Dr. Streit
Der Experte Philip Streit findet: "Wir müssen unseren Kindern mehr zutrauen!"

Ob das Kind Hilfe benötigt, merkt man am Bauchgefühl. Psychologie kann aber auch helfen, sich noch besser zu entwicklen. | Foto: KK
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  • Ob das Kind Hilfe benötigt, merkt man am Bauchgefühl. Psychologie kann aber auch helfen, sich noch besser zu entwicklen.
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Der Familienflüsterer Philip Streit lenkt bei der psychologischen Arbeit den Blick immer auf das, was gelingt.

Seit fünfeinhalb Jahren redet er den WOCHE-Lesern bei Sorgen gut zu: "unser Familienflüsterer" Philip Streit. Wir haben die Gesundheitsausgabe zum Anlass genommen, um mit ihm über sein Institut, seine Arbeit und die Probleme moderner Familien zu sprechen.

WOCHE: Wer kommt mit welchen Anliegen zu Ihnen?
Philip Streit: Das Institut wird vorwiegend von Familien mit Kindern oder Jugendlichen aufgesucht, die Unterstützung oder Behandlung benötigen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn es zu einer ersten "Trennung" von Eltern und Kindern kommt, wie beim Einstieg in den Kindergarten oder in die Volksschule. Im Zuge dieser Herausforderung kann es zu Verhaltensweisen kommen, die als "störend" empfunden werden, allerdings nur ein Versuch des Kindes sind, sich zurechtzufinden. Auch kommen Eltern zu uns, weil sie sich unsicher sind, ob bei ihrem Kind eine seelische Besonderheit wie Autismus oder Hyperaktivität vorliegt. Viele kommen aber ganz ohne Problemdruck. Sie wollen einfach mehr über ein gelingendes, glückliches und erfolgreiches Leben erfahren.

Inwiefern sind familiäre Probleme heute anders als früher?

Wir beobachten heute immer häufiger etwas, dass der Psychologe Jonathan Haidt als "neue Zerbrechlichkeit" bezeichnet: eine deutliche Zunahme des "Helicoptering", also der Überfürsorge. War es Ende der 80er Jahre noch normal, alleine zur Schule zu gehen oder für kurze Zeit alleine zuhause zu sein, spricht man heute schnell von Vernachlässigung. Das hängt vor allem damit zusammen, dass viele Menschen glauben, die gesellschaftliche Situation werde zunehmend schlechter, obwohl dies faktisch einfach nicht stimmt. Wir glauben, sie beschützen zu müssen und trauen unseren Kindern nichts mehr zu. Dadurch nehmen wir ihnen aber die Kompetenz, Herausforderung eigenständig zu meistern. Auch die Digitalisierung ist eine Herausforderung, die es zu meistern gilt, sollte allerdings nicht verteufelt werden. Cybermobbing ist seltener als man denkt.

Wie merkt man, dass man Unterstützung benötigt?
Das merkt man üblicherweise am Bauchgefühl. Man möchte etwas ändern, traut sich aber nicht, sucht nach einem Sündenbock und schämt sich für die verfahrene Situation. Auch Kinder senden oft Warnzeichen: Sie schlafen nicht mehr richtig, wollen nicht mehr zur Schule, essen weniger oder werden aufmüpfig. Da ist es dann klug, Hilfe anzufordern – und das gleich, nicht erst drei Wochen später.

Hat die Zahl der hilfesuchenden Menschen zugenommen?
Ja, absolut. Nicht etwa, weil die Zahl der Störungen zugenommen hätte – ich denke, diese nehmen wir mittlerweile einfach mehr wahr –, sondern weil die Psychologie enttabuisiert und als Möglichkeit wahrgenommen wird, sich noch besser zu entwickeln.

Wie helfen Sie?

Nachgehend, stark und positiv. Nachgehend, weil wir auch Hausbesuche machen. Stark und positiv, weil wir nicht nach Fehlern suchen, sondern schauen, welche Stärken und Leidenschaften das Kind hat und diese nutzen, um es wieder Handlungsfähig zu machen. Dabei sind unsere Eltern-Kind-Gruppen und Elterntreffen enorm hilfreich. Dazu kommt noch die Einzelbehandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Ziehen Sie die Probleme anderer Menschen nicht runter?
Nein, weil ich ein schlechtes Gedächtnis habe (lacht). Aber im Ernst: Ich liebe meinen Job sehr und unterstütze die Menschen gerne darin, ein gelingendes, zufriedenes Leben zu führen.

Der Experte:
Dr. Philip Streit

Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater.
Seit 1994 leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz.
Telefon: 0316/77 43 44
Web: www.ikjf.at
Leser-Fragen bitte an: redaktion.graz@woche.at oder per Post an „WOCHE Graz“, Gadollaplatz 1/6. Stock, 8010 Graz

Ob das Kind Hilfe benötigt, merkt man am Bauchgefühl. Psychologie kann aber auch helfen, sich noch besser zu entwicklen. | Foto: KK
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