Minister Martin Kocher
Krankenstände künftig verstärkt kontrollieren

Arbeits- -und Wirtschaftsminister Martin Kocher im Gespräch mit MeinBezirk.at: Wir wollen Vollzeitstellen forcieren. | Foto: Roland Ferrigato
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Flexibleres Homeoffice, Vollzeit, mehr Fokus auf Frauen: Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) über die Zukunft am heimischen Arbeitsmarkt. 

ÖSTERREICH. Weniger Arbeit für gleiches Geld, wie zuletzt vom neuen SPÖ-Chef Andreas Babler gefordert, kommt für Arbeitsminister Martin Kocher nicht in Frage. Er kündigte im Gegenteil an, dass künftig ein Fokus auf die Vermittlung in Vollzeitstellen gelegt werden soll, sofern keine Betreuungspflichten oder andere Gründe zur Verringerung der Arbeitszeit vorliegen. Gemeinsam mit den Gemeinden wolle man gleichzeitig verstärkt auf Kinderbetreuung und andere Infrastruktureinrichtungen achten, um Vollzeit für alle erst zu ermöglichen, wie er im Gespräch mit MeinBezirk.at erklärte. 

Sie kündigten an, dass beim AMS künftig ein Fokus auf die Vermittlung in Vollzeitstellen gelegt werden soll, sofern keine Betreuungspflichten oder andere Gründe zur Verringerung der Arbeitszeit vorliegen. Heißt dass, wenn ein Unternehmen eine Halbtagskraft sucht, die Vermittlung für diese Stelle künftig eine geringere Rolle spielen soll?
Natürlich nicht. Aber wir wollen Vollzeitstellen forcieren. Und dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Gemeinden und die öffentliche Hand, damit Kinderbetreuung und andere Infrastruktureinrichtungen so gestaltet werden, damit Vollzeit arbeiten auch möglich ist.

Laut einem Erlass von Ihnen soll das AMS mit verstärkten Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten Arbeitslose mit geringfügigem Zuverdienst rascher in Jobs über der Geringfügigkeitsgrenze vermitteln. Gleichzeitig sollen Unternehmen, die auffällig viele arbeitslose geringfügig Beschäftigte für sich arbeiten lassen, strenger kontrolliert werden. Ihr Koalitionspartner nannte dies eine „Schikane“. Wie viele Arbeitslose betrifft das überhaupt? Glauben Sie, dass Sie den Fachkräftemangel damit in den Griff bekommen?
Das betrifft ungefähr zehn Prozent der Arbeitssuchenden, also ungefähr 30.000 bis 35.000 Menschen. Zum Teil sind das Langzeitarbeitslose, für die diese geringfügige Beschäftigung der erste Schritt zurück in den Arbeitsmarkt ist – da ist die Geringfügigkeit gut. Wir wissen aber auch aus einer kürzlich erschienenen Wifo-Studie, dass rund 10.000 bis 15.000 Menschen aus einer geringfügigen Beschäftigung in ein voll versichertes Dienstverhältnis kommen könnten, wenn wir genauer darauf achten. Diese Menschen sollten im Betrieb gelegentlich nach einer Vollzeitstelle fragen, auf der sie voll versichert sind. Ich denke, das ist zumutbar. Ein besonderes Augenmerk legen wir auf jene Betriebe, die besonders viele geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anbieten und Inserate für voll versicherte Stellen aufgeben. Geringfügig beschäftigte Arbeitslose sollten dann Vorrang für diese voll versicherte Stelle gegeben werden. Das kann auch eine Teilzeitstelle sein. Es geht darum, die Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu holen.
 

Sind Sie von dem Plan abgekommen, für Teilzeitkräfte den Anspruch auf soziale Leistungen zu reduzieren?
Das war ja nie der Plan. Was wir damals gesagt haben, und das wurde sehr stark verkürzt, ist, dass es bei freiwilliger Teilzeit für künftige Maßnahmen wichtig ist, zu überlegen, dass wir es attraktiver gestalten wollen, mehr Stunden zu arbeiten. Im Moment gibt es eine Reihe von Sozialleistungen. Wollen wir diese weiter ausbauen, dann sollte der Anreiz, mehr Stunden zu arbeiten, nicht sinken. Ich denke, die Unterscheidung zwischen Voll- und Teilzeit ist überholt. Es geht nicht darum, dass alle Vollzeit arbeiten. Es geht darum, dass wir die Potenziale, die es gibt, nutzen, und dass Teilzeitkräfte, die mehr Stunden arbeiten können, einen Anreiz haben, das auch zu tun. Das muss in künftigen Reformen und künftigen Maßnahmen berücksichtigt werden. Es geht dabei nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen, oder jemanden zu bestrafen.

