Gesundheit
Politologin Prainsack spricht über Corona und Radikalisierung

Die Wiener Politologin Barbara Prainsack war Teil des Beraterstabs von Wolfgang Mückstein. | Foto: Privat
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Corona ist und bleibt ein Thema, das bei vielen Menschen große Emotionen auslöst. Barbara Prainsack gilt als Expertin im Bereich Gesundheitspolitik und war bereits im Beraterstab des Gesundheitsministeriums. Die Wienerin hat mit der BezirksZeitung über die aktuelle Situation gesprochen.

WIEN. Die Wiener Politologin Barbara Prainsack war Teil des Corona-Beraterstabs von Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. Im Interview mit der BezirksZeitung spricht die Expertin über ihre Erfahrungen im Kampf gegen die Pandemie, die neue Quarantäne-Verordnung und eine dramatische Radikalisierung eines kleinen Teils der Bevölkerung. 

Frau Prainsack, Sie sind Expertin auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik, waren auch im Coron-Beraterstab von Gesundheitsminister Mückstein. Wie nachhaltig hat die Pandemie die österreichische Gesundheitspolitik geprägt?
BARBARA PRAINSACK: Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie nachhaltig es ist. Zudem gibt es noch eine andere Schwierigkeit: Wir befinden uns gleich in einer mehrfachen Krise. Es ist so schwer zu sagen, was noch Covid-Krise und was schon etwas anderes ist. Aber es gibt durchaus Einschnitte, die seit Corona zu bemerken sind. Um mit etwas Positivem zu beginnen, erwähne ich gleich Mal das Thema Digitalisierung. Die Krise hat hier als Katalysator gewirkt. Dinge die vorher nicht möglich waren, wurden innerhalb kürzester Zeit ermöglicht. Vielen Menschen ist bewusst geworden, wie viel einfacher viele Dinge sein können, wenn man sie auch online aus der Distanz erledigen kann. Wenngleich hier auch immer die Gefahr mitschwingt, dass einige Verantwortliche sich gleich denken: Super, da kann man Kosten einsparen, dann brauchen wir weniger Personal. Da geht es dann um den menschlichen Faktor, der im Gesundheitsbereich besonders wertvoll ist und hier komme ich gleich schon zum nächsten Punkt.

Und zwar?
Es ist für viele Menschen schwieriger geworden, gute Versorgung zu bekommen. Es gibt zu wenig Kassenärzte und es gibt lange Wartezeiten. Das Wahlarztsystem hat durchaus Sinn, aber in der derzeitigen Situation verstärkt es die Ungleichheiten im Gesundheitssystem noch weiter. Man muss die Bedürfnisse aller Patientinnen und Patienten in den Vordergrund rücken. Zudem müssen sich die Arbeitsbedingungen für die Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten verbessern, insbesondere – aber nicht nur – der Pflegekräfte. Das ist allerdings eine komplexe, weil vielschichtige, Aufgabe. Die Situation für Kinderärzte oder Praktiker ist eine andere als für Pflegefachkräfte. Doch gemeinsam bleibt, dass in allen Bereichen die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen – auch um einen Personalnotstand im Gesundheitsbereich zu lindern.

Prainsack war Teil des Beraterstabs des ehemaligen Gesundheitsministers Wolfgang Mückstein. | Foto: Christopher Dunker/bka
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Das Gesundheitssystem robuster machen

Das hat man auch in Zusammenhang mit der Pandemie erkennen können...
Ja, genau. Es gibt jetzt viele Gespräche darüber, wie man die Gesundheitssysteme resilient, also robuster und widerstandsfähiger machen und sich auf die nächste Gesundheitskrise vorbereiten kann. Obwohl wir, wie manche Experten diagnostizieren, ohnehin durch die Klimakrise schon in der nächsten Gesundheitskrise angelangt sind. Wie aber erreicht man die geforderte Resilienz? Es muss Reserven geben. Es kann nicht so sein, dass überall alles so bemessen ist, dass es gerade so noch funktioniert und wenn es eine Ausnahmesituation gibt, bricht es dann zusammen. Das Gesundheitssystem muss also gut ausgestattet, gut finanziert sein und es müssen gute Arbeitsbedingungen herrschen. Ein Grund warum viele nicht mehr Kassenärzte sein wollen, ist weil sie keine Zeit mehr haben. So etwas ist nicht nur für die Patientinnen und Patienten unangenehm, sondern auch für die Ärztinnen und Ärzte belastend. Für alle Öffentlichen Infrastrukturen – nicht nur das Gesundheitssystem – gilt also, dass man sie gut ausstatten und finanzierten muss. Digitalisierung und Zukunftstechnologien sollte man hier natürlich immer mitbedenken, aber dabei darf der menschliche Faktor nie in den Hintergrund geraten.

In den letzten Wochen und Monaten war nun eine Zäsur zu bemerken. Nun also seit Anfang August auch das Ende der Quarantäne-Pflicht. Ein Schritt, der nicht überall auf Verständnis gestoßen ist. Insbesondere nicht in Wien. Wie bewerten Sie diese neue Verordnung?
Wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen sage auch ich: es ist ein sehr problematischer Schritt. Man kann schwer oder gar nicht erkennen auf welcher Evidenz dieser Schritt basiert sein soll. Menschen, die asymptomatisch waren, waren ja schon vorher unterwegs, weil sie gar nicht wussten, dass sie positiv sind – wenn sie nicht berufliche oder andere Gründe hatten sich regelmäßig testen zu lassen. Und jene, die starke Symptome haben, gehen weiterhin in den Krankenstand. Also ging es darum, Menschen, die keine oder schwächere Symptome haben, in der Erwerbsarbeit zu halten. Das wurde unter anderem mit dem Personalmangel begründet – aber es führt auch zu großen Unsicherheiten. Viele Menschen, die sich vor einer Infektion fürchten, trauen sich kaum noch vor die Haustür. Das sind Konsequenzen, die sehr problematisch sind. Zudem würde es jetzt, wo es die Absonderungspflicht nicht mehr gibt, sehr schwierig, sie wieder einzuführen – falls sich die Lage im Herbst oder Winter weiter zuspitzt. Die Abschaffung der Quarantäne-Pflicht war die falsche Lösung für das richtige Problem.

