Harry Triendl´s „Human Madness“ auf Telfer Bühne
Epos zum Thema Flucht - großes Orchesterwerk tiefgründig inszeniert

Die Bühne füllten MusikerInnen des Orchester der Akademie St. Blasius, TEMN – Tiroler Ensemble für Neue Musik und das kunst4life-Ensemble. Dirigent des 26-köpfigen Orchesters fungierte der aus Imst stammende Michael Köck, mit Mirko Schuler am Schlagwerk war ein weiterer Imster musikalisch vertreten.
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  • Die Bühne füllten MusikerInnen des Orchester der Akademie St. Blasius, TEMN – Tiroler Ensemble für Neue Musik und das kunst4life-Ensemble. Dirigent des 26-köpfigen Orchesters fungierte der aus Imst stammende Michael Köck, mit Mirko Schuler am Schlagwerk war ein weiterer Imster musikalisch vertreten.
  • hochgeladen von Alexandra Rangger

TELFS/IMST(alra). Mit „Zyklus VI Human Madness“ ist die Projektidee des Telfer Musikers und Multimediakünstlers Harry Triendl zum Bühnenereignis gereift, das dem Thema Flucht und damit den Menschen auf der Flucht Sprache, Gesicht und eine durch die Verwebung mit künstlerischen Elementen tiefgründige Ebene der Wahrnehmung bietet. In Kooperation mit dem Orchester der Akademie St. Blasius, TEMN – Tiroler Ensemble für Neue Musik und dem kunst4life-Ensemble wurde der Epos kürzlich im ausverkauften ORF-Landesstudio in Innsbruck und im Rathaussaal Telfs aufgeführt. Als Dirigent des 26-köpfigen Orchesters fungierte der aus Imst stammende Michael Köck.

Seit Jahren initiiert und setzt Harry Triendl aufwendige Projekte im audio-visuellen Bereich um, in die virtuell oder live KünstlerInnen aus Musik, Tanz, Literatur und Performance involviert sind. Ein Thema, das die Menschheit seit Jahrhunderten begleitet, hat Triendl vor drei Jahren als inhaltliche Basis für seine mittlerweile sechste Zyklus-Produktion gewählt. Hinter dem Titel „Human Madness“ stehen fünf Kapitel, die fragmentarisch Menschen, ihre Erlebnisse und Emotionen zeigen – Menschen, die sich für die Flucht entscheiden müssen, sich auf die Flucht mit all ihren Gefahren begeben und ihr Leben letztendlich als „Flüchtling“ einer vollkommen neuen Lebensrealität, Ordnung, Selbst- und Fremdwahrnehmung unterwerfen. In seiner Komplexität lässt sich diese Problematik in all ihrer individuellen und gesellschaftlichen Relevanz kaum in einer Aussage zusammenführen. Dieser Tatsache bewusst hat sich Harry Triendl im Konzept auf das Zusammenspiel verschiedener Ausdrucksmittel berufen, um eingebettet in ein von Musik getragenes Werk eine vertiefte emotionale Ebene und Bewusstsein aufzubauen und damit auch eine Plattform für Impulse und Auseinandersetzung zu schaffen.

Komplexes Werk – sensibel aufgebaut

Kompositorisch geschnürt wurde der über 70 Minuten erzählte Zyklus VI von Harry Triendl, Klex Wolf, Hannes Kerschbaumer Hannes Sprenger, Josef Haller und Kathrin Wagner. Die musikalische Umsetzung mit großem Orchester und das Zusammenwirken unterschiedlicher Ensembles erwies sich besonders anspruchsvoll. Für Dirigent Michael Köck auch inhaltlich eine bereichernde Erfahrung: „Harry Triendl hat sich sehr intensiv mit dem Thema Flucht auseinandergesetzt. Mit seinem Gesamtkonzept - seiner Musik, den Bildern, Texten und der Musik von weiteren, ganz unterschiedlichen, Komponisten aus Tirol - hat er es geschafft, das Publikum emotional zu berühren. Ein Thema, das mittlerweile schon ganz routiniert in den täglichen Nachrichten zur Kenntnis genommen wird, war plötzlich sehr greifbar und ging vielen sehr nahe.“ In den gestalterischen Möglichkeiten dieser Verbindung gelang in der Live-Perfomance die Entfaltung von „Human Madness“ in seinen facettenreichen Aussagen. Die MusikerInnen kreierten intensive Stimmungen, bauten Gefühlswelten auf –Klangbilder, die sich durchaus bedrückend, beklemmend anfühlten, bestimmten die Darbietung ebenso wie sanfte, leise Momente. Das Publikum in Telfs schenkte diesem großen akustischen Emotionsbogen höchste Aufmerksamkeit.