Weiters soll künftig die überregionale Vermittlung eine größere Rolle spielen. Gilt das vor allem für Arbeitslose? Und wird es einen Jobzwang für Arbeitslose geben bzw. wird eine Ablehnung sanktioniert?
Wir haben relativ große Unterschiede im Arbeitsmarkt. Wir haben derzeit Ende Juni in Tirol, Salzburg und Oberösterreich Arbeitslosenquoten von nur drei Prozent, das ist Vollbeschäftigung. In Wien liegt die Arbeitslosenquote bei über zehn Prozent, und das hat sich in den letzten Jahren verfestigt. Wir müssen verstärkt die Möglichkeiten überregionaler Vermittlung nutzen. Und auch da geht es nicht um Druck und Zwang. Es gibt ja ganz klare Bestimmungen, die haben sich auch nicht geändert. Wer verwurzelt ist, wer Betreuungspflichten hat, der wird natürlich nicht wo anders hin vermittelt. Aber für junge Menschen ohne Betreuungspflichten und ohne Verwurzelung, vielleicht mit Migrationshintergrund, muss es auch die Möglichkeit geben, über Vermittlung Jobs in Westösterreich zu besetzen. Wir haben in den Zielvorgaben festgesetzt, dass das nicht nur Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik, sondern auch der Arbeitgeberinnen und -geber, vor Ort bzw. der regionalen Politik ist, weil es auch um Wohnen, das soziale Umfeld geht. 

Ein Fokus soll auf spezielle Zielgruppen wie jüngere Arbeitslose, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderung oder Asylberechtigte gelegt werden. Für sie soll es ein spezielles Bündel an Maßnahmen geben, die nicht nur eine rasche, sondern auch eine qualitativ hochwertige Job-Vermittlung garantieren sollen. Was für Maßnahmen sind damit konkret gemeint?
Wir haben jetzt schon eine Zielgruppen-orientierte Arbeitsmarktpolitik. Für Frauen in Handwerk und Technik etwa gibt es ganz spezifische Programme, auch für den Wiedereinstieg nach der Karenz. Oder für junge Menschen geht es um Qualifizierung, für Menschen mit Behinderung um Inklusion. Für Migrantinnen und Migranten aber brauchen wir bessere Maßnahmen. Denn bei dieser Gruppe ist die Arbeitslosigkeit entgegen dem Trend gestiegen. Darum müssen wir für Asylberechtigte besonders Maßnahmen schaffen, um sie rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
 
Sie wollen künftig eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Krankenstand verhindern. Wird das über verstärkte Kontrollen passieren?

Es gibt jetzt schon Kontrollen. Wir sehen aber viele Fälle, wo nach sehr kurzer Beschäftigung Krankenstände auftreten. Hier muss man aber auch differenzieren. Gerade wenn es weniger Arbeitssuchende gibt, gibt es darunter viele mit gesundheitlichen Problemen. Um die geht es dabei nicht. Es geht um einen geringen Prozentsatz von Arbeitssuchenden, die voll arbeitsfähig sind und die damit möglicherweise andere Vermittlungen vereiteln. Denn wir wollen alles tun, um jene zu fördern, die Förderung brauchen, aber auch sicherstellen, dass die Versicherungsgemeinschaft nicht ausgenutzt wird. 