Hinsichtlich Corona gab es immer wieder Streitpunkt zwischen Bundesregierung und Stadt Wien. | Foto:  Fusion Medical Animation/unsplash
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Vor einer neuen heftigen Corona-Welle im Herbst wird aber schon gewarnt. Wiederholen wir hier die Fehler der Vergangenheit und werden schließlich wieder mit Beschränkungen konfrontiert oder ist das so überhaupt nicht mehr umsetzbar?
Das ist eine schwierige Frage – denn es hängt natürlich auch von den Entscheidungen der Politikerinnen und Politiker in der Gegenwart ab, wie sich die Zukunft entwickelt. Und natürlich auch, wie sich etwaige neue Varianten entwickeln. Man muss auch zugeben, dass viele – und da gehöre auch ich dazu – nicht damit gerechnet haben, dass es im Sommer eine Welle geben wird. Es wird aber sicher schwieriger, wieder Maßnahmen durchzusetzen, wenn man in so einer Situation im Sommer ein Signal gibt, das den Anschein erweckt, als wäre „eh alles Wurst“. Selbst die Maskenpflicht in Bereichen, wo man sie nicht stundenlang tragen muss – wie im öffentlichen Nahverkehr, oder als Kunde im Handel - wurde vielerorts abgeschafft. Das halte ich für einen großen Fehler. Die Menschen hatten sich endlich daran gewöhnt, an bestimmten Orten eine Maske aufzusetzen – und das hat man einfach wieder aufgegeben. Auch hier gilt, eine Maskenpflicht im Herbst wieder einzuführen wird viel schwieriger, als wenn man sie niemals abgeschafft hätte.

War die Lockerung der Maskenpflicht ein Fehler?

Sadistische Fantasien werden verbreitet

Mit fortwährendem Verlauf der Krise kam es teilweise zu einer Radikalisierung von bestimmten Kreisen. Ärzte und Wissenschaftler wurden teils heftig bedroht – auch mit dramatischen Folgen, wie etwa der Fall Kellermayr zeigt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Es gibt viele Menschen, die sich deshalb auch nicht mehr äußern wollen, was für den öffentlichen Diskurs natürlich schlecht ist. Insgesamt ist zu sagen, dass wir im Vergleich zu anderen Staaten keine große Polarisierung innerhalb der österreichischen Gesellschaft haben. Bei einzelnen Themen ist aber eine tiefergehende Spaltung zu bemerken. Und es gibt eine radikalisierte gewaltbereite Minderheit. Wie man auch beim Fall von Dr. Kellermayr sieht, schreckt diese Gruppe vor nichts zurück: Es werden sadistische Fantasien ausgebreitet und sich darüber gefreut, wenn man einen Menschen in die Verzweiflung getrieben hat. Man muss immer betonen, dass es eine wirklich kleine Minderheit ist – aber eben eine, vor der wir uns nicht ausreichend schützen können. Das wird nun auch aktuell diskutiert. Die Möglichkeiten bei digitalen Bedrohungen sind nicht ausreichend, um die Menschen ausreichend zu schützen. Das dringende Problem, dass es nun zu lösen gilt, ist jenes, dass Menschen bedroht werden und sich nicht effektiv zur Wehr setzen können.

Die Maskenpflicht im Herbst wieder einzuführen, würde wohl schwerfallen, so Prainsack.  | Foto: Pixabay
  • Die Maskenpflicht im Herbst wieder einzuführen, würde wohl schwerfallen, so Prainsack.
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Die Stadt Wien und die Bundesregierung stoßen bezüglich der Corona-Maßnahmen immer wieder heftig aneinander. Ist dies lediglich politisches Kalkül oder unterscheiden sich die Positionen wirklich im Kern derart maßgeblich?
Die Antwort muss hier lauten: es ist sicher beides. Natürlich ist da politisches Kalkül dabei. Auch Wirtschaftsinteressen sind bei manchen Entscheidungen der Bundesregierung klar erkennbar. Es gibt aber doch auch unterschiedliche Positionen. Auch wenn ich die Stadt Wien in einigen Bereichen – vor allem hinsichtlich der Klimapolitik – kritisiere, finde ich, dass der Ansatz der Stadt Wien in der Pandemie stärker evidenzbasiert ist. Damit meine ich auch sozialpsychologische und sozialwissenschaftliche Evidenz. Hier ist es in Wien immer wieder gelungen, zu betonen, dass sich individuelle Freiheitsrechte und öffentliche Güter der Gesellschaft, wie die Gesundheit, nicht widersprechen. Von anderen Stellen – und nicht nur in Österreich – wurde immer wieder erklärt, es ginge darum die Freiheit der Menschen gegen die Pandemie-Maßnahmen abzuwägen. Das ist eine sehr problematische Rhetorik. Hier wird so getan, als würde das eine gewinnen, weil das andere nachgibt. In der Folge entstünde daraus die Logik, dass wir mehr Freiheit genießen, wenn es weniger Gesundheitsschutz gibt. Das ist extrem kurzsichtig. Der Schutz der Gesundheit aller Menschen macht die Ausübung vieler individueller Rechte effektiv ja erst möglich.

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