Gewalt an Frauen
Hohe Dunkelziffer bei Zwangsehen in Österreich

54 Fälle mit Verdacht auf Zwangsheirat wurden 2021  im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe bearbeitet. Eine aktuelle Studie geht von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus. | Foto: Shutterstock
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  • 54 Fälle mit Verdacht auf Zwangsheirat wurden 2021 im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe bearbeitet. Eine aktuelle Studie geht von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus.
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In Österreich werden laut Schätzungen jährlich 200 Frauen zwangsverheiratet. Zu einer Anzeige kommt es allerdings nur in den seltensten Fällen. Oftmals übt die eigene Familie gewaltsamen Druck auf die Betroffenen aus, wie eine aktuelle Studie zeigt.

ÖSTERREICH. Die Zwangsheirat ist in Österreich seit 2016 ein eigener Straftatbestand – es droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Gegen die "Nötigung zur Ehe" rechtlich vorgehen können auch Dritte ohne Zustimmung der Betroffenen selbst. Konkrete Zahlen, wie viele Frauen in Österreich von Zwangsheirat betroffen sind, gab es bisher nicht. Nun hat das Institut für Konfliktforschung (IKF) im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) eine Studie vorgelegt.

Demnach wurden 2021 im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt 54 Fälle mit Verdacht auf Zwangsheirat bearbeitet. Da Zwangsehen jedoch häufig nicht auf den ersten Blick sichtbar sind und selten von den Betroffenen selbst gemeldet werden, geht das IKF von einer hohen Dunkelziffer von etwa 200 Fällen jährlich aus. In den 54 gemeldeten Fällen suchten lediglich sieben Personen selbst Hilfe. 

Drei Gruppen an Betroffenen

Die Betroffenen lassen sich laut Studienautorin Birgitt Haller in drei Gruppen gliedern: Das eine seien Mädchen und junge Frauen der zweiten oder dritten Zuwanderergeneration mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Die andere Gruppe betreffe jene, die aus dem Ausland gezielt nach Österreich geholt werden, um hier verheiratet zu werden. Und die dritte Gruppe bestehe aus Mädchen und Frauen, die nach Österreich geflüchtet sind, erklärte die Konflikt- und Gewaltforscherin am Dienstag gegenüber "Ö1".  

Nur die wenigsten Fälle an Zwangsheirat würden von den jungen Frauen selbst gemeldet, so Haller. Meistens geschehe die Meldung durch Dritte, bei Kindern und Jugendlichen häufig durch Pädagoginnen und Pädagogen im Umfeld. 

Häufig Bedrohung durch Familie

Eine Aufschlüsselung der berichteten Bedrohungsfälle von Zwangsheirat zeigt, dass es in der Hälfte der Fälle mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Bedrohung durch die Familie kam. Nur bei 18,5 Prozent konnte eine solche ausgeschlossen werden. Dabei geht diese mehrheitlich von einem Elternteil oder dem Bruder der betroffenen Person aus. In den Fällen, in denen eine Bedrohung durch die Mutter erfolgte, geschah dies in der Regel gemeinsam mit dem Vater. 

Religion als Vehikel

Dabei betonte die Studienleiterin, dass sich das Thema Zwangsheirat nicht auf eine religiöse Frage reduzieren lässt. Zwangsehen ließen sich bei allen religiösen Gruppierungen finden. Aber: Religion sei oft eine Möglichkeit, um rechtliche Vorschriften zu umgehen. Etwa durch eine religiöse Heirat, die noch vor dem Erreichen des Mindestalters für eine auf gesetzlichen Regelungen basierende zivile Heirat abgehalten werden kann.  

Sensibilisierung für erste Anzeichen

Im Kampf gegen Zwangsehen fordert die Studienautorin "massive Aufklärungsarbeit". Das betreffe sowohl Lehrpersonen als auch Personen, die etwa im Vereinsbereich mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten. Es brauche Informationen, die Menschen im Umfeld von Kindern und Jugendlichen für erste Anzeichen sensibilisiert. 

So ging die Studie auch Merkmalen einer bevorstehenden Zwangsheirat nach: Dazu zählen demnach etwa eine starke Kontrolle durch die Familie, mangelnder Kontakt zu Personen außerhalb der Familie und der plötzliche Abbruch der Ausbildung oder Berufstätigkeit. Auch unerwartete und lange Auslandsreisen können ein Hinweis darauf sein, dass Personen eine Zwangsheirat droht. 

Hilfe für Betroffene

  • Frauen-Helpline gegen Gewalt 0800 222 555
  • Wiener Frauennotruf 01 71 719
  • Rat auf Draht 147
  • ÖIF-Frauenzentrum Wien: 01/71510 51113
  • Orient Express Wien: 01 728 97 25 
  • Divan Caritas Graz: 0676 88015744
  • Frauen aus allen Ländern Innsbruck: 0512 56 47 78

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Eine Aufschlüsselung der berichteten Bedrohungsfälle von Zwangsheirat zeigt, dass es in der Hälfte der Fälle mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Bedrohung durch die Familie kam. | Foto: Unsplash

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