Social Prescribing
Gemeinschaft als Wunderpille in Ottendorf an der Rittschein
In Ottendorf an der Rittschein findet derzeit ein steiermarkweit einzigartiges Pilotprojekt für die Primärversorgung statt.
OTTENDORF A. D. RITTSCHEIN. Mitunter bringt das Leben Ereignisse, die einem „an die Nieren gehen“ oder „schwer im Magen“ liegen. Dass der menschliche Körper in stressigen Situationen tatsächlich in den Nebennieren Adrenalin ausschüttet, wodurch die Beweglichkeit im Magen-Darm-Trakt gehemmt wird, zeigt nicht nur wie recht der Volksmund mit seinen Redewendungen hat, sondern bestätigt auch die ständige Wechselwirkung zwischen Biologie und Psychologie.
Bio-psycho-soziale Medizin
Doch der Mensch ist auch ein soziales Wesen, alles was ihm im Miteinander mit anderen widerfährt oder fehlt, wirkt sich auf die Psyche aus und darüber wieder auf den Körper aus:
Zum Beispiel „zieht“ der Anblick einer bestimmten Personen einen „zusammen“ oder Belastungen im Alltag liegen „schwer auf der Schulter“, eine Niederlage wiederum kann einen „geknickt“ hinterlassen. Die Folgen sind mitunter chronische Schmerzen im Bewegungsapparat, gegen die kein in eine Spritze destillierbares Kraut gewachsen zu sein scheint.
Umgekehrt wiederum können körperliche Beschwerden psychosoziale Folgen nach sich ziehen:
Etwa bei zunehmender Gebrechlichkeit und eingeschränkter Mobilität älterer Menschen, die erst zur Isolation, dann zum Gefühl der Einsamkeit und letztlich oft zur Altersdepression führt.
Und so ist es wenig verwunderlich, dass rund 20 Prozent der Krankheitsbilder, die in österreischischen Hausarztpraxen vorgestellt werden, nicht mit rein bio-medizinischen Mitteln gelindert oder geheilt werden können.
Was ist "Social Prescribing"?
Und genau hier setzt nun das in Österreich noch relativ neuartige Konzept des „Social Prescribing“ an. Mangels eines passenden deutschen Begriffs, lässt es sich lose etwa als „Sozialarbeit auf Rezept“ übersetzen.
Im bisher zweiten Förder-Call des Gesundheitsministeriums finden derzeit an 15 österreichischen Standorten Pilotprojekte statt. Der derzeit einzige Standort in der Steiermark befindet sich in der Allgemeinmedizinischen Praxis von Rosa Maria Ernst in Ottendorf an der Rittschein.
Die Brückenbauer
Die Kernaufgabe kommt dabei den beiden Sozialarbeitern Christof Hradetzky und Michaela Lechner-Ertl zu. Als so genannte „Link Worker“, also quasi „Verbindungsarbeiter“ erheben sie gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten aus der Arztpraxis aktuelle soziale und psychologische Bedürfnisse, helfen dabei, Lösungsstrategien zu entwickeln und stellen Verbindungen zu weiterführenden Angeboten her.
Auf ihre Initiative ist auch bereits eine Nachbarschaftshilfe im Ort entstanden, mit dem Ziel, die soziale Integration gerade auch älterer Menschen, aber auch den Zusammenhalt in der Gemeinschaft zu stärken. Denn das Gefühl „dazu“ zu gehören, wirkt sich auch auf die Gesundheit aus.
Nachahmung empfohlen.
Für Hausärztin Ernst stellen die beiden Kollegen eine echte„Erleichterung“ dar, „denn wir als Landärzte sind ja auch Sozialarbeiter.“ Für sie ist das Projekt schlicht „nachahmungswürdig“, denn „soziales Engagement ist Prävention, es tut der Psyche einfach gut“, gibt sie zu bedenken.
Der Wermutstropfen ist jedoch, dass das Projekt eine Gesamtlaufzeit von nur eineinhalb Jahren hat, wovon mittlerweile nur mehr ein halbes übrig ist. Ob und wie es danach weitergeht, steht noch nicht fest.
Wünschenswert wäre es allemal, wie ein Blick über den kleinen Teich offenbart: in England belegen erste Studien bereits, dass „Social Prescribing“ das Wohlbefinden heben und damit Gesundheitskosten senken kann.
Dem entsprechend hat das Nationale Gesundheitsservice des Englischen Gesundheitsministeriums für 2024 auch das Ziel ausgegeben, 900.000 Patientinnen und Patienten mit „Social Prescirbing“ zu versorgen.
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