Klimastadtrat Czernohorszky
"Klimaneutralität ist eine Herkulesaufgabe"
Wien will bis 2040 klimaneutral sein. Eine wichtige Rolle spielt dabei Sonnenenergie. Wie es mit der Sonnenstrom-Offensive der Stadt Wien vorangeht, was das Ziel bis 2030 ist, wie sich Private und Betriebe das leisten sollen und warum manch eine Antwort "wie eine Umgehung der Frage klingt": Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) im Gespräch.
Herr Stadtrat, Wien hat ein ehrgeiziges Ziel: Klimaneutralität bis 2040. Wie realistisch schätzen Sie dieses Ziel zum derzeitigen Stand ein?
JÜRGEN CZERNOHORSZKY: Also grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass es realistisch sein muss. Weil das Ziel natürlich sein muss, dass Wien nicht nur jetzt die Stadt mit der größten Lebensqualität ist, sondern das auch in 20 Jahren noch ist. Es geht um die Frage, wie wir uns auf die heißer werdenden Sommer vorbereiten und dafür sorgen, dass wir raus aus dem fossilen Zeitalter kommen. Deswegen haben wir uns diese klare Mission gesetzt, Klimaneutralität bis 2040 zu schaffen. Nicht aus Jux und Tollerei, sondern eben, um diese Stadt auch in 20 Jahren, auch in 30 Jahren zu einem Ort zu machen, an dem ein gutes Leben möglich ist.
Welche zentralen Fragen stellen sich hier im Besonderen?
Es betrifft den Grünraum im öffentlichen Raum, aber auch, wie man in zehn oder 20 Jahren klimafreundlich mobil sein kann. Das riesengroße Thema ist die Energieversorgung, wo - das muss man einfach sagen - eine Herkulesaufgabe auf uns wartet. Wir müssen raus aus Öl und Gas.
Die Frage ist, wie das alles gelingen soll?
Wir haben in Wien, anders als in anderen Bundesländern aber auch europaweit, einen sehr mutigen und sehr konkreten Plan gefasst. Das ist der Klimafahrplan. Dieser gibt den Weg bis 2040 vor, also den Pfad zur Klimaneutralität in allen Bereichen. Das reicht vom Gebäudebereich über die Mobilität, über die Abfallwirtschaft bis hin zur grünen Infrastruktur. Wir sind jetzt mittendrin im Abarbeiten dieses Plans
100 Fußballfelder pro Jahr
Vor zweieinhalb Jahren wurde die Sonnenstrom-Offensive ins Leben gerufen. Wie war damals der Beginn und was ist das konkrete Ziel?
Ich erinnere mich sehr gerne an den Start der Offensive, weil es zugleich der Start dieser Regierung war und wir im Regierungsprogramm gesagt haben, es muss in allen Bereichen um das Thema Klimaschutz gehen. Und daher war das auch der Schwerpunkt der allerersten Regierungsklausur. Wir standen damals bei 50 Megawattpeak (Anm.: MWp) und haben uns vorgenommen, die bis 2030 zu versechzehnfachen. Wir wollen also auf 800 Megawattpeak kommen. Das sind ungefähr 100 Fußballfelder PV-Flächen pro Jahr.
Kann das Ziel bis 2030 erreicht werden? Wie ist der Zwischenstand?
Wir stehen derzeit bei über 137 Megawattpeak. Wir sind wirklich unglaublich gewachsen. Und wenn man das ein bisschen herunterbricht auf den Gedanken, dass wir pro Jahr ein Plus von 50 Megawattpeak schaffen wollen, dann liegen wir heuer schon sehr, sehr gut im Plan. Wir sind derzeit bei über 30 Megawattpeak. Der heurige Sommer war bislang enorm gut. Alleine im Juli sind es 8,5 MWp gewesen.
Ganz so einfach ist die Anschaffung einer Photovoltaik-Anlage aber nicht. Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um das Prozedere zu vereinfachen?
Es braucht natürlich viele Rahmenbedingungen. Einige davon haben wir in den letzten Jahren schon gesetzt. Mit der Novelle zum Wiener Elektrizitätswirtschaftsgesetz ist es deutlich einfacher geworden Photovoltaikanlagen zu bauen. Eine große Erleichterung wird auch die Novelle der Wiener Bauordnung bringen, die derzeit in Begutachtung ist.
Woher wissen Wienerinnen und Wiener, ob ihr Haus für eine PV-Anlage geeignet ist?
Es gibt unser Solarpotenzialkataster. Damit kann man sich im Stadtplan für jedes Gebäude in Wien ansehen, wie hoch die Sonneneinstrahlung ist und wie groß eine PV-Anlage von der Dachfläche her sein könnte.
"Von Sonnenstrom profitieren alle"
Corona-Pandemie, Energiekrise, Inflation: Eine eigene Solaranlage wird bei den meisten wohl nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Wie wollen Sie die Wienerinnen und Wiener trotzdem erreichen?
