Corona-Jahrestag
Intensivmedizinerin Tina Muhr im Interview über drei Jahre Pandemie

Ruhig ist es auf einer Intensivstation zwar nie, aber aktuell gibt es auf der Intensivmedizin des LKH Graz West II, die von Tina Muhr geleitet wird, nur "einige Covid-Patienten." | Foto: Konstantinov
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  • Ruhig ist es auf einer Intensivstation zwar nie, aber aktuell gibt es auf der Intensivmedizin des LKH Graz West II, die von Tina Muhr geleitet wird, nur "einige Covid-Patienten."
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"Corona ist gekommen, um zu bleiben" – was mittlerweile alle wissen, hätte vor genau drei Jahren niemand auszusprechen gewagt. Covid 19 hat die Gesellschaft, aber vor allem das Gesundheitssystem vor enorme Belastungsprobe gestellt. Von Anfang an hautnah dabei war die Grazer Medizinerin Tina Muhr, die die Intensivstation im LKH Graz II West leitet, an der die erste steirische Covid-Patientin versorgt wurde.

GRAZ. In Kürze jährt sich der "offizielle" Ausbruch der Corona-Pandemie mit der Verhängung des ersten Lockdowns am 16. März 2020 zum dritten Mal. Intensivmedizinerin Tina Muhr, von Beginn an vorderster Front in der Versorgung von Covid-Patientinnen und -Patienten, datiert den "Jahrestag" allerdings schon etwas früher, nämlich mit dem Tag, an dem die erste Covid-Patientin der Steiermark in ihrer Station aufgenommen wurde.

Wie die Medizinerin den Ausbruch der Pandemie und damit die größte bisher da gewesenen Gesundheitskrise erlebt hat und welche Lehren daraus zu ziehen sind, lässt sie im Interview mit MeinBezirk.at Revue passieren.

  • Sie leiten die die Intensivstation am LKH Graz II West, im März 2020 quasi das Epizentrum der Spitalsversorgung in der Corona-Pandemie. Wie ist die Lage aktuell?

Tina Muhr: Ruhig ist es auf einer Intensivstation zwar nie, aber was Covid betrifft, so haben wir derzeit schon vereinzelt Fälle, die Krankheitsverläufe sind jedoch anders als am Anfang, nicht mehr mit den schweren Lungenversagen. Das ist einerseits auf die gute Durchseuchung und andererseits darauf zurückzuführen, dass so viele Menschen geimpft sind. Auch die aktuellen Mutationen rufen nicht so schwere Verläufe hervor.

Die Frage: Was kommt auf mich zu? Die große Unsicherheit. Kann ich nach Hause gehen, ohne "es" den Kindern mitzubringen? - Gedanken, die die Ärztin zu Beginn der Pandemie beschäftigten. | Foto: Konstantinov
  • Die Frage: Was kommt auf mich zu? Die große Unsicherheit. Kann ich nach Hause gehen, ohne "es" den Kindern mitzubringen? - Gedanken, die die Ärztin zu Beginn der Pandemie beschäftigten.
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  • Wie haben Sie die vergangenen drei Jahre erlebt?

Der Jahrestag des Corona-Ausbruchs war für mich ja eigentlich schon der 6. März. Das war 2020 jener Tag, an den wir die erste steirische Covid-Patientin bekommen haben. Wir waren die ersten, die Covid-Intensivpatientinnen und -patienten betreut haben. Eine der größten Herausforderungen war in diesen Spitzenzeiten, zu bewerkstelligen, dass alle Patientinnen und Patienten, die eine intensivmedizinische Versorgung brauchten, auch bekommen konnten. Eine Intensivstation kann man ja nicht einfach so vergrößern. Da gab es dann Betten für Covid-Fälle und solche für alle anderen Patientinnen und Patienten. 

  • Was waren die einschneidendsten Momente?

Unter anderem am einprägsamsten war sicherlich der Anfang. Die Frage: Was kommt auf mich zu? Die große Unsicherheit. Kann ich nach Hause gehen, ohne "es" den Kindern mitzubringen? Ich werde auch nie vergessen, als ich während des Lockdowns die Grabenstraße entlang in den Dienst gefahren bin und sie war gespenstisch leer, so leer wie gewöhnlich nur an einem Sonntag um 7 Uhr früh ... und eigentlich noch leerer.

