Der WOCHE-Familienflüsterer über die verschiedenen Perfektionismus-Typen
Aus der Perfektionismusfalle

Für viele dreht sich die Perfektionismusspirale zu schnell. | Foto: baranq/Fotolia
  • Für viele dreht sich die Perfektionismusspirale zu schnell.
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Perfekt ist gut, perfektionistisch nicht unbedingt besser. Ab wann Perfektionismus zum Hindernis wird, weiß WOCHE-Familienflüsterer Philip Streit. 
Perfektionismus ist eine herausfordernde Sache, das beginnt schon mit der Definition an sich, die es nämlich einheitlich so nicht gibt. Vielmehr liegt die  Bedeutung im Auge des Betrachters. Am ehesten beschreibt Perfektionismus das Streben nach Vollkommenheit und das Streben danach, möglichst wenig Fehler zu machen.

Perfektionismus im Vorwärts- und Retourgang

Im Gegenteil zur landläufigen Meinung gibt es zwei Typen von Perfektionismus: Einen, der sich hohe Ansprüche stellt und diese bestmöglich zu erfüllen sucht. Das nennen wir auch den gesunden oder vorwärtstreibenden Perfektionismus. Und einen zweiten, der vor allem darauf bedacht ist, bloß keine Fehler zu machen. Dieser Typ wird auch als ungesunder oder hinderlicher Perfektionismus bezeichnet.
Was nun perfekt ist, kann jeder in seinem Kopf selbst festlegen.
Das entscheidende Kriterium, ob Perfektionismus krank macht oder nicht, ist der Umgang mit Misserfolgen. Betrachtet man einen Misserfolg als wichtige Ressource für sein Weiterkommen, so ist dies förderlich.
Bezieht man jedoch Misserfolge auf seine persönliche Unsicherheit, sein persönliches Versagen, seine persönliche Unfähigkeit oder auf den inneren Druck es allen Recht machen zu wollen, dann kann daraus eine ängstlich besorgte Zwanghaftigkeit werden. So gerät man in eine Abwärtsspirale. Im Hintergrund besteht zumeist ein niedriges Selbstwertgefühl. Dann will man es entweder den anderen mit übertriebener Genauigkeit beweisen oder man versinkt in ängstlicher Passivität. Man findet nicht das rechte Maß zwischen seinen Ansprüchen, seinen Sorgen und der Realität.
Die gute Nachricht ist, dass wir aus dieser Zwickmühle herauskommen können. Denn Zwanghaftigkeit ist einem nicht in die Wiege gelegt, sondern etwas, das man sich durch negative Gedanken redlich erarbeitet hat und auf die Zukunft projiziert.

Weg in Richtung mehr Imperfektion

Hier nun einige Tipps, wie Sie mit übergroßem Perfektionismus umgehen können und ein bisschen imperfekter werden:
1. Wenn die Sorgen kommen – und die kommen unweigerlich – nicht gleich reagieren, sondern langsam ein- und ausatmen.

2. Wachsamkeit gegenüber sich selbst: Wozu ist die Besorgnis gut? Was ist realistisch? Was ist unnötig?

3. Zeit nehmen
für einen realistischen und gewissenhaften Plan.

4. Keine Vergleiche: Jeder Mensch ist einzigartig und hat individuelle Stärken.

5. Fehler kalkulieren anstatt sie ängstlich vermeiden zu wollen. Fehler gehören zum Leben dazu.

6. Dynamisches Mindset bei Misserfolgen: Statt "etwas ist nicht gelungen“ besser mit folgenden Worten denken „etwas ist noch nicht gelungen“ und ist somit ein Ansporn für die Zukunft.

7. Kritik als wertvolle Anregung sehen. Perfektionismus schützt nämlich keinesfalls vor Kritik.

8. Zielstrebig sein "Ding" durchziehen statt sich zu sorgen.

Der Experte:

Dr. Philip Streit
Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater.
Seit 1994 leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz.
Telefon: 0316/77 43 44
Web: www.ikjf.at
Leser-Fragen bitte an: redaktion.graz@woche.at oder per Post an „WOCHE Graz“, Gadollaplatz 1/6. Stock, 8010 Graz

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