Grazer Verschubbahnhof
Gleise alles andere als leise (+Video)
Am Verschubbahnhof quietscht es schrill. Warum der Lärm schon vor Corona da war und was helfen könnte.
Das Quietschen rund um den Göstinger Verschubbahnhof ist deutlich zu hören. Es raubt vielen Nerven und Schlaf. In der Sendung "Bürgeranwalt" wurde seitens der ÖBB kürzlich erklärt, dass das coronabedingte Zuhausebleiben sowie das Ausbleiben von Umgebungslärm ein Grund für die verstärkte Wahrnehmung sein dürfte. "Absoluter Humbug", schreibt ein verzweifelter Anrainer, der seit 45 Jahren in der Augasse – rund einen Kilometer vom Verschubbahnhof entfernt – wohnt: "Der Lärm hat sich nicht aufgrund der Wahrnehmung der Menschen durch Corona verändert, es hat ihn vor zwei Jahren einfach noch nicht gegeben."
Im Video sind Aufnahmen aus Tag und Nacht zu hören:
"Der Ton ist neu und schmerzhaft", bestätigt HTL-Lehrer Karl Friedl. Die Talbremse liegt direkt neben den Klassenzimmern der zweitgrößten Schule Österreichs. "Der Verschublärm war in den letzten 100 Jahren unseres Schulbestehens noch nie so hochfrequent." Deshalb hat Friedl am 4. März 2020 – noch vor dem ersten Lockdown – gemeinsam mit bereits entnervten Schülern Messungen angestellt. Das Ergebnis: gesundheitsschädigende, hochfrequente Ausschläge (die WOCHE berichtete). Woher der Lärm kommt, wisse man seitens der ÖBB nicht.
Talbremse im Verdacht
"Es gibt keine Hypothese, woher der Lärm kommt", sagte ÖBB-Sprecher Franz Hammerschmid kürzlich im TV. Der pensionierte HTL-Fahrzeugtechnik-Professor sowie beeidigte KFZ-Sachverständige Erich Wendler hat die Gleisbremse im Verdacht. Bei Verschubarbeiten verlangsamt sie die rollenden Waggons und sollte die Arbeiten damit eigentlich leiser gestalten. "Wenn man die Verschiebe-Vorgänge vor Ort beobachtet, dann rührt diese hochfrequente Lärmentwicklung von den Gleisteilen bzw. der ergänzenden Gleisbremse. Diese Teile dürften in jüngerer Vergangenheit eingebaut worden sein. Wenn meine zeitliche Rekonstruktion richtig liegt, dann besteht die Lärmentwicklung seit der Elektrifizierung der westlichen Schienenstränge." Damals wurde die Bevölkerung via Postwurf über diese Umbaumaßnahmen informiert. Die ÖBB schließt Probleme an der Talbremse jedoch aus: "Weder bei den Gleis- noch bei den Weichenanlagen wurden Mängel gefunden. Weder baulich noch bei den Abläufen beim Verschub der Züge wurde am Verschiebe-Bahnhof 2019/2020 etwas umgestellt."
Lösungssuche mit Paste
"Auf 25 Hektar ist die Spurensuche eine große Aufgabe", heißt es vonseiten der ÖBB. "Wenn es Ideen gibt, her damit", erklärte der Sprecher im TV. Wie die WOCHE bereits im April berichtete, verspricht sich Bezirksvorsteher Bernhard Baier von einer aluminiumbasierten Paste eine Lärmminderung: "Die Lösung gibt es: In Nürnberg, Prag, Schruns und weiteren Bahnhöfen bzw. Gleisanlagen wurde das hochfrequente Pfeifen beseitigt." Die Vorrichtung der slowenischen Firma ELPA hat er bereits im Posteingang der ÖBB deponiert, so Baier: „Bereits im April habe ich dazu den ÖBB entsprechende, detaillierte Unterlagen einer slowenischen Firma übermittelt, aber bis heute keine Antwort erhalten. Ich fordere die ÖBB auf, das für die Göstinger unerträgliche Problem unverzüglich zu lösen.“
Spurensuche bis 2022
Ob das slowenische System Teil der Lösung sein könnte, entscheidet sich erst. Und das hat nicht die ÖBB in der Hand: Die Forschungen rund um die Talbremse wurden an die Talbremsen-Herstellerfirma weitervergeben, heißt es von den ÖBB: "Der Hersteller der Talbremse wird vor Ort Tests durchführen und konkrete Vorschläge erarbeiten. Dieser Arbeit der Experten können und wollen wir nicht vorgreifen, aber wir haben die Firma ELPA den Herstellern zur Kenntnis gebracht." Vor voraussichtlich 2022 sei nicht mit Ergebnissen zu rechnen.
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