Korruption bis Ausbeutung
Warum die Fußball-WM in Katar umstritten ist

Am 20. November startet die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Es ist die wohl umstrittenste WM der Geschichte – wir haben einen Blick hinter die Kulissen geworfen. | Foto: Shutterstock
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  • Am 20. November startet die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Es ist die wohl umstrittenste WM der Geschichte – wir haben einen Blick hinter die Kulissen geworfen.
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Am Sonntag um 17.00 Uhr ist der Anpfiff zur Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Berichte über eine von Korruptionsvorwürfen überschattete FIFA-Vergabe, prekäre Zustände auf den WM-Baustellen sowie ausgebeutete und tote Arbeitsmigrantinnen- und migranten beherrschten in den vergangenen Jahren das öffentliche Bild des Fußball-Großevents. Im Fokus der Kritik steht außerdem die fehlende Fußballtradition sowie ein antiquiertes Frauen- und Menschenbild im Gastgeberland. Ein Blick hinter die Kulissen der wohl umstrittenste WM der Geschichte.

ÖSTERREICH/KATAR. Am Sonntag können Fußballfans in Österreich und auf der ganzen Welt den Auftakt zur 22. Ausgabe einer Fußball-WM live miterleben. Dass es diesmal weniger vor den TV-Geräten stattfinden wird als bei vergangenen Endrunden, ist anzunehmen. Noch nie war die Stimmung vor einer Fußball-WM so negativ, die Debatte rund um das Turnier derart heftig und aufgeladen.

Laut einer vom Market-Institut soeben veröffentlichten Studie wollen rund 44 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher die heurige WM bewusst boykottieren. Das hat Gründe. Wir wollen uns genauer ansehen, was es mit der WM 2022 in Katar auf sich hat, warum sie derart in der Kritik steht, und was das alles letztendlich für den Fußball bedeutet.

Überschattete FIFA-Vergabe 

Die Debatte rund um die WM 2022 begann vor rund zwölf Jahren, im Dezember 2010. Damals entschied sich das Exekutivkomitee der FIFA im vierten Wahlgang für Katar als Austragungsort. Und das, obwohl es sich laut offiziellen Prüfberichten von allen Bewerbungen am wenigsten eignete: Stadien, oder eine zurückreichende Fußballtradition – Fehlanzeige.

Aber schon im Vorfeld der Vergabe sorgte ein Korruptionsskandal für Aufsehen. Britische Reporter der "Sunday Times" filmten mit versteckten Kameras mit, wie zwei Komitee-Mitglieder ihre Stimmen zum Verkauf anboten. Die beiden FIFA-Vertreter wurden gesperrt, die Abstimmung fand ohne sie statt. Darüber, dass es sich bei den beiden Vertretern nicht um Einzelfälle handelte, sind sich viele Beobachter einig. 

Die Justiz hat die FIFA seither im Visier und es kam in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Untersuchungen und Verhaftungen. Eine Vielzahl der damaligen Exekutivkomitee-Mitglieder wurde seither suspendiert oder angeklagt. Mittlerweile bezeichnet sogar der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter die Vergabe an Katar als "Fehler". 

Ausbeutung von Gastarbeitern

Das Gastgeberland Katar steht vor allem wegen Menschenrechtsverstößen in der Kritik. Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch bemängeln seit dem Baubeginn der Stadien regelmäßig den Umgang mit Gastarbeitern. Menschen aus Indien, Nepal oder Bangladesch wurden mit dem Versprechen guter Bezahlung auf die WM-Baustellen nach Katar gelockt. Die Pässe wurden ihnen bei der Ankunft oftmals abgenommen, die versprochenen Löhne verspätet oder teilweise gar nicht ausbezahlt, kritisieren die Menschenrechtsorganisationen.

Vor Ort arbeiteten sie dann bei Höchsttemperaturen zwischen 45 und 50 Grad und unter mangelnden Sicherheitsvorkehrungen. Medienberichten zufolge sind tausende Menschen auf WM-Baustellen ums Leben gekommen. Katar selbst bestreitet das. Laut den offiziellen Angaben des Emirats sind auf Stadionbaustellen drei Menschen bei Arbeitsunfällen gestorben – 37 weitere registrierte Todesfälle wurden als "Non-Work-Related Deaths" eingestuft. 

