Kinder- und Jugendhilfe
Personalmangel bei Versorgung Minderjähriger
Der Personalmangel in der Kinder- und Jugendhilfe hat die ländlichen Regionen fest im Griff und inzwischen längst die Ballungszentren erreicht. Bloß nicht resignieren, rät man bei SOS Kinderdorf.
STEIERMARK/GRAZ. "Die Situation eskaliert gerade – das ist wirklich dramatisch", sagt ein Experte, der viele Jahre in der Kinder- und Jugendhilfe (nicht zu verwechseln mit Kindergärten und -krippen) tätig war und trotz Jobwechsel anonym bleiben will. Seit Jahrzehnten gebe es von Landesseite eine Bringschuld bei der Versorgung von Minderjährigen aus zerrütteten Verhältnissen: "Da wurde definitiv nichts angegangen – der Personalschlüssel stammt aus dem Jahre Schnee und wird den Anforderungen nicht gerecht. Dabei sollte es einleuchten, dass Kinder, die per Anordnung fremduntergebracht werden müssen, intensivste Unterstützung brauchen."
Die Realität sei aber eine andere – weshalb die ohnehin große Fluktuation in dem Berufsfeld spätestens seit Corona absolut besorgniserregend ist: "Wenn man in einer Wohngruppe alleine für zwölf, dreizehn Kinder verantwortlich ist, die unter ihrem schwierigen Hintergrund leiden und das auch zum Ausdruck bringen, kann man gerade einmal schauen, dass nix passiert – aber sicherlich nicht mehr, wenn man ehrlich ist." Personen, die einmal der Kinder- und Jugendhilfe den Rücken kehren, würden daher meist auch nicht zurückkommen.
Stadt-Land-Gefälle
Ein weiteres Problem sei die Einstufung der Dienstnehmenden, wie ein anderer Insider anmerkt: "Junge Menschen, die akademisch ausgebildet sind, können teils nicht entsprechend eingestuft werden, weil ihnen die Praxisstunden fehlen." Daher sei es verständlich, dass diese nicht "für ein Taschengeld" arbeiten gehen und sich etwas Anderes suchen, denn: "Gebraucht werden die Leute überall."
Nur leicht besser ist es in der Landeshauptstadt: In Graz und Umgebung ist die Personalsituation nicht so prekär wie in vielen ländlichen Gebieten, die Situation aber dennoch schwierig. Doch dass Fahrtkosten bei den aktuellen Treibstoffpreisen durch die Kilometergeldregelung zum Minusgeschäft für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden, sei beim Grazer Jugendamt jedenfalls kein Thema, so Vasiliki Agyropoulus, Leiterin des Referats für Informationsmanagement und Kommunikation, denn: "Für den Bereitschaftsdienst steht ein Elektro-Auto zur Verfügung und für alle, die in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind, gibt es auf Antrag ein Job-Ticket für den öffentlichen Verkehr."
Obwohl sich auch im öffentlichen Dienst die Personalsuche herausfordernd gestalte, helfe es, dass das sogenannte S-Schema (S für Sozialarbeit) und die damit verbundene Bezahlung seit 1. Juli 2022 an die des Landes angepasst wurde. "Im Amt für Jugend und Familie gibt es in dem Bereich 54 Vollzeitdienstposten – aktuell sind vier Stellen ausgeschrieben", so Agyropoulus.
"Nicht abbringen lassen"
Dass es sich um einen österreichweiten Personalmangel handelt, bestätigt Heidi Fuchs, die bei SOS Kinderdorf als Geschäftsleiterin für die Regionen Süd, Vorarlberg und Salzburg tätig ist: "Auch in den Ballungszentren wie Graz und Wien finden wir derzeit nicht ausreichend Personen und die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ist rückläufig." Dennoch sieht sie "einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag, den Blick auf die Kinder und Jugendlichen zu richten", weshalb sich niemand davon abbringen lassen sollte, in einen "sehr bereichernden, verantwortungsvollen und nachhaltigen Beruf" in der Kinder- und Jugendhilfe einzusteigen.
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