Runde der Regionen
Expertendiskussion: Ist Kranksein auch künftig leistbar?

Wirkt die Gesundheitsreform dem Ärztemangel entgegen und bringt Verbesserung in der medizinischen Versorgung? Oder steuern wir weiter auf eine Zwei-Klassen-Medizin zu? Die RegionalMedien Austria und RegionalMedien Gesundheit haben dazu am 27. Februar zu einer Expertendiskussion eingeladen, die live auf meinbezirk.at sowie auf gesund.at übertragen wurde. Dabei ging es heiß her.

ÖSTERREICH. Wirkt die Gesundheitsreform dem Ärztemangel entgegen und bringt sie Verbesserungen in der medizinischen Versorgung? Oder steuern wir weiter auf eine Zwei-Klassen-Medizin zu? Diesem brisanten Thema widmete sich eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussionsrunde am 27. Februar, veranstaltet von den RegionalMedien Austria gemeinsam mit der Hausärzt:in. Mit dabei waren: Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch, ÖGK-Obmann Andreas Huss, Ärztekammerfunktionärin und Hausärztin Naghme Kamaleyan- Schmied sowie Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer.

Die aktuelle Gesundheitsreform hat ja zum Ziel, das in seinen Ansätzen gute, aber in den vergangenen Jahren stark ausgehungerte österreichische Gesundheitssystem wieder „aufzupeppeln“ und somit fit für die Zukunft zu machen. Die teils sehr hitzige Diskussion kon-zentrierte sich auf aktuelle Herausforderungen wie die langen Wartezeiten für Termine in Kassenordinationen, den veralteten Leistungskatalog, die Spitalslastigkeit des Systems u. Ä. m.

„Das ist die größte Gesundheitsreform der letzten dreißig Jahre, und sie wird Dinge in Bewegung bringen.“ BM Johannes Rauch

Spitäler bevorzugt ...

Auch wenn die Anzahl der Ärzt:innen pro Kopf in Österreich im europäischen Vergleich gut sei, könne die Mangelsituation bei Mediziner:innen mit Kassenvertrag mittlerweile nicht mehr weggeredet werden, hob BM Rauch sinngemäß hervor. „Wir haben deshalb versucht, – gegen alle Widerstände – eine Gesundheitsreform zustande zu bringen, die die Situation verbessert. Das dauert. Pro Jahr kommt jetzt etwa eine Milliarde Euro mehr ins System: unter bestimmten Voraussetzungen. Und es bekommen auch die Kassen mehr Geld – 300 Millionen Euro pro Jahr –, um mehr Leistungen anbieten zu können.“ Zu einer Entlastung des Systems sollen zudem der Grundsatz „Digital vor ambulant vor stationär“ sowie der Ausbau der Vorsorge beitragen.

„Die Gesetze sind beschlossen, die Rahmenbedingungen geschaffen, das Geld ist da. In den nächsten Monaten geht es ums Verhandeln des Zielsteuerungsvertrags und ums Umsetzen“, so der Minister weiter. Leider nicht zu stemmen gewesen sei eine Finanzierung des Spitals- und des niedergelassenen Sektors aus einer Hand. Dafür bräuchte es eine Verfassungsreform. „Wenn man sieht, wie viel Geld in den niedergelassenen Bereich investiert wurde – und wie viel im Vergleich in den Spitalsbereich, ist das ein sehr großes Ungleichgewicht. Da müsste man nachbessern“, fand Kamaleyan- Schmied klare Worte.

Die Standesvertreterin weiß, wie schwierig es aktuell ist, Medizinerinnen und Mediziner für das Kassensystem zu begeistern. Trotz Terminmanagements seien daher in den bestehenden Ordinationen hohe Frequenzen und lange Wartezeiten an der Tagesordnung. Die Ärztekammer habe sich auch Gedanken darüber gemacht, wie man dem entgegenwirken könne. Der Merksatz lautet: „Der Merksatz laute: „Auf geht‘s in eine gute Gesundheitsversorgung“: Neben der Attraktierung des Arztberufes brauche es endlich eine Flexibilisierung, die moderne Arbeitsmodelle, Telemedizin und interdisziplinäre Praxen fördert und eine Verankerung von Spitalsauslagerungen. „Letzteren muss aber jedenfalls Geld folgen, sonst kann es sich nicht ausgehen, dass wir im niedergelassenen Bereich viele Spitalsleistungen übernehmen können!“, stellte die Allgemeinmedizinerin klar. Auch müsse endlich der Leistungskatalog modernisiert werden.

Apropos Hausarztzentrierung

 
Obmann Huss bestätigte die Nachbesetzungsprobleme. Er betonte aber, dass nur bestimmte Regionen Österreichs betroffen seien. In Wien – Döbling etwa fänden sich sofort sieben bis zehn Bewerber:innen. Im Waldviertel oder Südburgenland sei es schwierig. Mit Einführung der e-card sei den Menschen der Zugang zu den Fachärzt:innen erleichtert worden, gab der Kammer- funktionär zu bedenken. 25 Prozent der Menschen in Österreich hätten heute keine Hausärzt:in mehr. „Das ist nicht gut für das Gesundheitssystem und schon gar nicht für die Menschen, die von einer Fachärzt:in zur nächsten pilgern.“ In einem hausarztzentrierten Gesundheitssystem würden automatisch die kassenfachärztlichen Ordinationen und die Spitalsambulanzen entlastet. In entlegenen Regionen könnten das Einzelpraxen sein. In Ballungszentren seien Primärversorgungszentren effizienter. In diesen würden Medizinerinnen und Mediziner durch Vertreter anderer Gesundheitsberufe entlastet. Die Patient:innenbegleitung durch das System könnte idealerweise durch die Gesundheitshotline 1450 digital unterstützt werden. „An einem österreichweit einheitlichen Honorar- und Leistungskatalog arbeiten wir momentan mit der Ärztekammer“, so Huss weiter. Hierfür werde es in den kommenden Jahren jedenfalls zusätzliche finanzielle Mittel brauchen.