Emotionales Zusammenspiel von Bildern und Klängen

In weiten Passagen ist „Human Madness“ visualisiert, kompakt gehaltene Erzählabschnitte werden von Sprecher Thomas Lackner übernommen. Marie Stockhausen tritt auf großer Leinwand in Form von Ausdruckstanz in einen Dialog mit dem Orchester und verleiht dem oftmals unaussprechlichen Gestalt. Die Geschichte erfährt auf impulsive Art Betonung, Dramatik und Dynamik. Im starken Kontrast dazu stehen die originalen Seerettungssequenzen von Sea-Watch e.V. Besonders durchdringend bewegten das Publikum reine Bildaufnahmen, die Harry Triendl aus Gesprächssituationen mit Menschen gefiltert hat, die ihre Erinnerungen und Erlebnisse an die Flucht und die Zeit danach reflektierten – diese Eindrücke haben sich in Mimik und Gestik zu Augenblicken purer Emotion verdichtet, die ihre Tiefe auf der Großleinwand unmissverständlich vermittelten. Mit dem Lied „Regenbogenträume“ von Katharina Wagner hüllten sich die großen Emotionen am Ende der Aufführung in Hoffnung auf Veränderung und die Textzeile „Warum eigentlich nicht mal die Welt anders denken…“ verband sich stimmig mit der Grundintention des gesamten Epos.

Feinfühlige Recherche – Begleitheft zum Inhalt

Als Grundlage für den musikalischen Weg wurde vorab eine Geschichte aufgebaut. Anfänglich geführte Interviews mit Menschen, die auf eine persönliche Fluchterfahrung blicken, erwiesen sich für die Betroffenen als zu belastend und traumatisierend. Für das umfassende Begleitheft zum Zyklus VI griff Triendl diesem sensiblen Umstand geschuldet auch auf bereits bestehende Erfahrungsberichte der UNO-Flüchtlingshilfe sowie das Buch „Auf der Flucht“ von Karim El-Gawhary und Mathilde Schwabeneder zurück. Die Protagonisten-Szenen der Live-Performance basieren jedoch auf tatsächlich Erlebten eines Menschen, dessen Leben von der Flucht geprägt wurde. Poet und Schriftsteller Paul Fülöp hat die aus dem Interview resultierende Erzählung geschrieben – sie ist ebenfalls im Begleitheft nachzulesen.

Klare Intentionen

„Flucht hat viele Facetten – die Gesellschaft begegnet dem Thema teilweise bereits zu abgeklärt. Mit „Human Madness“ möchte ich dort ansetzen, wo die Anonymisierung aufhört und ein Mensch exemplarisch sichtbar und spürbar wird“, so Mastermind Harry Triendl, der insgesamt 47 Mitwirkende in der Produktion zusammengeführt hat. Der Diskurs auf rein sachlicher Ebene drängt das dramatische Ausmaß von individuellen Fluchtgeschichten und Einzelschicksalen vermehrt in den Hintergrund – die Allgegenwärtigkeit des Themas führt gesellschaftlich teils auch zu einem gewissen Gewöhnungseffekt und dem Gefühl sich ohnehin schon ausreichend damit beschäftigt zu haben. Triendl möchte auch hier, insbesondere durch die Bildsprache der Aufführung, eine Frage und Respekt vor Mensch und Situation in den Raum stellen: „Wie würde es uns selbst ergehen, wenn wir in eine bedrohliche Lebenssituation geraten und die Flucht in ein anderes Land wählen müssten? Was würden wir von anderen dort erwarten, erhoffen und was könnten wir ertragen?“

Mit Zyklus VI hat Harry Triendl gemeinsam mit allen Beteiligten die Kunst in ihrer Kraft und Eindrücklichkeit als Vermittlerin eines gesellschaftlich tiefgreifenden Themas eingesetzt – und dabei die Bedeutung dieser Ausdrucksform ebenso gestärkt wie die Botschaft, die „Human Madness“ innewohnt. Das Publikum in Telfs zeigte sich ergriffen von den großen Eindrücken, die der Abend hinterließ und bekundete mit minutenlangem Applaus Begeisterung.

Die Aufführung im Rathaussaal wurde von kunst4life aufgezeichnet und wird in Kürze als Videoproduktion erscheinen. Weiter Infos unter: www.kunst4life.net

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