Neue Maßnahmen der Stadt Wien
Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen hat psychische Probleme
Die Stadt Wien setzt neue Maßnahmen für die psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Neben mehr Beratungsstellen und Ausbildungsplätzen setzt man auf die Behandlung zu Hause und im Ambulatorium mit Tagesklinik.
WIEN. Die Pandemie hat starke Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Dem will die Stadt Wien mit dem heute, am 24. Februar, präsentierten "Maßnahmenpaket zur psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie“ entgegenwirken.
"Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche ein gutes Leben in Wien haben. Leider wurden die Folgen der Pandemie hier anfänglich zu wenig gesehen", sagt Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos). Deshalb schaffe man jetzt ein zusätzliches Rettungsnetz, das der Stadt Wien ein großes Anliegen sei.
Pandemie hat drastische psychosoziale Folgen
Die Zahl der jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen ist in der Corona-Krise dramatisch gestiegen. "Über die Hälfte der Kinder und Jugendlichen haben relevante psychische Probleme im Rahmen der Pandemie entwickelt", so Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien und Leiter des Psychosozialen Krisenstabs Wien.
Die Coronapandemie belastet Kinder und Jugendliche massiv. "Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen wurde im letzten Jahr nicht wahrgenommen. Sie wurden nur als 'Schüler' angesehen, aber das ist nur ein Bruchteil der Identität von Kindern und Jugendlichen", sagt Gesundheitspsychologin Caroline Culen der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit.
"Aufgrund der Pandemie sind wichtige Entwicklungsschritte verhindert worden: Autonomie entwickeln, selbstständig werden, Freunde außerhalb der Familie finden, Werte und Identität entwickeln und den Selbstwert stärken", so Culen.
"Die Symptome die wir jetzt beobachten können sind Hoffnungslosigkeit, Motivationslosigkeit, sozialer Rückzug, depressive Symptomatik, massive Ängste und der Verlust von jeglicher Hoffnung in die Zukunft", berichtet die Gesundheitspsychologin. "Wir dürfen Kinder und Jugendliche nicht alleine lassen. Wir müssen gesellschaftlich und politisch agieren und das auch präventiv".
Ausbau des Beratungsangebotes
"Wir wollen die psychosoziale Begleitung ausbauen", so Wiederkehr. Er setzt dabei insbesondere auf den Ausbau der Beratungsmaßnahmen. Unterstützung erhalten betroffene Kinder und Familien bei der Servicestelle der Wiener Kinder-und Jugendhilfe, den Familienzentren, den Regionalstellen für Soziale Arbeit mit Familien und der Psychologischen Onlineberatung.
"Nicht zu vergessen ist das umfangreiche Angebot der Wiener Jugendarbeit vor Ort", so der Vizebürgermeister. An den verschiedenen Standorten gibt es aktuell auch Journaldienste, Beratungen durch Jugendarbeiter im öffentlichen Raum sowie Online-Angebote der Kinder- und Jugendarbeit.
Deutlich erweitert wird das Angebot der psychologischen Telefonberatung. Unter der Service-Nummer 01/ 400 08 011 gibt es ab sofort täglich von 8 bis18 Uhr eine telefonische Beratung durch Psychologen. Zudem setzt die Stadt Wien im Bereich Bildung und Jugend, Fachbereich Jugend den Jahresschwerpunkt „Gesundheitskompetenz.JA“.
Im Zuge von „Gesundheitskompetenz.JA“ sind weitere Angebote und Maßnahmen hinsichtlich Sport und Bewegung, der Verbesserung von seelischer und psychischer Gesundheit sowie "Digital Wellbeing" geplant.
Mehr Ausbildungsplätze für Psychiater gefordert
Aktuell stark ausgelastet sind die Kinder- und Jugendpsychiatrien in Wien. "Aber es ist wichtig, die seelische Gesundheit bereits vor dem Akutfall zu behandeln", betont Sozial- und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Ein wesentlicher Punkt seien hier die Ausbildungsmöglichkeiten.
"Die Versorgung mit Fachkräften ist in Wien alles andere als befriedigend", sagt Hacker. In Wien sind lediglich sechs der 43 Kinder- und Jugendpsychiater für Kassenpatienten. Hier müsse sich langfristig etwas ändern. Es brauche eine Erhöhung der Ausbildungsplätze.
Die nötigen Strukturen gebe es bereits "So sagt etwa Professor Plenner vom AKH Wien, er könnte weit mehr Kinder- und Jugendpsychiater ausbilden. Aber er darf nicht mehr ausbilden, weil die Richtlinien der Ärztekammer gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium es verhindern", erzählt Hacker.
Eine Änderungen der bestehenden Richtlinien liege bei Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). "Die Forderung an den Gesundheitsminister ist unmißverständlich: Wir brauchen eine Erhöhung der Ausbildungsplätze. Das Thema liegt aber seit über einem Jahr unerledigt beim Gesundheitsministerium", prangert der Stadtrat an. Eine entsprechende Entscheidung und Schaffung neuer Ausbildungsplätze erwarte Hacker bis zum Sommer.
Psychiatrisches Ambulatorium mit Tagesklinik
"Wir müssen sehen, dass es einen Teil der Kinder und Jugendlichen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger betreffen wird", so Psota. Deshalb müsse man die Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten in Wien ausbauen. "Das ist unerlässlich, um entsprechend negative Auswirkungen auf lange Sicht hinten anzuhalten."
"Wenn man die Ausbildungsmöglichkeiten ausbaut, muss zugleich auch die Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten ausbauen", ist sich Psota sicher. Wesentlichen Beitrag zur psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Wien leisten zwei neue Projekte: "Extendend Soulspace" und "Hometreatment".
Bereits seit Dezember 2019 gibt es in Wien den "Extended Soulspace" in Hietzing. Dabei handelt es sich um ein Kinder- und Jugendpsychiatrische Ambulatorium mit Tagesklinik. "Geboten wird eine tagesklinische Behandlung inklusive Wohnangebot im multiprofessionellen Kontext", so Psota. Das Projekt sei gut angenommen worden, es gebe sehr positives Feedback.
Pilotprojekt "Hometreatment"
Aus dem "Extended Soulspace" ist ein weiteres Projekt entstanden, das "Hometreatment". "Dabei geht es aber nicht nur um Hausbesuche, sondern um ein konzeptuell getragenes Behandeln zu Hause in einer bestimmten Regelmäßigkeit", erklärt Psota. Das Ganze ähnelt einer stationären Behandlung, eine sogenannte "stationsäquivalente Behandlung".
Bei "Hometreatment" handelt es sich um ein Pilotprojekt, das erstmalig in Österreich in dieser Art und Weise umgesetzt wird. Es wird von den Psychosozialen Diensten in Wien (kurz "PSD") gemeinsam mit der Universitätsklinik umgesetzt. Das Projekt startet ab März.
Zu Beginn wird bei "Hometreatment" in zwei Teams gearbeitet. "Dabei handelt es sich um ein multiprofessionelles Team bestehend aus sechs Mitarbeitern – darunter aber nicht nur Psychologen und Psychiater", so Psota. Nach der Pilotphase ist eine Ausweitung des Angebots geplant.
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