"Entmenschlichtes Desaster"
Berichte zeigen katastrophalen Notstand bei Pflege auf

Das System der Pflege in Österreich scheint zu kippen. | Foto: Symbolfoto/Pixabay
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  • Das System der Pflege in Österreich scheint zu kippen.
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Einem aktuellen Bericht des Nachrichtenmagazins profil zufolge bestehe im SeneCura-Heim in Kirchberg am Wechsel laut Sachverständiger eine „ernstliche Gefahr für das Leben der Bewohner“. SeneCura rechtfertigte sich am Samstag. Zudem berichtete profil von einem Fall einer 86-jährigen ,an Demenz erkrankten Frau, die in der Wiener Klinik Landstraße abhanden gekommen sein soll und erst einen halben Tag später verletzt aufgefunden werden konnte. 
 
ÖSTERREICH. Grobe Verfehlungen im Pflegeheim in Kirchberg am Wechsel (Bezirk Neunkirchen):  Laut einem Gutachten, das dem Nachrichtenmagazin profil vorliegt, soll eine SeneCura-Einrichtung  Mitte Februar 2021 den Mindestpersonalschlüssel nicht entsprochen haben, den das Land Niederösterreich vorschreibt: Alleine im August 2020 sollen auf das absolute Minimalsoll 620 Arbeitsstunden von diplomierten Krankenpflegern und Pflegeassistenten gefehlt haben. Die Dienstplanorganisation wurde als „grob fahrlässig“ bezeichnet.

Die Folge: Die Bewohner würden laut Gutachten „systematisch in die Inkontinenz gedrängt“, weil mit ihnen kein Toilettentraining durchgeführt werde. Auch das Trinktraining dürfte vernachlässigt worden sein. Stattdessen wurden den Pflegebedürftigen einfach Infusionen angehängt. Die Gutachterin schreibt von einer „ernstlichen Gefahr für das Leben der Bewohner“ und „gefährlicher Pflege“. Der Bericht listet demnach etliche „Pflegeschäden“, darunter Wundliegegeschwüre. Im Falle einer 93-jährigen Bewohnerin, deren Pflegebedürftigkeit jahrelang falsch eingeschätzt wurde, ist gar von einem „entmenschlichtem Desaster im Pflegeassessment“ die Rede. In dem Heim erfolgte laut Gutachten „kein professionelles Schmerzmanagement“. Es wurden Opioide, die für Einzelfall bestimmt sind „ohne Feststellung der Schmerzintensität als Dauermedikation verabreicht“. Und: „Nach dem Mittagessen sitzen die Bewohner beschäftigungslos herum“, schreibt die Sachverständige. Die SeneCura bestritt das gegenüber „profil“. Es gebe sehr wohl „Angebote für gemeinsame Aktivitäten“. Zu den Verfehlungen in der Pflege wollte der Heimträger nichts sagen. 

"Maßnahmen greifen"

SeneCura stellte in einem Schreiben am Medien klar, dass besagter Standort zum Jahresbeginn 2021 nicht zuletzt aufgrund der erhöhten Belastung durch die Corona-Pandemie mit besonderen Herausforderungen konfrontiert gewesen sei. Die SeneCura Gruppe habe nach Beschwerden aus der Belegschaft über diese Situation – schon vor dem Start der im profil zitierten Begutachtung durch eine externe Gutachterin – raschest reagiert, sofort eine interne Untersuchung durchgeführt und umfassende, kurz- und mittelfristige Maßnahmen ergriffen. Die Mitarbeitenden und auch die Angehörigen seien darüber informiert worden. Bei der neuerlichen Visite des Hauses durch die Behörden Anfang April wurde festgestellt, dass Maßnahmen zur Verbesserung schon greifen und dieser Weg weiter fortgesetzt werden soll.

