Ethik in der Kriegsberichterstattung
Letztlich entscheidet das Gewissen
Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Berichterstattung werfen aktuell tiefgreifende Fragestellungen für den Bereich der Medienethik auf. Der Ethiker und Theologe Leopold Neuhold spricht über die unerlässliche Bedeutung der Ethik für die Kriegsberichterstattung.
GRAZ/STEIERMARK. Verstörende Bilder von Gewalt, Leichen und Zerstörung in sozialen Medien sowie in der Zeitung führen aktuell tagtäglich die Brutalität des Krieges in der Ukraine vor Augen – das Berichten über Gewalt und Krieg stellt ein heikles Unterfangen dar, bei dem sich Journalist:innen stets entlang einer schmalen Linie zwischen Zeigen im Sinne der Pressefreiheit und vorsichtiger Zurückhaltung bewegen.
"An die Grenze gehen, aber diese dann achten, das ist guter Journalismus", findet Ethiker und Theologe Leopold Neuhold, der das Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Uni Graz leitete und sich bisweilen mit Fragen der Medienethik beschäftigt.
Recht und Ethos
Neben dem gesetzlichen Medienrecht ist es der Berufsethos für Journalist:innen, der dafür Sorge trägt, dass diese heiklen Grenzen bei der Berichterstattung gewahrt werden. Der Ehrenkodex für die österreichische Presse ist eine freiwillige Verpflichtung und nicht gesetzlich verankert – deshalb aber nicht weniger wichtig, ist sich Neuhold sicher: "Ein Gesetz ersetzt nicht das Gewissen." So sei die Frage danach, ob ein Foto – etwa eines Verstorbenen – für die Veröffentlichung geeignet ist, zwar durchaus eine rechtliche Fragestellung im Sinne des Persönlichkeitsschutzes.
Gesetze könnten aber ausgelegt und umgangen werden und so "entscheidet letztlich das Gewissen", sagt der Ethiker. Ein ständiges Abwägen davon, was in der medialen Berichterstattung sinnvoll und wichtig ist und was den bloßen Nutzen eines "Aufregers" erfüllt, sei laut Neuhold deshalb dringend notwendig. Oft sei es dabei auch nicht die Frage "ob oder nicht", sondern vielmehr nach dem "Wie". Im Falle der Abbildung von Leichen ist der Ethiker jedenfalls der Meinung, Personen sollen zumindest nicht erkenntlich gezeigt werden.
Heikles in sozialen Medien
Die Frage, welche Inhalte in welcher Form veröffentlicht und verbreitet werden sollen und dürfen, beschäftigt aktuell aber nicht nur Journalisten, sondern auch Nutzer sozialer Medien. Ein Krieg im digitalen Zeitalter bedeutet nämlich, dass auch Facebook, Twitter und Co eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung von Bildern und Informationen einnehmen. Diese Kanäle bieten zum einen den Vorteil, vielen Menschen weltweit aktuelle Eindrücke zu ermöglichen – gerade unter dem Gesichtspunkt der stark eingeschränkten Pressefreiheit in Russland hat dies große Bedeutung.
Zum anderen führt die ungefilterte Verbreitung von Inhalten derzeit dazu, dass Falschinformationen und irreführende Bilder zur Ukraine, darunter alte Fotos, die nun in einen falschen Kontext gesetzt werden, im Internet kursieren. "Bevor man eine spektakulär wirkende Neuigkeit teilt, sollte man lieber überprüfen, ob sie von Nachrichtenagenturen bestätigt wird", empfiehlt etwa die Journalistin und Medienexpertin Ingrid Brodnig bereits mehrfach in diversen Stellungnahmen. So sollte ethisches und verantwortungsvolles Agieren mit Nachrichten und Medien gerade in der aktuellen Situation also für jeden und jede eine Rolle spielen.
Vor Pauschalisierung hüten
Auch ein Ethikgremium kann einem diese Entscheidungen nicht abnehmen. Dieses habe laut Neuhold nämlich nicht die Aufgabe, Meinungen herauszubilden, sondern solle vielmehr unterstützend wirken. "So soll es auch bei qualitativem Journalismus sein", meint Neuhold und verweist auf die notwendige Objektivität: "Ein guter Artikel liefert hilfreiche Informationen und verschiedene Sichtweisen für die Meinungsbildung, drückt mir aber nicht eine Sichtweise auf."
Im Falle des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine gestaltet sich die Berichterstattung, könnte man sagen, sehr einseitig. "Manchmal ist Parteinahme nicht nur erlaubt sondern moralisch notwendig", verteidigt Neuhold das Vorgehen in diesem Belangen. Vor Pauschalisierungen gelte es sich dennoch dringend zu hüten: "Parteinahme darf nicht dazu führen, dass Fehler auf der einen Seite ausgeblendet und eine objektive Sichtweise auf die andere Seite verunmöglicht wird." Dazu sei es auch notwendig sich bewusst zu machen, dass Medien immer nur eine "Teilwirklichkeit" abbilden können. "Die große Kunst im Journalismus ist es daher, trotzdem die Perspektive auf das Ganze beizubehalten", ist Neuhold überzeugt.
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