Familienflüsterer Dr. Streit
Nein-Sagen und die Magie des Verbots

Auch wenn Kinder dann beleidigt sind, ein angepasstes "Nein" ist wichtig für deren Entwicklung. | Foto: pixabay.com
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  • Auch wenn Kinder dann beleidigt sind, ein angepasstes "Nein" ist wichtig für deren Entwicklung.
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Familienflüsterer und Psychologe Philip Streit spricht dieses Mal über das richtige "Nein" als Schlüssel zu Entwicklung von 
Souveränität und Zuversicht.

Positive Beziehung, sicherer Hafen, Eigenständigkeit, Möglichkeiten zum Erfolg: All diese Faktoren sind unumstrittener Bestandteil gelingender Erziehung. Und doch fehlt etwas. Doch was braucht es, damit Mann, Frau, Kind und Jugendlicher lernen sich selbst souverän zu kontrollieren, zu steuern und planend zu handeln? Es ist das Erleben und Entwickeln des richtigen "Nein"-Begriffes in der Person.

Entwicklungspsychologisch ist klar, dass es ohne dieses Nein keine Autonomie, keine Entwicklung eines Ichs, keine Selbstständigkeit und Selbststeuerung geben kann. Hier geht es allerdings nicht um das "Nein" zur Person, sondern um das "Nein" zu bestimmten Verhaltensweisen oder um sich abgrenzen zu können. Wer ein richtiges, konstruktives "Nein" erfährt, kann später auch angemessen "Nein" sagen. Diese Erfahrung machen viele.

Konsequenz und Kontenance

Es liegt an den Eltern und an den nächsten Beziehungspersonen dieses "Nein" zu etablieren. Dies ist allerdings leichter gesagt als getan. Nur allzu leicht lassen wir Erwachsenen aus einer Mischung aus Unsicherheit und falsch verstandener Überbehütung "Nein"-Bläschen auf das Kind los. Wir sagen Nein, Nein, Nein und stehen nicht dahinter. Wir bleiben nicht beharrlich und wechseln die Neins. Zum Beispiel beim Computerspielen, wenn Eltern halbherzig zum Kind sagen „Hör mit dem Computerspielen auf“. Das Kind spürt sofort, wie ernst sie es meinen und spielt weiter. Nach dem fünften "Nein" kommt es zur ersten Diskussion, nach dem zehnten "Nein"-Bläschen verlieren Mutter oder Vater die Kontenance und sprechen ein unüberlegtes Verbot aus.

Nein-Anker

Was es braucht ist ein "Nein" als Anker, den sogenannten Nein-Anker. Dieser zeichnet sich durch folgende Dinge aus: Es gibt eine klare, beharrliche, immer gleichbleibende Botschaft, zu was Sie "Nein" sagen. Sie bleiben dabei, auch wenn das Kind sein Verhalten nicht gleich ändert beziehungsweise nicht gleich auf das "Nein" folgt. Was es tut, kann nur das Kind selbst entscheiden. Sie sagen als Eltern koordiniert "Nein". Sie beziehen auch andere ein, die Sie in Ihrer Nein-Haltung unterstützen. Sie bleiben ruhig und gelassen. Sie setzen das "Nein" fest, ohne es lange zu erklären. Manchmal geben Sie dazu eine angemessene, einseitige Maßnahme, die zur Situation passt.

Tipps

Hier nun Tipps, wie Sie einen Nein-Anker bzw. das richtige Nein setzen können.

1. Sagen Sie "Nein" zu Verhaltensweisen und nicht zur Persönlichkeit des Kindes.
2. Bleiben Sie dabei, auch wenn das Kind das Verbot nicht sofort umsetzt.
3. Begründen Sie das "Nein" nicht lange oder erklären es ausschweifend. Das ist die Chance des Kindes, selbst über das Warum nachzudenken.
4. Vertreten und suchen Sie das elterliche Wir beim Aussprechen der Nein-Botschaft und agieren Sie abgesprochen und gemeinsam.
5. Bleiben Sie ruhig und gelassen. Lassen Sie sich nicht hineinziehen, wenn das Kind durch kleine Provokationen dagegen schimpft und Ihre sensible Klaviatur zum Ausflippen bedient.
6. Setzen Sie bei Bedarf wohlüberlegt eine einseitige Maßnahme, wie etwa den Computer wegzuräumen. Erklären Sie dies aber nicht länger, sondern sagen Sie nur „Ich weiß, dass das möglicherweise jetzt schwierig für dich ist, aber du wirst eine Lösung finden.“ Genauso gehen Sie auch bei einem Kleinkind vor, das nicht wegräumen will. Sagen Sie „Nein jetzt wird nicht weitergespielt, räum deine Spielsachen weg“.

Alle Erfahrungen am Institut für Kind Jugend und Familie und in vielen anderen Institutionen zeigen, dass ein konsequent ausgesprochener und gelebter Nein-Anker Machtkämpfe weitgehend verhindert. Er lädt Kinder konstruktiv ein nach Lösungen zu suchen, damit gelingendes Miteinander, Souveränität und Zuversicht entstehen können.

Der Experte

Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater.
Seit 1994 leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz, das auch jetzt für Sie unter 0316/77 43 44 da ist.
Web: www.ikjf.at
Leser-Fragen bitte an: redaktion.graz@woche.at

Der Experte für Familienfragen: Dr. Philip Streit | Foto: Jorj Konstantinov
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Auch wenn Kinder dann beleidigt sind, ein angepasstes "Nein" ist wichtig für deren Entwicklung. | Foto: pixabay.com
Der Experte für Familienfragen: Dr. Philip Streit | Foto: Jorj Konstantinov
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