Mehr als Sprechblasen?

„Die Reform – ich glaube, das weiß jeder – ist keine Reform“, gab sich Pichlbauer wenig optimistisch. „Es ändert sich an den Strukturen nichts. Zusätzliche Geldflüsse, die Stärkung des Hausarztsystems, all das höre ich seit 20 Jahren. Das erste Konzept einer hausarztzentrierten Primärversorgung habe ich 2002 für die niederösterreichische Ärztekammer erarbeitet. Es wurde von allen Seiten abgeblockt.“ Für den Gesundheitsökonomen ist aus dem Re- formpapier auch nicht ersichtlich, dass die Patientinnenströme besser gelenkt werden. „1450, in allen Ehren, ist für die Akutversorgung. Man muss proaktiv anrufen. Wir haben ein großes Problem mit der Versorgung chronisch kranker Menschen“, stellte er klar. „Auch über diesen einheitlichen Leistungskatalog diskutieren wir schon seit 20 Jahren ...“

Rauch entgegnete: „Das sind keine leeren Papiere oder Sprechblasen, die da verabschiedet wurden.“ Durch konkrete Gesetze und Rahmenbedingungen sei vielmehr eine Verbindlichkeit hergestellt worden, die es zuvor nicht gegeben habe. „Ich würde Sie bitten, die Dinge so zu lesen, wie sie sind. Das ist die größte Gesundheitsreform der letzten dreißig Jahre, und sie wird Dinge in Bewegung bringen. Die Primärversorgungszentren z. B. ermöglichen uns eine völlig neue Qualität der Versorgung. Das ist moderne Gesundheitspolitik.“
„In einem hausarztzentrierten Gesundheitssystem werden Facharztpraxen automatisch entlastet.“

Gesundheitsdienstleistungen auch für Einzelpraxen 

Kamaleyan-Schmied war wichtig, festzuhalten, dass Primärversorgung nicht an ein Zentrum gebunden sei, sondern an die Ärzt:in. „Um zum Thema Zwei-Klassen-Medizin zurückzu-kommen: Von 120 PVE könnte jede in voller Ausstattung 10.000 Patient:innen versorgen, insgesamt 1,2 Millionen Menschen. Was ist mit den anderen acht Millionen? Sollen die schlechter versorgt werden?“, fragte sie. „Warum kann nicht jede einzelne Kassenärztin Zugriff auf Gesundheitsdienstleister haben – Sozialarbeiter, diplomierte Wundmanager ... Das wäre  flächendeckend relativ leicht umzusetzen. Die Gründung einer PVE ist doch relativ umständlich.“ Mit der Ermöglichung solcher „PVE light“ käme allen Bürger:innen das gleiche Angebot zugute. „Vor allem chronisch Kranke brauchen eine wohnortnahe Ärzt:in, in deren Ordination sie mit etwa dem Rollator kommen und dort an einem Ort die bestmögliche Behandlung erhalten.“ 

Viele leisten sich eine Zusatzversicherung

Sowohl Minister Rauch als auch Obmann Huss meinten, dass sie nichts gegen noch flexiblere Praxismodelle hätten. Huss betonte jedoch, dass ihm garantierte Öffnungszeiten wie die der PVE wichtig seien. Und er verwies auf die neu eröffneten Diabeteszentren für Menschen mit der chronischen Stoffwechselerkrankung. Auch der Kammerfunktionär hielt Pichlbauers Kritik entgegen, dass es einfach sei, aus dem Wohnzimmer heraus zu erklären, was hilfreich und gut wäre, wenn es dann aufgrund unterschiedlicher Interessen nicht umsetzbar sei: „Ich habe aufgehört, über bundesstaatliche Fragen zu diskutieren“, so der ÖGK-Obmann. „Ich orientiere mich an den Möglichkeiten, die gegeben sind.“ Dass man in den nächsten Jahren weiter über die Finanzierung reden müsse, sei keine Frage. Aber er habe schon mit verschiedenen Minister:innen zusammengearbeitet – so viel wie jetzt sei noch nie weitergegangen.
Deutlich pessimistischer blieb der Gesundheitsökonom. Die private Medizin werde, wegen der Systemfehler, die seit Jahrzehnten nicht behoben würden, in Zukunft massiv weiterwachsen, meinte er abschließend. „Mittlerweile leisten sich 30 Prozent der Bevölkerung eine Zusatzversicherung. Daran sieht man, wie gering das Vertrauen ins öffentliche System ist.“
Ein trauriges Schlusswort, eine insgesamt sehr spannende Diskussion. 

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