Barrierefreiheit
Desaströse Umgangsweise mit Barrierefreiheit der ÖBB

Luca Kielhauser war beruflich mit der Bahn unterwegs.  | Foto: Luca Kielhauser
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Mein Name ist Luca Kielhauser – ich bin freischaffender Journalist und auf den Rollstuhl angewiesen – und mir ist letztens etwas im Zuge eines Angebots der ÖBB widerfahren, was keineswegs nur für mich von Relevanz ist. Punkto Barrierefreiheit gab es hierbei ein derartiges Versagen, weshalb ich mich nun im Namen von allen potentiell betroffenen Menschen im Rollstuhl an die Öffentlichkeit wende.

STEIERMARK. Am 13. Juni dieses Jahres fuhr ich aus beruflichen Gründen abends mit dem Zug vom Hauptbahnhof Graz nach Wien Hauptbahnhof und war – wie es die Bestimmungen vorsehen – rechtzeitig als Rollstuhlfahrer angemeldet. Das Mobilitätsservice, durch welches mir erst das Einsteigen in den Zug ermöglicht wird, funktionierte tadellos, das Problem lag ganz wo anders. Das einzige Rollstuhl-WC im Zug war aufgrund eines Defekts gesperrt.

Die Gegebenheiten

Aus Platzgründen sind andere Wagons und dementsprechend sämtliche weitere Toiletten mit Rollstuhl nicht erreichbar. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen manuellen Kinderrollstuhl oder einen großen elektrischen Rollstuhl handelt, die Türen sind einfach zu schmal. Auf Nachfrage erwähnte die Zugbegleiterin, dass sie das kaputte WC bereits vier Tage zuvor, also am 9. Juni gemeldet hatte. Ihr selbst ist natürlich kein Vorwurf zu machen, die Situation war ihr denkbar unangenehm. Immerhin fuhr der Zug bis nach Brno (Tschechien), was eine Gesamtzeit von vier Stunden bedeutet.

Ein unzumutbarer Zustand

Wenn man nun berücksichtigt, dass einige Rollstuhlfahrer aufgrund ihrer Erkrankung bestimmte Zeiten für den Toilettengang einhalten müssen bzw. ein Aufschieben nur sehr schwer möglich ist, ist dieser Zustand unzumutbar. Genauso gut hätte dieser Vorfall auch bei einer Fahrt von Graz nach Berlin über Wien geschehen können. Ein Rollstuhlfahrer, der bis in die deutsche Bundeshauptstadt fahren hätte wollen, hätte sich in diesem Fall geschlagene zehn Stunden ohne Toilettengang begnügen müssen – ein beispielloses Armutszeugnis für das Management der Bundesbahnen. Doch das war nur der Anfang eines mehrtägigen Desasters.

Doppelte Zugabe

Am 14. Juni 2022 reiste ich dann am Nachmittag mit dem Zug vom Wiener Hauptbahnhof nach Graz zurück, das Behinderten WC der zufällig erwischten selben Garnitur war immer noch defekt. Der Umstand, dass bei einer erneuten Fahrt von Graz nach Wien am 16. Juni derselbe kaputte Wagon weiterhin im Einsatz war und die Fehlermeldung der Zugbegleiterin zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als eine Woche zurücklag, lässt auf eine umfangreiche Ignoranz und ein falsches Prioritätensetzen der ÖBB gegenüber Grundbedürfnissen von behinderten Menschen schließen.

Keine Rückmeldung der ÖBB

Dass diese Causa von der ÖBB für eindeutig unwichtig wahrgenommen wird, verdeutlicht die Stellungnahme zu einer schriftlichen, detailliert beschreibenden Beschwerde vom 16. Juni – es gab nämlich keine. Nach der detaillierten Konfrontation mit dem Problem per E-Mail gibt es auch nach über zwei Monaten nach diesem Vorfall keine Rückmeldung der Bundesbahnen. Gelesen dürfte man die Nachricht jedoch schon haben, denn ohne darüber Bescheid zu geben, erschien in der ÖBB-App ein Gutschein für vier Sitzplatzreservierungen (ohne Ticket). Wenn man jedoch weiß, dass bei einem Kauf eines Rollstuhltickets die Sitzplatzreservierung bereits bei der Anmeldung über das Mobilitätsservice inkludiert ist (diese Anmeldung ist zwingend notwendig, um überhaupt erst in den Zug zu gelangen) scheint diese „Entschädigung“ als Hohn.

Tatkräftige Verbesserungen müssen erfolgen

Bei der Veröffentlichung dieses Erlebnisses geht es nicht primär um die Forderung einer Rückerstattung für ein dreifach gebuchtes und bezahltes Angebot, welches essentielle Bedürfnisse offen ließ. Viel mehr möchte ich als Journalist mit der Offenlegung dieser wahren Begebenheit auf die viel zu oft miserable Umgangsweise mit den Themen Barrierefreiheit, Inklusion und Grundbedürfnissen behinderter Menschen mit all ihrer Wichtigkeit hinweisen. Ja, die ÖBB ist hiermit als staatliches Unternehmen in einer Vorreiterrolle und explizit dazu angehalten, für diese Themen wesentlich mehr zu tun, als aktuell getan wird. Damit sind keine Solidaritätsbekundungen an den Fassaden der eigenen Gebäude oder in Werbespots, sondern die Vorbildwirkung anhand von realen, innovativen, grundsätzlichen und revolutionären Handlungen in diesen Bereichen im eigenen Betrieb gemeint.

Grundverständnis zur Thematik

Behinderte Menschen sind – entgegen der oftmals verwendeten Bezeichnung – keine Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Sie haben die selben wie jeder andere Mensch, einzig für die teilweise kompliziertere Gewährleistung zur Befriedigung dieser, stehen moderne Gesellschaften in der Pflicht. Diesen Umstand zeigt dieses Erlebnis. Weiter verdeutlicht es, dass „behinderte“ Menschen oftmals nur deshalb „behinderte“ Menschen sind, weil sie aufgrund solcher Begebenheiten „behindert“ werden.

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