsumfeld: Soziologin Johanna Muckenhuber
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Wie lässt sich der Keil, der durch die Impfdiskussion entstanden ist, soziologisch erklären und eventuell wieder „entfernen"?
Die Pandemie ist eine hoch komplexe Situation mit einem hohen Ausmaß an Unsicherheit. In Situationen wie diesen tendiert ein Teil der Bevölkerung dazu nach Klarheit und einfachen Lösungen zu suchen, während Ambivalenzen und bestehende Ungleichheiten als bedrohlich erlebt und in Folge ausgeblendet werden. Dies kann dazu führen, dass Argumente von anders Denkenden nicht mehr gehört werden. Das Denken wird zunehmend eindimensional und zunehmend abgeschottet. So werden extreme Positionen verstärkt. Durch den fehlenden Austausch an realen Orten wird die Notwendigkeit einer Begegnung mit anders Denkenden zusätzlich eingeschränkt. Durch soziale online-Netzwerke, Echoräume und Filterblasen werden die eigenen Argumente und Meinungen verstärkt, andere Meinungen immer weniger wahrgenommen.

Was kann dagegen helfen?
Begegnungen auf Augenhöhe zwischen Menschen unterschiedlicher Meinung an realen Orten in einem respektvollen Diskurs wären notwendig. Zudem wäre es wichtig, dass die Gespräche mit Andersdenkenden auch innerhalb von Freundeskreisen und in den Familien, am Arbeitsplatz in Vereinen respektvoll weitergeführt werden, da ein emotional positiver Zusammenhalt die Grundlage dafür bilden kann, dass die Argumente anders Denkender angehört und überdacht werden. Dies kann und sollte auch institutionalisiert unterstützt werden.

Ist die Impfpflicht - gesellschaftlich gesehen, nicht medizinisch - die optimale Lösung?

Eine optimale Lösung wäre sicher gewesen ohne Impfpflicht einen ausreichend großen Teil der Bevölkerung von der Sicherheit, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Impfung zu überzeugen. Hier wäre durch eine enge Zusammenarbeit mit Fachkräften, die in direktem Austausch mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen stehen und ein einfacher und niederschwelliger Zugang zu Impfangeboten vielversprechend gewesen. Dies kann z.B. in Bremen (Bremen ist mit einer Impfquote von über 80 Prozent das Musterbeispiel unter allen deutschen Bundesländern, Anmerk. d. Red.) mitverfolgt werden.

Geimpft oder ungeimpft? Eine  Frage, die einen Keil in unsere Gesellschaft treibt. | Foto: Land Salzburg / Franz Neumayr
  • Geimpft oder ungeimpft? Eine Frage, die einen Keil in unsere Gesellschaft treibt.
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Gibt es in der Geschichte der Soziologie ähnliche Beispiele für eine Spaltung der Gesellschaft?
Leider gab es in der Geschichte zu unterschiedlichen Zeitpunkten massive Spaltungen der Gesellschaft. So kann z.B. zum Thema der Impfungen bereits im Jahr 1928 bei Kurt Tucholsky nachgelesen werden, wie emotional die Debatte auch damals geführt wurde. Bei weitem massivere und bedrohlichere Spaltungen der Gesellschaft haben Österreich, Europa und viele andere Weltregionen in den Jahren vor und während der beiden Weltkriege, während Bürgerkriegen und Bürgerkriegsähnlichen Zuständen erlebt. Hier sei als ein Beispiel von vielen auch innerhalb Europas auch der Krieg zur Zeit des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien angeführt, der die Gesellschaft dort in einem massiven Ausmaß und auf zerstörerische Art und Weise spaltete.

Ist diese Spaltung wieder auflösbar?
Der Blick in die Geschichte zeigt, dass sich Spaltungen der Gesellschaft wieder beruhigen können. Dies erfordert jedoch entsprechende Bemühungen auch lange nachdem der aktuelle Anlass der Spaltung nicht mehr aktuell ist.

Über Johanna Muckenhuber:
Johanna Muckenhuber studierte Psychologie und Soziologie an den Universitäten Graz, Wien und Paris X. Sie absolvierte ihr Doktoratsstudium der Soziologie am Institut für Höhere Studien und an der Universität Wien, habilitierte danach im Fach Sozialmedizin an der Medizinischen Universität Graz und war lehrte als Professorin an den Universitäten Graz und Minnesota (Fulbright Visiting Professor). Aktuell ist Muckenhuber aktuell an der FH Joanneum als Dozentin am Studiengang Soziale Arbeit und als Psychotherapeutin in freier Praxis tätig.
Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Folgen von sozialer Ungleichheit, mangelnder sozialer Ressourcen und schlechter Arbeitsbedingungen auf die psychische und physische Gesundheit, unter besonderer Berücksichtigung von Gender und Alter.  Aktuell befasst sich Muckenhuber mit den Anforderungen, Ressourcen und Handlungsspielräumen in Zusammenhang mit Digitalisierungsprozessen am Arbeitsplatz, mit den Herausforderungen für Teams und Führungspersonen in Zusammenhang mit Unsicherheitsfaktoren der Covid-19-Pandemie in der psychosozialen Versorgung und mit dem Möglichkeiten und Grenzen digitaler Kommunikation im Kontext eingeschränkter Sozialkontakte und von Einsamkeit.

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