Bestseller-Autor Daniel Glattauer
"Ich bin ein bekennender Wiener"

Daniel Glattauer über sein neues Buch "Die spürst du nicht": "Da geht's ans Eingemachte." | Foto: Roland Ferrigato
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Schriftsteller und Journalist Daniel Glattauer liest uns wieder einmal die Leviten: Mit seinem neuen Buch "Die spürst du nicht" gibt er sein Comeback - nach neunjähriger Romanpause! Der mit viel Wiener Schmäh gespickte Talk über Glückstalente, Bauchweh bei Interviews und die gärende Beziehung zu seinem Bruder Nikolaus (ebenfalls Autor).

ÖSTERREICH. Der 62-jährige Daniel Glattauer aus Wien zählt zu Österreichs berühmtesten Schriftstellern. Seine Bücher "Gut gegen Nordwind", "Alle sieben Wellen" oder "Die Wunderübung" waren große Erfolge. Nach neun Jahren Pause lässt er in seinem neuen Roman "Die spürst du nicht" Menschen zu Wort kommen, die keine Stimme haben - und zeichnet ein eindringliches Sittenbild unserer privilegierten Gesellschaft nach. Das Interview.

MeinBezirk.at: Gleich vorweg - ich habe gelesen, Sie haben vor jedem Interview ein bisschen Bauchweh. Was können wir denn tun, dass dem nicht so ist?

Daniel Glattauer: Mittlerweile habe ich kein Bauchweh mehr. Ein Interview hat eben auch immer Prüfungscharakter. Aber: Ein gutes Interview liegt nicht nur am Interviewten, sondern vor allem auch am Interviewer bzw. der Interviewerin.

Dann versuche ich es mit einer Frage, die hoffentlich keiner Prüfung gleichkommt: Was bedeutet denn Glück für Sie?
Glück habe ich wie folgt für mich definiert: Glück ist die Summe aller Augenblicke, in denen man Lebensfreude gehabt hat. Die Summe aller schönen Momente. Man kann oft Glück haben, da ist sich gerade noch etwas ausgegangen - und dann kann man etwas als schön erleben. Das kann auch etwas ganz Unspektakuläres sein. Ich glaube, dass manche Menschen glücksbegabter sind als andere.

Haben Sie da ein Talent?
Tatsächlich würde ich sagen, dass ich glücksbegabt bin. Ja, es gibt auch für mich dunkle Momente, aber die kommen eher selten vor. Depressive Verstimmungen kennt natürlich jeder. Man muss um sein Glück kämpfen. Die einen tun sich da leichter, die anderen schwerer.

Apropos leicht bzw. schwer: Ihr neuer Roman ist der erste nach neunjähriger Pause. Überwiegt die Vorfreude oder die Nervosität?
Das Buchschreiben zeigt deutlich, warum man es eigentlich lassen sollte. Denn das Schreiben besteht aus zwei Teilen. Das Schwierige am ersten Teil ist, dass man ohne Publikum eine Geschichte erzählt. Das heißt, man muss sich das Publikum vorstellen. Man schreibt etwas und hat keine Reaktion darauf, aber man sollte sich das gleichzeitig vorstellen können. Ein halbes Jahr später hat man dann ein Publikum für eine Geschichte, die man längst erzählt hat. Man muss diese zwei Emotionseinheiten zusammenführen. Und klar ist man nervös, bis das Buch erscheint. Was ich jedoch wirklich gerne mag, ist der Kontakt zu meinen Leserinnen und Lesern - und das Signieren. Und das nicht nur, weil jedes signierte Buch ein verkauftes Buch ist. Mich freut die Begegnung mit Leserinnen und Lesern. Es ist so spannend, dass jede und jeder ein eigenes Buch liest. Es ist ganz unterschiedlich, was den einzelnen Personen wichtig ist und wie diese die handelnden Figuren in meinen Büchern auffassen. 

Viel Wiener Schmäh lieferte Daniel Glattauer beim Interview mit MeinBezirk.at. Der 62-Jährige wurde in Favoriten geboren. | Foto: Roland Ferrigato
  • Viel Wiener Schmäh lieferte Daniel Glattauer beim Interview mit MeinBezirk.at. Der 62-Jährige wurde in Favoriten geboren.
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Hand aufs Herz: Wie sehr war es an der Zeit, dass Sie nach neun Jahren ein neues Buch vorlegen?
Die Zeit und ich pflegen ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Die letzten Jahre waren etwas verlangsamt, was vielleicht auch meinem Alter geschuldet ist. Mir war aber nicht langweilig. Meine Frau und ich haben viele private Dinge, die uns wichtig sind. Ich selbst suche die Öffentlichkeit nicht. Ich bin nicht umsonst ein Schreiber und Journalist. Ich mag es, der zu sein, der andere Leute interviewt. Seit der Schulzeit hatte ich auf der Bühne schon Lampenfieber, das hat sich aber gelegt. Es macht mir gar nichts, wenn ich von niemanden auf der Straße erkannt werde - außer von meinen Freunden, wenn ich von denen nicht mehr erkannt werde, mache ich etwas falsch! Ich lebe gerne zurückgezogen. Wenn ein neues Buch erscheint, beginnt eine energie- und kräfteraubende Zeit. Viele erfolgreiche Autorinnen und Autoren verspüren einen Druck, da sie fast dazu gezwungen sind, alle zwei bis drei Jahre ein neues Buch abzuliefern. Ich habe das Glück, dass ich durch meine Erfolge wirtschaftlich abgesichert bin. Ich wollte nicht in Routine verfallen und habe deswegen auf einen guten Zeitpunkt für diesen Roman gewartet. 

