Musik als Therapie
"Der Ton macht das Bild"
Videos von singenden Menschen und Balkonkonzerten prägen derzeit die Social-Media-Timelines. Die WOCHE hat deshalb mit dem Musiktherapeuten Christian Münzberg über die Wirkung von Musik gesprochen.
"Singen hilft beim Spannungsabbau, gleicht den Muskeltonus aus und befreit von Stress. Man atmet tief, das schafft Luft. Wir sind in Resonanz mit den Menschen um uns, hören die anderen und sind gleichzeitig in Resonanz mit uns selbst", beschreibt Christian Münzberg vom Leitungsteam der "Grazer Ausbildung Musiktherapie" an der Kunstuniversität Graz. Und gerade diese Resonanz sei wichtig: "Wir suchen immer Referenzpunkte in der Umwelt, dass wird existent und in Beziehung sind. Klang schafft genau das."
Strukturen aufrechterhalten
Des Weiteren erklärt der Musiktherapeut, dass Musik und Singen auch eine Aufrechterhaltung der psychischen und sozialen Strukturen darstellen kann: "Wir führen etwas weiter, das uns Sicherheit gibt und das wir seit unserer frühen Kindheit kennen. Über den Klang der Stimme erfahren wir Bindungserleben zur Mutter und wir lernen, Emotionen zu regulieren. Wir können etwas aufrechterhalten, das uns vertraut ist. Die Menschen stehen nicht nur am Balkon, weil sie anderen etwas geben möchten, was sehr berührend ist und uns Mut und Solidarität gibt, sondern möglicherweise auch für sich selbst, um ihre gewohnten Strukturen beizubehalten.“ Das Singen und Musizieren sei intuitiv ein Mittel, damit auch psychische Reaktionen wie Depressionen oder impulsive Aggressionen vermindert werden können.
Auch wenn jemand sein DJ-Pult am Balkon aufbaut, so gefällt das sicher vielen, aber vielleicht nicht jedem. Auf diese Weise behalte man vielleicht auch sein Level an Action bei. "Musizieren gibt uns Sicherheit, nicht in die Gefahr der Stille verfallen zu müssen, denn Stille ist heutzutage ungewohnt und macht manchmal sogar Angst. Singen, Action und aus sich herausgehen sind jedoch vertraut." Der Experte gibt allerdings auch zu Bedenken, dass man darauf achten solle, was die Menschen in der Umgebung damit verbinden könnten. "Die Ohren sind immer offen, wir synchronisieren uns zum Beispiel sofort mit Rhythmen, wir hören auf die Geräusche und sie nehmen tatsächlich Einfluss auf uns. Die Art, wie wir Musik verwenden, ist sehr individuell und subjektiv." Genau hier setze auch die Musiktherapie an, so versuche man, die Menschen in dieser subjektiven Erlebniswelt abzuholen.
Beziehung erleben
"Vom ersten Ton im Mutterleib bis zum letzten Ton, wenn am verstirbt, kann man Musik hören und wahrnehmen, darum handelt es sich um eine sehr breite Therapieform", erklärt Münzberg und gibt Beispiele: "So kommt die Musiktherapie bei Frühgeborenen im Brutkasten und Schreibabys sowie bei Kinder mit Verhaltensstörungen und bei Menschen mit Behinderungen oder bei Herzpatienten zum Einsatz." In der Psychiatrie und Psychosomatik ist sie sehr wichtig, da Musik anregend oder entspannend wirken kann und hilft, sich von Ängsten zu lösen und sich aus der inneren Einengung wieder für neue Erfahrungen zu öffnen. Auch nach einem Schlaganfall wird die Musiktherapie neben der nonverbal psychischen Betreuung funktional unterstützend zum Beispiel beim Gangtraining verwendet, so der Experte, der ergänzt: "Musik ist ein geeignetes Mittel, um zu lernen, sich selbst wieder sowohl körperlich als auch emotional besser wahrnehmen und regulieren zu können. Musik wirkt auf Emotionen ein und hilft Emotionen auszudrücken und wir erleben über Musik ganz besonders auch Beziehung."
Abschließend erzählt Münzberg: "Musik kann innere Bilder anstoßen, da wir Lieder und Klänge mit erlebten Erfahrungen wie in kleinen Filmchen szenisch verknüpfen und so werden auch teils tiefliegende Erinnerungen, mit denen wir musiktherapeutisch dann weiter arbeiten können, wachgerufen. Der Ton macht eben das Bild."
Hier finden Sie weiter Infos zur „Grazer Ausbildung Musiktherapie“ und zu Christian Münzberg.
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