Das ist natürlich eine zentrale Frage. Aus den genannten Gründen haben wir auch beobachtet, dass in den letzten Monaten, wo private Haushalte sehr stark unter Druck geraten sind, der Ausbau leicht zurückgegangen ist. PV-Anlagen sind kurzfristig natürlich eine finanzielle Herausforderung. Am Ende des Tages profitieren aber alle von Sonnenenergie und die Anlagen rechnen sich bereits nach kurzer Zeit. Die Technik ist langlebiger und auch günstiger geworden. Der Überschuss kann entweder selbst gespeichert oder ins System eines Netzbetreibers eingespeist werden. Den Ertrag bekommt man dann gutgeschrieben.
Wie sieht es mit Förderungen von der Stadt aus? Welche Möglichkeiten gibt es?
Wir fördern als Stadt Auf-Dach-Anlagen bei Privaten und Betrieben. Und es gibt Sonder-Förderschienen. Einmal für grüne Dächer. Da gibt es eine zusätzliche Komplexität, wenn man auf der einen Seite ein Dach nutzen will für das Ernten von Sonnenenergie, aber zugleich auch für das Ernten von Tomaten oder anderen Dinge. Das andere ist die PV-Flugdach-Förderung. Wenn Betriebe einen Parkplatz haben, kann dieser überdacht und zur Nutzung oder zur Herstellung von Energie verwendet werden – beispielsweise für E-Ladestationen. Wir als Stadt fördern den Ausbau mit bis zu 30 Prozent der Investitionskosten.
Dennoch will eine Photovoltaikanlage gut überlegt sein. Wo kann man sich über die Anschaffung und Fördermöglichkeiten informieren?
Beim Kompetenzzentrum Erneuerbare Energien – einer neuen Servicestelle der Stadt Wien. Dort erhält man Beratung zu den technischen Möglichkeiten, zu den Förderungen und zu den baulichen Genehmigungen. Unabhängig davon, ob man jetzt selbst Hausbesitzer ist oder Mieter. Alle Informationen zu Sonnenstrom gibt es auch online auf sonnenstrom.wien.gv.at
Wie viele PV-Anlagen gibt es denn schon an öffentlichen Gebäuden der Stadt Wien? Und wie viele sind es im Privatbereich?
Aktuell sind es 222 Gebäude im öffentlichen Bereich. Da ist uns wirklich viel gelungen in sehr kurzer Zeit. Insgesamt sind es 6.700 Gebäude.
Wien spart 30.000 Tonnen CO2 im Jahr
Es gibt ein eigenes Dashboard, bei dem sich auch die Bezirke gut vergleichen lassen. Die Flächenbezirke wie Donaustadt und Liesing stehen bei der Gesamtleistung besser da, als die kleineren Innenstadtbezirke. Das ist aufgrund der Fläche verständlich. Vergleicht man jedoch die kleineren Bezirke miteinander, zeigt sich, dass die Wieden das absolute Schlusslicht ist. Was läuft hier falsch?
Das ist richtig, was den Bezirksvergleich betrifft. Es zahlt sich aber aus, ein bisschen hinter die Zahlen zu schauen. In den Flächenbezirken gibt es einige sehr große betriebliche PV-Anlagen. Da wird auf einen Schlag sehr viel Energie lukriert. Es gibt aber auch andere Gründe, die etwa mit der Wohnbaustruktur oder mit der Gebäudestruktur zu tun haben. Gerade in den inneren Bezirken gibt es viele Gebäude in Schutzzonen oder unter Denkmalschutz. Da sind oft Prüfverfahren notwendig, um überhaupt eine Anlage errichten zu können. Ein Thema ist auch die Genehmigung.
Weshalb sind die nötigen Genehmigungen oft so schwierig zu erhalten?
Aktuell ist es so, dass ab einer Gebäudehöhe von elf Metern komplexere Genehmigungsverfahren notwendig sind. Solch komplexeren Genehmigungsverfahren hat die Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál ins Visier genommen. Es wird künftig deutlich leichter, auch für höhere Gebäude solche Genehmigungen zu bekommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir, auch was den innerstädtischen Bereich betrifft, ordentlich nachholen können.
Wie viel CO2 konnte bislang eingespart werden?
Rund 30.000 Tonnen pro Jahr. Das entspricht 40.000 Haushalten. Bis 2030 sollen es dann alle 800.000 Haushalte sein.
Wie viel Geld wird die Stadt für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2040 noch in die Hand nehmen müssen?
Das klingt wie eine Umgehung der Frage, aber es ist wirklich so gemeint: So viel, wie notwendig ist. Wir sind hier in einem Thema unterwegs, dem wir uns mit ganzem Herzen verschrieben haben. Nachdem das Ziel gesetzt ist, ist das Ziel, wenn man so will, das Limit und nicht ein bestimmter Betrag.
Zur Sache
Kompetenzzentrum Erneuerbare Energie
Operngasse 17-21/6.Stock, 1040 Wien
Beratung via E-Mail, telefonisch oder persönliche nach Voranmeldung
Mail: erneuerbare-energie@urbaninnovation.at
Tel.: 01/4000 84 287 (Mo bis Fr von 9.00 bis 12.00 Uhr).
Alle weiteren Infos und das Dashboard gibt es auf sonnenstrom.wien.gv.at
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.