SeneCura habe umfassende Mitarbeiter-Schulungen durchgeführt, neue Mitarbeiter gesucht und die Aufnahme weiterer Patienten ab 16. Februar gestoppt. Unter der Federführung des Care Quality Managements sei zudem eine umfangreiche Maßnahmenplanung entwickelt und sofort mit der Umsetzung begonnen worden:
· Es werden nun intensivierte Pflegevisiten durch die neue Pflegedienstleitung mit nachfolgender interdisziplinärer Fallbesprechung durchgeführt.
· Seit Anfang April wird das Führungsteam vor Ort zusätzlich durch eine langjährig erfahrene Wohnbereichsleitung unterstützt.
· Die Pflegedokumentation erfolgt nun bewohnernahe über iPads (nachdem im Bericht die nachträgliche Dokumentation kritisiert worden war).
· Verstärkte externe Qualitäts- und Fortschrittsprüfung erfolgen durch das SeneCura Care Quality Management.

Dieses Maßnahmenpaket zeige bereits Wirkung, hieß es.  

Gewerkschaften: Gesundheitsminister muss handeln

Die Gewerkschaften GPA und vida sehen sich angesichts der profil-Recherchen über das „enthumanisierte Desaster“ in ihren Forderungen nach deutlich mehr Personal bestätigt. Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA: „Die vollkommen unzureichende Personalausstattung gefährdet sowohl die Bewohnerinnen und Bewohner der Heime, als auch die Gesundheit der Beschäftigten. Es braucht sofort mehr Personal im Pflege- und Betreuungsbereich. Das lässt sich nur mit besseren Arbeitsbedingungen, mehr Freizeit und mehr Gehalt erreichen.“

Die Regionalmedien Austria (RMA) veranstalteten erst diese Woche eine Diskussion mit ExpertInnen zum Thema Pflegenotstand:

„Es muss sexy werden, in die Pflege zu gehen"

Frau aus Klinik abhanden gekommen

Die zum stadteigenen Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV) gehörende Klinik Landstraße, vormals Rudolfstiftung, muss sich dem Vorwurf der grob fahrlässigen Körperverletzung an einer betagten und dementen Patientin stellen. Das berichtet das Nachrichtenmagazin profil in seiner aktuellen Ausgabe unter Berufung auf eine Sachverhaltsdarstellung eines Wiener Rechtsanwalts, dessen 86-jährige an Demenz erkrankte Mutter am 3. April dieses Jahres mit Verdacht auf Schlaganfall in der „Stroke Unit“ der Neurologischen Abteilung stationär aufgenommen wurde.

Tags darauf, am 4. April, war sie gegen 20.30 Uhr verschwunden. Laut der Anzeige verständigte das Krankenhaus zwar die Polizei, nicht aber die Angehörigen. Diese werfen dem Krankenhaus vor, darüber hinaus wenig unternommen zu haben, um die Patientin im eigenen Haus zu suchen. Die diensthabende Oberärztin soll unter anderem erklärt haben, man könne ja nicht „in jedem Bett“ nachschauen. Erst nach fast zwölf Stunden wurde die Patientin kurz vor 8.00 Uhr auf einer Station ohne Betten gefunden. Laut der Anzeige hatte sie sich bei einem Sturz im Spital eine Rissquetschwunde am Kopf und Hämatome zugezogen.

Stellungnahme: "Bedauern den Vorfall"

Der WIGEV bedauert auf „profil“-Anfrage den „unglücklichen Vorfall“. „Gerade bei dementen PatientInnen mit neurologischem Krankheitsbild lässt unser Personal besondere Vorsicht walten.“ Abgänge von PatientInnen seien „auf einer neurologischen, offenen Bettenstation leider keine Seltenheit“. Im Falle der Patientin sei man „standardisiert und stufenweise“ vorgegangen. „Glücklicherweise konnte die Patientin bereits am Morgen wieder aufgefunden werden. Trotz ihres Sturzes wurde sie in der darauffolgenden Woche in gutem Zustand entlassen.“

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Das System der Pflege in Österreich scheint zu kippen. | Foto: Symbolfoto/Pixabay
Angesichts der demografischen Entwicklung wird die Zahl der zusätzlich benötigten Pflegekräfte bis ins Jahr 2030 auf 75.000 Personen geschätzt. Zuletzt waren in Österreich schon etwa 127.000 Menschen in der Pflege beschäftigt. „Die Personalfrage ist die Schlüsselfrage einer gelingenden Pflegereform“, betont Landau. „Wir brauchen ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die wachsende Zahl der pflegebedürftigen Menschen auch weiterhin gut pflegen und betreuen zu können.“
 | Foto: Kzenon/Fotolia

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