Europa ernst nehmen: Kosova
Der Abend „Contrasts and Perspectives“ (Bedingungen der Kunst im Kosovo) war ein vergleichsweise stiller Vorbote der folgenden Vernissage im Gleisdorfer Museum im Rathaus, die bei vollem Haus stattfand.
Die Round Table-Veranstaltungen im Rahmen des heurigen Gleisdorfer Kunstsymposions sind zwar für Publikum frei zugänglich, aber sie sind kein Unterhaltungsprogramm. Da geht es um Arbeitsgespräche, die Kulturinteressierte inhaltlich voranbringen sollen.
Bei einer der Eröffnungsreden der erwähnten Vernissage war aus regionaler Quelle zu hören, die Kultur sei „völkerverbindend“, was gerade „ in Zeiten wie diesen“ Gewicht habe, sie überwinde sogar „Sprachbarrieren“ etc. etc. etc.
Das tut sie freilich nicht, nicht so und nicht von sich aus.
Derlei ist übliches Politik-Karaoke, mit dem die eigentlichen Anforderungen an Kultur- und Wissensarbeit völlig ausgeblendet werden. Was der Round Table am Vorabend mehr als deutlich gemacht hat, ist das schmerzhafte Nord-Süd-Gefälle, dem gegenüber sich der wohlhabende Norden seit wenigstens zweihundert Jahren weigert, alte Schulden zu begleichen.
Solches Politik-Karaoke erwähnt leider auch nicht, welche sozialen und kulturellen Unterschiede uns die alte Militärgrenze beschert hat. Wir erfahren nicht, was die Unterschiede in der Mentalitätsgeschichte bis heute an Rücksicht fordern, weil ein halbes Jahrtausend hier unter habsburgischer und dort unter osmanischer Herrschaft nach wechselseitiger Achtsamkeit verlangen; und zwar zwingend, wenn wir mit Ernst über unser Europa und dessen Werte reden.
Es mag ja verständlich sein, daß hier niemand mehr wissen will, was die Ethnien einander getan und daran gelitten haben, als Jugoslawien versenkt wurde. Doch es geht nicht an, unseren Blick nach dem Süden bloß so zu fokussieren, daß wir die Menschen nur über ihre Defizite betrachten.
Als Europäer sollte ich auch den Klang unseres Kontinents kennen. Würden Sie im Hören die albanische und die serbische Sprache unterscheiden können? Sind Ihnen wenigstens einfachste Orientierungspunkte schon einmal aufgefallen? Darf man bei einer Vernissage das „Völkerverbindende“ der „Kultur“ mehrfach betonen, ohne sich selbst diesem verbindenden Kräftespiel wenigstens kurz ausgeliefert zu haben?
Damit deutlich wird, was ich meine und was ich zu kritisieren habe, ein paar Details. Die albanischen Leute sagen Kosova; mit A am Ende. Sie sind heute die ethnische Mehrheit auf dem Kosovo Polje, dem historischen Amselfeld, das im früheren Jugoslawien Teil der autonomen Provinz Kosovo i Metohija war.
Bei uns hat das kaum je jemanden interessiert. „Kosovo und Metochien“ klingt bloß für Geschichtskundige vertraut. Das albanische „Rrafshi i Dukagjinit“ für Metochien kann man nur in Büchern nachschlagen. Das muß jetzt freilich nicht Teil von österreichischem Allgemeinwissen sein. Die albanischen Leute nennen den Staat heute Republika e Kosovës.
Ich habe gehört, wenn Serben höflich sind, reden sie von „Albanci“, wogegen es beleidigend gemeint ist, wenn jemand „Shiptar“ sagt. Im Gegenzug werden reizbare Albaner die Serben als Tschetniks ansprechen; in Anspielung auf die Milizen von Draza Mihailovic, die sich in der Tradition von Freischärlern gegen die Osmanen sahen.
Falls Sie meinen, es sei unnötig, an solche historischen Gegebenheiten einige Gedanken zu verschwenden, dann haben Sie nicht verstanden, was in Gleisdorf geschehen ist. Diese Ausstellung, initiiert von Valton Halimi und Karl Bauer, hat eine kleine Vorgeschichte.
Vor einigen Jahren, 2008, hatte sich Karl Bauer schon einmal bemüht, Kunstschaffende aus dem Kosovo nach Gleisdorf zu bringen. Dem unbedarften Einheimischen konnte dabei nicht auffallen, daß etwas Stilles, aber Massives geschah, als serbische Leute ankamen. Das hat sich nach außen nicht besonders deutlich gezeigt, aber es war da. Wie ein kurzes Erstarren, nach dem die Atmosphäre im Raum verändert blieb.
Das ist heuer nicht so gewesen. Dieser Frost blieb aus, wo albanische auf serbische Menschen trafen. Außenstehende können natürlich nicht wissen, daß es dazu auch quer durch die verflossenen Jahre weitergehende Verständigung gab, Begegnungen, Austausch, daß also die aktuelle atmosphärische Qualität nicht vom Himmel gefallen ist.
Sie verdankt sich Menschen, die bereit sind, über den eigenen Schatten zu steigen. Wir wissen meist nicht einmal, was das für Schatten sind. Schatten von Kämpfen am Dulje-Paß oder von schweren Stunden in Racak. Wenn sich heute die Kämpfer und die Kinder von damals begegnen, dann berührt das Wunden, es weckt Dämonen.
Was nun auch der Round Table anklingen ließ und was die Tage mit den kosovarischen Leuten deutlich gemacht haben, wir dürfen die Betroffenen, die Verwundeten, die einst Bedrohten nicht mit sich und nicht mit den Anderen alleine lassen. Wir müssen einander Schutz und Zuversicht geben, damit die Wunden heilen und der Haß verklingen kann.
Das leistet niemand mit einer schwülstigen Rede vom „Völkervebindenden“, das verlangt, sich einender über Jahre zuzuwenden. Das ist Arbeit, die Kontiunität braucht. Wenn wir Europa ernst nehmen, liegt da noch viel vor uns.
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