Medienberichten zufolge sind tausende Gastarbeiter auf WM-Baustellen ums Leben gekommen. | Foto: Shutterstock
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Die Nachhaltigkeit von Reformen

Zudem verweist Katar auf einige Reformen, die es im Verlauf der vergangenen Jahre umgesetzt habe. Im August 2020 legte das Emirat etwa einen monatlichen Mindestlohn in Höhe von 1.000 Riyal (etwa 230 Euro) für Arbeitsmigrantinnen und -migranten fest – davor gab es einen solchen nicht. Wenn man also etwas Positives aus der WM-Vergabe mitnehmen möchte, dann wohl, dass der internationale Fokus der Öffentlichkeit durchwegs auch einige Verbesserungen mit sich gebracht hat. So argumentieren im Übrigen auch viele FIFA-Akteure, wenn es um die Rechtfertigung der WM geht.

Es bleibt also abzuwarten, ob der eingeschlagenen Reform-Weg von Katar auch nachhaltig weiterbeschritten wird. Die Gefahr einer Kehrtwende, sobald sich der WM-Vorhang wieder schließt, besteht, da sind sich die kritischen Beobachterinnen und Beobachter einig. Übrigens: Die Forderung nach der Errichtung eines Entschädigungsfonds für Angehörige von Verletzten oder ums Leben gekommenen Gastarbeitern hatte Katar erst Anfang des Monats abgelehnt.  

Umgang mit Minderheiten und Frauen

In der Kritik steht aber nicht nur der katarische Umgang mit Gastarbeitern, sondern auch jener mit Minderheiten, Frauen und LGBTQ-Personen. Homosexualität ist in Katar gesetzlich verboten und wird mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft. Emir Tamim bin Hamad Al Thani versicherte zwar im September, dass Fans "aus allen Gesellschaftsschichten" willkommen seien, die Glaubwürdigkeit dieses Versprechens ist vor dem Hintergrund der gesetzlichen Lage aber fragwürdig. Aussagen wie jene des offiziellen WM-Botschafters von Katar, Khalid Salman, wonach Homosexualität ein "geistiger Schaden" sei, machen die Situation nicht besser.

Im selben Interview übrigens bezeichnete Salman Frauen als "Süßigkeiten". Das in Katar vorherrschende System der männlichen Vormundschaft wurde im vergangenen Jahr in einem Bericht von Human Rights Watch aufgearbeitet und scharf kritisiert. Im Prinzip verwehrt es Frauen das Recht, wichtige Entscheidungen über ihr Leben eigenständig zu treffen. So können muslimische Frauen in Katar etwa nur mit der Erlaubnis eines männlichen Vormunds heiraten.  

Folgen von Katar: Imageschaden oder -politur

Die FIFA stand bereits vor Katar immer wieder in der Kritik. Der Organisation wird schon seit Langem Korruption, Macht- und Geldgier vorgeworfen. Die WM in Katar hat die öffentliche Meinung dahingehend nicht nur bestärkt, sondern die fragwürdige Vergabe des internationalen Fußballverbandes ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. An der Behebung des Imageschadens wird wohl noch lange zu arbeiten sein.

Apropos Image: Ein wesentlicher Grund, weshalb Katar die WM überhaupt ins eigene Land holen wollte, war die Erwartung einer damit einhergehenden Imagepolitur. "Sportswashing" nennt sich das: Länder richten Sport-Großevents aus und hoffen darauf, dadurch ihr globales Ansehen zu steigern. Ob diese überdimensionale Marketingaktion tatsächlich fruchtet oder nicht viel eher nach hinten losgegangen ist, wird sich wohl erst im Nachgang der WM zeigen.

Die Zeit wird zeigen, inwieweit Katar von der WM-Ausrichtung profitiert.  | Foto: Shutterstock
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Der Fußball als großer Verlierer

Ein großer Verlierer der ganzen Sache ist jedenfalls der Fußball, der Sport, um den es eigentlich gehen sollte, den so viele Menschen leben und lieben – er bleibt hinter all den korrupten Machenschaften und Menschenrechtsverstößen auf der Strecke. Viele Fans wenden sich enttäuscht ab. Die Leidenschaft für den und die Freude am Fußball wiegt den Verkauf ethischer Grundwerte nicht mehr auf. Nur zu verständlich, wer sich für einen Boykott entscheidet.

Andere wiederum wollen nun erst recht hinsehen, mit kritischem Blick, damit eine WM unter derartigen Umständen in Zukunft nicht mehr stattfindet. Im deutschen Fernsehen erklärte der ehemalige DFB-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger das kürzlich so: Er lasse sich die Leidenschaft am Fußball weder von der FIFA noch von Katar verderben.

Was ist deine Meinung zur WM in Katar?
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