Was ist Ihnen denn selbst wichtig bei Ihren Büchern?
Ganz klar: Es muss spannend sein. Mir ist es wichtig, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen will. Ich habe das Glück, dass meine Art zu schreiben eine leicht leserliche ist. Wenn man das mag, dann verschlingt man meine Bücher. Der Unterschied zu anderen Büchern und meinem Image ist bei "Die spürst du nicht", dass es ans Eingemachte geht. Das Thema verlangt, dass der Roman ein sehr gesellschaftskritischer ist. Das heißt aber nicht, dass ich auf meinen Sprachwitz verzichten kann.

Die Idee zum neuen Roman hat ja eine persönliche Note ...
Meine Frau und ich kümmern uns schon länger um Flüchtlingskinder und -jugendliche. Wir haben ein afghanisches Patenmädchen, das wir mit 14 Jahren kennengelernt haben. Sie war zum damaligen Zeitpunkt schon zwei Jahre in Wien, ihre Eltern sind in einem griechischen Lager zurückgeblieben. Sie war ganz alleine in Österreich - doch sie ist eine Kämpferin und schlägt sich wacker. Nach Corona sind wir mit ihr und zwei befreundeten Familien auf Urlaub gefahren, dort sollte sie schwimmen lernen. Und vor einem Urlaub fallen einem dann oft schreckliche Dinge ein: Was darf nicht passieren, worauf müssen wir besonders aufpassen? Und das war die Idee zu "Die spürst du nicht": Was ist, wenn ...? Was sich hier als besonders spannend herauskristallisiert, ist, was passiert, wenn die Leidtragende ein Flüchtlingskind ist. Gerade wenn man weiß, wie viele Flüchtlinge im Meer ertrinken und das schon vielen Menschen so egal ist, weil sie bereits so abgestumpft sind. Darauf habe ich mein Buch aufgebaut: auf die Geschichten der handelnden Personen um das Kind - und wie es nach diesem schrecklichen Vorfall mit ihnen weitergeht.

Wie hat sich durch Ihre Geschichte mit dem afghanischen Patenmädchen der Blick auf Österreich und dessen Bürokratie geändert?
Wir haben und hatten mit Institutionen zu tun, die bewundernswert sind. Gerade in Wien geschieht sehr viel. Die Ressourcen sind allerdings sehr knapp, alle Menschen bräuchten mehr Betreuung - vor allem Kinder. Ich weiß, dass das Migrationsthema ein ganz heikles ist. Wir haben alle keine Lösung, wie wir diesen Zustrom in den Griff bekommen. Es geht auch nicht uneingeschränkt, das ist mir klar. Aber es gibt nun einmal Flüchtlinge, die hier sind - und um die sollte man sich kümmern. Es ist ganz offensichtlich, dass wir überall Jobs und Stellen besetzen müssen: Man sollte den Menschen schnell Deutsch beibringen und sie beschäftigen. 

Daniel Glattauer ist der neue "Glücks-Treffer". Beim Interview im Wiener Café Museum plaudert er u.a. über sein neues Buch "Die spürst du nicht". | Foto: Roland Ferrigato
  • Daniel Glattauer ist der neue "Glücks-Treffer". Beim Interview im Wiener Café Museum plaudert er u.a. über sein neues Buch "Die spürst du nicht".
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Der Titel Ihres Buches, "Die spürst du nicht", kommt im ganzen Buch nur einmal am Anfang vor. Was steckt dahinter?
Es gibt bei uns Menschen, die Herz haben und liberal sind - aber wenn sie sich dann mit Flüchtlingen und deren Schicksalen beschäftigen, ist das wieder etwas anderes. Eine Figur sagt gleich am Anfang des Buches über das Mädchen: "Die spürst du gar nicht". Das war von Anfang an auch der Arbeitstitel des Buches, das trifft die Problematik am besten.

