Generation Corona
Wiesinger: Zwei Wochen Sommerschule macht Kraut nicht fett

Susanne Wiesinger lässt wieder aufhorchen: Die Corona bedingt versäumten Lehrinhalte müssten nachgeholt werden. Idealerweise durch Wiederholen des Schuljahrs vieler Kinder. | Foto: Nikolaus Ostermann
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Auch, wenn Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) dieser Idee schon eine Absage erteilt hat: Susanne Wiesinger, Autorin, Volksschullehrerin und über zehn Jahre lang Lehrer-Personalvertreterin, lässt mit einem Vorschlag aufhorchen: Dieses Schuljahr sollte wiederholt werden, um die durch Corona und Homeschooling verursachten versäumten Wissenslücken aufzuholen. Als Alternative fordert Wiesinger schnellstmöglich Ideen, um verlorene Bildung nachzuholen. Zwei Wochen Sommerschule als Kompensation seien zu wenig.

ÖSTERREICH. Die "Generation Corona" steht vor großen Herausforderungen. Bei vielen Schülern bestehen immense Wissenslücken, weil sie die geforderten Lerninhalte und Leistungen aus verschiedensten Gründen im Rahmen des Homeschooling nicht erbringen konnten und können. Die durch ihre Bücher "Kulturkampf im Klassenzimmer" und "Machtkampf im Ministerium" bekannt gewordene Lehrerin Susanne Wiesinger sorgt jetzt mit Aussagen über den Umgang mit Corona bedingt versäumtem Wissen für Aufmerksamkeit. Die Regionalmedien Austria (RMA) haben mit der Lehrerin gesprochen.

RMA: Frau Wiesinger, Sie lassen mit einem sehr progressiven Ansatz aufhorchen, wie man jetzt mit dem versäumten Schuljahr umgehen sollte.
Susanne Wiesinger: Viele Kinder haben große Defizite. Vor allem Volksschüler gehören einfach in die Schule. Oder wir müssen alternativ sagen: "Reset", das würde bedeuten, das Schuljahr zu wiederholen. 

Da müsste man zusätzliche erste Klasse einführen..
Mir ist klar, dass das in der Praxis von Räumen und Personal her nicht möglich sein wird. Wir werden da länger brauchen. Und es brauchen nicht alle, manche können mit Unterstützung der Eltern gut lernen. Aber es ist so, dass man sich innovative, neue Ideen überlegen muss. Vielleicht müsste man auch neue Beurteilungskriterien und Lehrpläne aufstellen. Und nicht alle über einen Kamm scheren, nicht alle Schülerinnen und Schüler gleich behandeln. Weil sie eben nicht alle gleich sind. Die Voraussetzungen waren noch nie so unterschiedlich wie jetzt. Die einen haben gut und viel gelernt, andere wieder nicht, die sind abgesackt. Was ja nicht ihre Schuld ist. Man muss neue Systeme und Strategien überlegen, mit unterschiedlichen Lehrplänen in unterschiedlichen Schulstufen. Im Sinne der Kinder wird das nur so funktionieren. Sonst schleifen wir viele Kinder mit. Und irgendwann müssen sie dann sowieso die Klasse wiederholen.

Wenn das abgelehnt wird: Kann man Wissen nicht in den Sommerferien nachholen?

Zwei Wochen im Sommer nachlernen im Rahmen einer Sommerschule würde das Kraut nicht fett machen, aber es wäre besser als nichts. Man müsste sich für den Sommer innovative Strategien überlegen, vermehrt Lernhilfe anzubieten. Es gäbe ja genug Studierende, die aushelfen könnten, es müssen ja nicht immer die Lehrer sein, die einspringen. Man darf den Familien den Urlaub nicht wegnehmen, viele wollen auch in ihre Herkunftsländer fahren, sobald es wieder möglich ist. Aber oft ist das Geld jetzt gar nicht vorhanden, um Urlaub zu machen.

Wie könnte man die Kinder Ihrer Meinung nach sonst besser fördern?
Bildung ist zu wichtig, als das man jetzt lockerlässt. Viele Kinder haben ohnehin schon genug versäumt. Es wird im Sommer allein nicht getan sein. Das ist zu wenig. Wir brauchen ein gutes Förderkonzept für das gesamte Schuljahr. Ein Förderkonzept, das man Schulen eigenständig entwickeln lässt. Schon jetzt gab es viele gute Ideen aus einzelnen Schulen, autonome Strukturen wären wirklich sinnvoll. Aber: Förderung ist nicht für alle notwendig. Für Brennpunktschulen und AHS-Unterstufen etwa könnte man sich das vorstellen. Insgesamt ist es so, dass, wenn Eltern Homeschooling aus welchen Gründen auch immer nicht übernehmen konnten und können, dann sind die Kinder verloren. Da geht es gar nicht nur um bildungsferne Familien. Ich kenne viele Eltern, die den Kindern das Wissen einfach nicht erklären können, weil sie keine Zeit haben oder nicht geeignet dafür sind.

Was gehört Ihrer Meinung nach sonst noch geändert?
Strukturelle Veränderungen wären auch wichtig. Eine Verwaltung brauchen wir, aber man sollte überlegen, ob wir in den Bildungsdirektionen und Ministerium wirklich so viel Personal brauchen, oder ob diese Leute nicht an den Schulen effektiver eingesetzt werden könnten, weil sie dort auch nötiger wären. 

Soll dieses Schuljahr für alle Schüler wiederholt werden?

Faßmann: 270 Millionen Euro für Notmaßnahmen

Faßmann hält von "Übertreibungen" wie von einem "verlorenen Jahr" oder von einer "verlorenen Generation" wenig, "allerdings haben sich Bildungsdefizite vergrößert", gestand er am Montag in einer Pressekonferenz ein. Und er erläuterte, welche Notmaßnahmen nun für den Schulbetrieb organisiert werden sollen. Dazu legt er 270 Millionen Euro auf den Tisch – vor allem für einen massiven Ausbau der Fördermaßnahmen. 

"Kulturkampf im Klassenzimmer" 

Susanne Wiesinger war lange Zeit als Lehrerin tätig, bevor sie 2018 mit ihrem Buch "Kulturkampf im Klassenzimmer" für Aufsehen sorgte, in dem sie eine Integrations- und Werteproblematik an Wiener Schulen thematisierte. Wiesinger war als Personalvertreterin der Lehrergewerkschaft am Wiener Stadtschulrat tätig. Im Februar 2019 wurde sie vom damaligen Bildungsminister Heinz Faßmann zur Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte berufen und schrieb einen Tätigkeitsbericht dieser Ombudstelle. Dabei schrieb sie ihr zweites Buch "Machtkampf im Ministerium", das von der Einflussnahme der Politik auf das Schulsystem handelt. Noch vor dem Erscheinen des Buches im Januar 2020 wurde ihre Tätigkeit als Ombudsfrau vorzeitig beendet. Wiesinger arbeitet jetzt als Volksschullehrerin an einer Wiener Brennpunktschule.

Zwei Wochenstunden pro Klasse zusätzlich, mehr Lehrer
Wie sich die Corona-Krise auf das Lernen der Schüler auswirkte

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