Ein großes Potential liegt laut Experten bei Müttern, die teils aufgrund fehlender Kinderbetreuung nur halbtags arbeiten oder daheimbleiben. Welche Maßnahmen sind geplant, um diese in den Arbeitsmarkt zu holen?
Wir haben festgelegt, dass Frauen verstärkt gefördert werden, mehr als ihr Anteil an der Arbeitslosigkeit ausmacht. Es gibt also eine bewusste Überförderung von vier Prozentpunkten. Wir wollen gemeinsam mit den Gemeinden den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen mit flexiblen Öffnungszeiten beschleunigen, damit Mütter und auch Väter rasch wiedereinsteigen können.
Das betrifft vor allem jene Berufe, wo besonders große Knappheit herrscht, weil zum Beispiel Wochenendarbeit oder Abenddienste notwendig sind: in der Pflege, im Tourismus.
Wir haben glücklicherweise derzeit aber mit 71,6 Prozent im erwerbsfähigen Alter einen Rekord an beschäftigten Frauen. Wir wollen auch bei Unternehmen, die zwar Arbeitskräftemangel beklagen, aber teilweise nur oder viele Teilzeitstellen anbieten, dafür sorgen, dass sie mehr Vollzeitstellen anbieten. Das betrifft den Handel, aber auch andere Branchen.

Sie wollen auch die Vermittlung von Jobsuchenden im EU-Raum forcieren. Andere EU-Länder kämpfen ebenfalls mit Fachkräftemangel. Wieviel Potential sehen Sie da?
Weiß man, wie viele EU-Bürger und Bürgerinnen in Österreich beschäftigt sind, dann sieht man, dass das Potenzial groß ist. Es geht um einen Markt mit weit über 300 Millionen Arbeitskräften. Bisher war Österreich hier sehr erfolgreich, vor allem was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Nachbarländern betrifft, aber die bleiben nicht ewig. Das heißt, wir müssen als Land attraktiv sein. Das betrifft Abgaben und Steuern, die Lebensqualität, die Chancen im Land. Dann können wir es schaffen, zum Beispiel im Tourismus vermehrt Arbeitslose aus Spanien oder Griechenland über das EURES-Programm nach Österreich zu bringen. 

Wird es künftig gezielte Anwerbestellen mit fachspezifischen und sprachlichen Ausbildungsmaßnahmen in Drittstaaten, etwa in Ägypten geben, um diese Menschen dann über die Rot-Weiß-Rot-Karte nach Österreich zu holen?
Wir haben über die Botschaften und über die Wirtschaftskammer bzw. den Außenhandel ein Netzwerk. Über ein Memorandum wurde festgelegt, dass Institutionen zusammenarbeiten. Da geht es etwa darum, sich auf Messen zu präsentieren. Das ist für Unternehmen, sowie den öffentlichen Bereich, etwa für die Pflege sehr wichtig. Für Mangelberufe sollen bürokratische Hürden abgebaut werden. Die Liste dieser Berufe war noch nie so lang. Darum halte ich diese Aufgabe für besonders wichtig. Nachdem wir letztes Jahr die Rot-Weiß-Rot-Karte reformiert haben, sehen wir die ersten positiven Effekte: 50 Prozent Anstieg bei den Bewilligungen. Damit die Zahlen weiter steigen, wollen wir die Umsetzung begleiten. Aber auch andere Länder brauchen qualifizierte Fachkräfte, was einen gewissen Wettbewerb in den europäischen Ländern ergibt. 

Sie wollen auch Rahmenbedingungen für ein flexibles Arbeiten schaffen und grenzüberschreitendes Home-Office ermöglichen. Was genau beinhaltet flexibles Arbeiten?
Wir haben vor zwei Jahren als eine der ersten Staaten Home-Office gesetzlich implementiert. In einer Evaluierung haben wir festgestellt, dass die Menschen grundsätzlich zufrieden damit sind, aber sich zwei Anpassungen wünschen: Flexibles Arbeiten auch außerhalb der eigenen Wohnung, also Telearbeit generell. Für die Umsetzung sprechen wir mit den Sozialpartnern, was zB. die Unfallversicherung, also rechtliche Komponenten betrifft. Der zweite Wunsch war, dass es mehr Möglichkeiten für grenzüberschreitendes Homeoffice gibt. Das betrifft etwa Betriebe an den Grenzen, die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter aus den Nachbarstaaten beschäftigen, teilweise Pendler. Aber es betrifft auch österreichische Angestellte.
In den meisten Nachbarländern gilt die Regelung, dass man statt bisher 25 Prozent nun bis zu 50 Prozent der Arbeitszeit auch außerhalb des Landes im Homeoffice verbringen darf, ohne den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen des Wohnsitzstaates zu unterliegen. Ich glaube, das ist eine gute Lösung für viele Betriebe.
 

Was sagst du zu einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich?

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