Wie gelingt es Ihnen, in Balance zu bleiben?
Fangen wir einmal so an: Manche Menschen sind nie in Balance. An und für sich lernt man das im Laufe seines Lebens. Aber: Wer als Jugendlicher in Balance ist, hat etwas falsch oder noch nicht gemacht. Es muss einen hin- und herschleudern, aber irgendwann muss damit auch Schluss sein. Ab einem gewissen Zeitpunkt im Leben muss man sich eingestehen: So ist mein Leben, mit allen Vor-, aber auch Nachteilen. Ich bin ein Fan, lieber auf etwas aufzubauen, als ständig alles neu zu beginnen. Ich bin ein guter Aufbauer: Mein Leben basiert auf stabilen Dingen und ich balanciere nicht auf etwas Spitzem, wo ich absturzgefährdet bin. Ich habe ein ganz gutes Fundament geschaffen und würde sagen, dass ich eine gute Balance habe. 

Ihr Bruder Niki ist auch erfolgreicher Autor. Bitte erzählen Sie uns, was für eine Beziehung Sie als Schriftsteller-Brüder pflegen - ist die gut ausbalanciert?
Uns beide verbindet ein Altersunterschied von lediglich eineinhalb Jahren. In manchen Dingen sind wir uns wahnsinnig ähnlich, in anderen hingegen grundsätzlich verschieden. Sagen wir einmal so: Es hat immer ganz gut gegärt zwischen uns, das gehört dazu. Momentan verstehen wir uns bestens - er hat übrigens auch gerade eine Schreibpause eingelegt. Mal sehen, was da von ihm bald so kommt.

Daniel Glattauers Bruder Niki ist selbst erfolgreicher Autor. "Es hat gut zwischen uns gegärt", scherzt Daniel im Talk mit MeinBezirk.at. | Foto: Brandstätter Verlag
  • Daniel Glattauers Bruder Niki ist selbst erfolgreicher Autor. "Es hat gut zwischen uns gegärt", scherzt Daniel im Talk mit MeinBezirk.at.
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Sie sind in Wien geboren. Wie steht's um Ihre Liebe zur Hauptstadt?
Ich bin ein bekennender Wiener. Ich gehöre hier her. Es gab eine Zeit, wo viele diese "Ich liebe Berlin und will dort leben"-Phase hatten. Die hatte ich nicht.
Außerdem haben wir im Waldviertel ein Häuschen, das steht zwischen Horn und Zwettl. Es ist eine schöne Gegend: Im Winter ist dort nichts und niemand, deshalb habe ich dort auch sehr viel geschrieben. Es tut mir manchmal sehr gut, von den Stadtmenschen wegzukommen. Geboren bin ich übrigens in Wien-Favoriten, ein echter Arbeiterbezirk. Zu diesen Wurzeln bekenne ich mich auch.

Ich hoffe, das Interview tat Ihnen und Ihrem Bauch jetzt nicht zu sehr weh?
Nein, das haben wir gut hinbekommen!

I bin's: der Wordrap

MeinBezirk.at: Was gefällt Ihnen besonders an Österreich, worauf sind Sie stolz?
Daniel Glattauer: 
Die Landschaft gefällt mir eine Spur besser als die Österreicher selber. 

Was ist Ihr österreichisches Lieblingsdialektwort und warum?
Oida.

Ihr Lieblingsessen der österreichischen Küche ist ... ?
Gefüllte Paprika.

Welches ist Ihr Lieblingsplatzerl in Österreich?
Das kann ich nicht verraten (lacht). Ich formuliere es einmal so: Jede in einer idyllischen Landschaft gelegene Parkbank bei Sonnenschein mag ich sehr gerne.

Das Buch

Darum geht's in Glattauers "Die spürst du nicht": Die Binders und die Strobl-Marineks gönnen sich einen exklusiven Urlaub in der Toskana. Tochter Sophie Luise, 14, durfte gegen die Langeweile ihre Schulfreundin Aayana mitnehmen, ein Flüchtlingskind aus Somalia. Kaum hat man sich mit Prosecco und Antipasti in Ferienlaune gechillt, kommt es zur Katastrophe. Was ist ein Menschenleben wert? Und jedes gleich viel? Daniel Glattauer packt große Fragen in seinen neuen Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen kann und in dem er all sein Können ausspielt: spannende Szenen, starke Dialoge, Sprachwitz. Dabei zeichnet Glattauer ein Sittenbild unserer privilegierten Gesellschaft, entlarvt deren Doppelmoral und leiht jenen seine Stimme, die viel zu selten zu Wort kommen. 

"Die spürst du nicht" von Daniel Glattauer. Roman, 304 Seiten um 25,70 Euro, soeben erschienen bei Zsolnay. | Foto: Zsolnay Verlag
  • "Die spürst du nicht" von Daniel Glattauer. Roman, 304 Seiten um 25,70 Euro, soeben erschienen bei Zsolnay.
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