  • Denkt man sich da nicht: Die anderen sitzen sicher im Home Office und ich "muss sozusagen an die Front?"

Nein, auf keinen Fall. Das war für mich nie eine Frage. Ich mache den Job aus Idealismus, ich will helfen. 

"Als klar war, dass der Lockdown kommt, sind wir in den Baumarkt gefahren und haben alles gekauft, was uns nützlich erschien. Niemand wusste, wie es weitergeht", erinnert sich die Medizinerin an den Ausgangspunkt zurück. | Foto: Konstantinov
  • "Als klar war, dass der Lockdown kommt, sind wir in den Baumarkt gefahren und haben alles gekauft, was uns nützlich erschien. Niemand wusste, wie es weitergeht", erinnert sich die Medizinerin an den Ausgangspunkt zurück.
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  • Was waren die größten Herausforderungen?

Abgesehen von der anfänglichen Unsicherheit sicherlich die Versorgung mit ausreichend Schutzausrüstung. Die ständige Überlegung: Wie oft geht es sich noch aus, dass wir uns einschleusen? Vor dem Lockdown waren wir noch im Baumarkt, um uns zu auszurüsten und zu wappnen. Der Hauptproduzent China ist ja ausgefallen. Das Gute daran: Wir haben neue SOPs (Standard Operating Procedure) herausgebracht, sind in der Zusammenarbeit viel enger zusammengewachsen.

  • Stichwort Verbesserungen. Inwiefern hat sich durch die Pandemie eventuell etwas zum Positiven verändert?

Das war ganz eindeutig die Vernetzung. Wir haben mit allen anderen Spitälern der Steiermark intensiv zusammengearbeitet. Ich habe sehr viel Telefonate mit anderen Kolleginnen und Kollegen in Wien, unter anderm mit Prof. Wenisch (Infektiologe am SMZ Süd – KFJ-Spital der Stadt Wien, Anmerk. d. Red.) geführt. Wir alle waren für jede Information dankbar, jeder hat sein Wissen weitergegeben. Da war kein Platz für falschen Ehrgeiz, sondern alle Unterlagen wurden freizügig zur Verfügung gestellt. Und diese Vernetzung ist auch vielerorts geblieben, was es einfacher macht, Kapazitätsproblematiken zu lösen.

  • Was hat die Pandemie umgekehrt an Mängeln schonungslos ans Tageslicht gefördert?

Abseits von der allseits bekannten Personalthematik fällt mir dazu nichts Konkretes ein und auch da hatten wir in der Abteilung extremes Glück. Bei uns ist kaum wer gegangen, ich habe einfach das beste Team der Welt! Das ist nicht alltäglich. Wenn wir von Mängeln sprechen wollen, dann waren es vielmehr viele kleine Punkte, die man vorher nicht so bedacht hatte.

"Wenn uns Covid etwas gelehrt hat, dann ist es, dass wir uns seither noch besser untereinander vernetzen, innerhalb der Steiermark, Österreichs aber auch darüberhinaus", sieht Tina Muhr auch positive Aspekte der Pandemie. | Foto: Konstantinov
  • "Wenn uns Covid etwas gelehrt hat, dann ist es, dass wir uns seither noch besser untereinander vernetzen, innerhalb der Steiermark, Österreichs aber auch darüberhinaus", sieht Tina Muhr auch positive Aspekte der Pandemie.
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  • Wie sehen Sie als Medizinerin die geplante Aufhebung aller Maßnahmen mit Juni?

Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir wieder ein normales Leben beginnen. Für die Kinder, für das Immunsystem, wir sollten wieder mit normalen Erregern in Kontakt kommen. Covid wird bleiben, mit teils leichteren und schwereren Wellen wie das auch bei der Grippe der Fall ist.

  • Werden wir beziehungsweise das Gesundheitssystem mit einer nächsten derartigen Krise – so sie kommen sollte – besser umgehen können?

Das glaube ich schon, auch wenn es wieder neue Herausforderungen geben wird. Solche Krisen kommen normalerweise alle 25 bis 50 Jahre ... ich hoffe, da bin ich dann schon in Pension.

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