Kultur kurios: Wenn das Volk tanzt
Warum zeigt kulturelle Praxis uns eine beharrliche Weigerung, die allgemeine Auffassungen von Volkskultur auf die Höhe der Zeit spazieren zu lassen?
Ich verrate es Ihnen. Weil Volk und Kultur zwei so komplexe, dynamische Phänomene sind, daß sie sich nur schwer bewirtschaften lassen, wenn man es mit der Betrachung und Beschreibung von Volkskultur nicht so salopp nimmt wie Eventmanagements.
Daher wird nach wie vor zwischen „volkstümlich“ und „volksdümmlich“ unterschieden, grenzen sich eher puristische Zirkel gegen eher bedenkenlose Vergnügungsmenschen ab, denn was E und was U sei, also ernst und unterhaltend, will wenigstens die Mittelschicht noch klar haben. Aber manchmal werden die Grenzen fließend.
Damit meine ich nun nicht die unerheblichen Gesänge eines „Volks-Rock ‚n’ Rollers“, welcher als poliertes Produkt der Unterhaltungsindustrie „Bodenständigkeit“ simuliert. Da weiß man bei genauerem Hinhören überhaupt nicht, was das jetzt sein soll, außer einer sentimentalen Party-Maschine, die mit energischem Kassaklingeln enormen Umsatz generiert, was ja fein ist, solange die ganze Kohle nicht in einem Steuerparadies landet.
Worum geht es also, wenn Volk und Kultur zusammengereimt, schließlich mit großer Schrift an Plakatwände gemalt werden? Ein gewichtigs Thema, das sich nicht in drei Sätzen abhandeln läßt. Es steht uns frei, daran zu arbeiten. Wenn die Menschen in Partylaune sind, wird manches deutlich. So in diesen Tagen.
Ich lese: „Da lacht das grüne Herz: Beim Aufsteirern Festival vom18. bis 20. September wird Brauchtum gelebt.“ Fein! Die Überschrift dazu lautet: „Das Fest der steirischen Volkskultur“. Das Identitätsangebot ist extrem simpel. „Kult“ wird aus dem Ärmel geschüttelt. [Quelle]
Ein paar Jährchen prächtige Unterhaltung für gut gelaunte Menschen reichen also, um Legenden zu konstituieren, denn dort findet sich die „Vielfalt der steirischen Volkskultur beim mittlerweile legendären Aufsteirern“.
Nun sei den Leuten jede Vergnügung gegönnt und den Wirtsleuten jedes gute Geschäft, denn das tut einem Volk ja gut und hat viele vorteilhafte Konsequenzen. Außerdem hebt es ein Weilchen später gewiß die Geburtenrate an, was die Steiermark jederzeit vertragen kann.
Die Sache hat einen kleinen Haken. Was wir dort sehen und hören können, ist interessant, erlebenswert, aber gewiß nicht die Kultur des Volkes, wie sie quer durch den Jahreslauf und Jahr für Jahr von weiten Kreisen praktiziert, gelebt wird.
Das ist noch nicht einmal, was uns eine situierte Mittelschicht jenseits von Graz vorlebt oder einigermaßen konsequent für sich lebt. Hier hat also die Unterhaltungsindustrie ein interessantes Großereignis (groß für steirische Verhältnisse) entwickelt, umgesetzt, etabliert. Eine beeindruckende Leistung.
Allerdings wurden dabei Motive vermarktet, die mehrheitlich aus einem anderen Zusammenhang stammen. Das hat zur Folge, daß andere Felder ihrer Bilder und Begriffe beraubt sind. Der Zusammenhang ist leicht verständlich. Wird der Begriff Volkskultur von Geschäftsleuten okkupiert und erfolgreich zu Geld gemacht, ist er zur Benennung der Kultur des Volkes, der Bevölkerung, nur mehr sehr eingeschränkt zu gebrauchen.
Am deutlichsten wird das Problem etwa dadurch, daß diese gegenwärtige Inszenierung Aspekte betont, die der versunkenen agrarischen Welt und dem vorindustriellen Handwerk zugeschrieben werden müssen.
Was „Aufsteiern“ zeigt, hat selbst mit der realen sozialen Vergangenheit der Steiermark in ländlichen Gebieten eher wenig zu tun. Es ist mehr eine Art Musical zum Mitspielen, es baut auf Motive, die im vorigen Jahrhundert schon veraltet waren. Auch das birgt Nachteile für die Betrachtung einer Gegenwart von Volkskultur.
Ich stoße mich daran gar nicht, denn eine alte Faustregel in der Betrachtung von Volkskultur besagt: Spektakel müssen sein! Ich frage mich bloß, wie wir an den Aspekten dessen arbeiten können, was all dem gegenüber tatsächlich gelebte Alltags- und Volkskultur der Gegenwart ist.
Es bleibt also festzustellen, daß die Unterhaltungsindustrie ein bestimmtes kulturelles Segment ihrer Bilder und einiger Begriffe beraubt hat, um diese zu verwerten. Das hat aber seinerseits das Zeug, zu genuiner Volkskultur zu werden, wo es Dauer entfaltet, breiten Zuspruch findet und längst eine deutliche Kodifizierung durchlaufen hat.
Dem haben sich inzwischen allerhand Hüter einer vom Kleinbürgertum approbierten Volkskultur angeschlossen. Das sind demnach Vorgänge, die kaum noch beeinsprucht werden können. Derlei hat vielleicht auch seine guten Seiten. Es bedeutet eventuell, daß man sich unspektakuläreren Formen von Volkskultur recht unbekümmert widmen kann, ungestört vom Kommerz, weil da noch keine Company drauf hockt, die das kanalisiert und zentral inszeniert.
Damit bin ich bei meinem eigentlichen Thema dieser Woche angekommen. Schon im Jahr 1961 erschien erstmals Hermann Bausingers Buch „Volkskultur in der technischen Welt“. Dieser Teil einer authentischen Volkskultur, die auch gegenwärtig gelebt wird, ist bisher weder in den regionalen Kulturreferaten noch im Feuilleton zur Kenntnis genommen worden.
Das Kulturlabor Kunst Ost hält es damit etwas anders. Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung „Mythos Puch“ widmet sich eine kontrastreiche Runde im Gemeindezentrum Albersdorf-Prebuch diesem Thema.
Das ist Teil des 2015er Kunstsymposions von Kunst Ost und vom Kultur.at: Verein für Medienkultur.
P.S.:
Falls DAS die "Identität" und die "Kultur" sei, um deren Bestand vaterländische Kräfte derzeit so laut und ausdauernd fürchten, müssen wir mit diesen Leuten einmal über unsere Kultur reden und über das, was die Werbeindustrie uns die letzten hunder Jahre als "Identität" angedient hat.
+) "Mythos Puch": Der Themen-Tag [link]
+) Kultur kurios: Übersicht [link]
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