Leonore Gewessler im Interview
"Die Welt wird nicht von allein besser"

- Zwischen Selbstkritik und Superkräften – im Interview spricht Leonore Gewessler mit mir über politische Visionen, grüne Fehler und warum politisches Engagement wichtiger denn je ist.
- Foto: Tiroler Grüne / Miller
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Um Zukunftsvisionen und Superkräfte ging es im Interview von MeinBezirk mit Leonore Gewessler. Sie gibt sich kritisch gegenüber der derzeitigen Bundesregierung, aber auch gegenüber den Grünen selbst. "Auch wir haben Fehler gemacht", gibt Gewessler im Gespräch zu. Sie betont, wie wichtig es sei, dass die Politik wieder mehr auf die Menschen zugeht und dass sich auch junge Menschen engagieren.
INNSBRUCK. Im Zuge der Landesversammlung der Tiroler Grünen war Leonore Gewessler am Wochenende in Innsbruck. Sie wirbt um ihre Kandidatur als Bundessprecherin der Partei. Im Gespräch mit der Redaktion von MeinBezirk Innsbruck verriet sie mir, was Politik für sie bedeutet, wie sie die Rolle der Grünen in der Opposition einschätzt und was sie von den aktuellen Sparmaßnahmen hält.
Leonore Gewessler – die neue Grünen-Chefin?
Am 29. Juni findet die Wahl zur neuen Parteispitze der Grünen statt. Beim Bundeskongress in Wien wird der neue Vorsitz der Partei gewählt. Die ehemalige Klimaschutzministerin und stellvertretende Parteisprecherin Leonore Gewessler kandidiert für die Spitze.
Seit der letzten Nationalratswahl sind die Grünen in der Opposition. In dieser neuen alten Rolle kritisierte Leonore Gewessler die aktuellen Sparmaßnahmen der Regierung – wegen der Kürzungen im Umwelt- und Sozialbereich – scharf. Der derzeitige Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) wiederum äußerte in einer Parlamentsrede zu den Sparplänen Kritik an der letzten Regierung und an den hohen Förderungszahlungen.

- Leonore Gewessler war zur Landesversammlung der Tiroler Grünen in Innsbruck.
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Das Interview mit Leonore Gewessler
MEINBEZIRK INNSBRUCK: Warum sehen Sie sich an der Spitze der Grünen?
LEONORE GEWESSLER: Meine Kandidatur kommt aus einer tiefen Überzeugung heraus. […]Die Welt wird nicht von allein besser. Es wird nur besser, wenn man hinschaut, wenn man anpackt, wenn man was tut dafür, dass sie besser wird.
Ich habe die Frage zur Kandidatur mit "Ja" beantwortet, damit ich mit all meinem Engagement, mit meinen Ideen, mit meiner Überzeugung, mit meiner Haltung einen Beitrag leisten kann. Dass mein politisches Zuhause – die Grünen – eine noch schlagkräftige Organisation wird, dass wir Antworten haben, die die Menschen in ihrem Alltag berühren, die das Leben der Menschen leichter machen. Und dass die Jungen wieder mit Freude an unserer Seite Politik machen.
Was treibt Sie persönlich an?
In solchen Situationen [wie die Kandidatur] denke ich an meine Nichten. Wenn die zwei mich einmal fragen, was ich damals gemacht habe, dann möchte ich voller Überzeugung sagen können: Ich habe alles versucht, was in meiner Macht steht, um daran mitzuarbeiten, dass die Welt wieder besser wird – und zwar für euch ganz konkret wieder besser wird.
Welches konkrete Zukunftsziel verfolgen Sie? Sollten Sie gewählt werden, was wollen Sie am Ende ihrer Amtszeit erreicht haben?
Erster Schritt, ich kandidiere auf dem Bundeskongress der Grünen und würde mir wünschen, dass ich mit einer guten Unterstützung gewählt werde. Dann hat diese Periode drei Jahre. Und mein Ziel ist, dass am Ende dieser drei Jahre die Grünen eine noch stärkere Organisation sind, die noch mehr Menschen von ihren Ideen und Projekten begeistert. Weil sie spüren, dass die Grünen die Probleme der Menschen sehen und daraus ganz konkret Lösungen entwickeln wollen. Am Ende der drei Jahre wäre es schön, wenn sich das in Mitgliederzahlen und in Wahlergebnissen widerspiegelt.
Was würden Sie verändern, wenn Sie eine Superkraft hätten und alles beeinflussen könnten?
Ich weiß gerade nicht, bei welchem Problem ich anfangen soll, also entscheide ich mich für die absolut höchste Flughöhe:
Wir sehen gerade auf der ganzen Welt autoritäre Tendenzen, die Demokratie in Gefahr bringen und Oligarchen, die sich Politik kaufen. Ich kann mich nicht erinnern – in meinen 47 Jahren – so eine wirkliche Gefährdungslage gesehen zu haben. Das ist von Hass, von Willkür, von Habgier getrieben. Ich glaube, eine ganz grundlegende Fähigkeit, die wir brauchen, um daraus als Menschen auszusteigen, ist wieder mehr Empathie. Mehr spüren können, was meine Mitmenschen gerade brauchen und was meine Mitmenschen bewegt, damit man sie in ihren Anliegen ernst nimmt.
Das ist eine Aufgabe für Politikerinnen und Politiker – und ich glaube für uns alle. Gerade in einer Zeit, wo es immer härter wird, wo es immer konfrontativer wird, immer polarisierter wird, sich ein Stück weit darauf einzulassen und vielleicht auch ein Stück weit wieder verletzlicher zu machen. In einem positiven Sinn – als Basis für die Suche nach Lösungen!
Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben. Sie selbst haben gesagt, Sie sehen die Demokratie aufgrund weltweiter autoritärer Tendenzen in Gefahr. Wie gehen Sie mit dieser Polarisierung um? Wie kann man die Bevölkerung wieder abholen?
" Ich glaube, in diesem Tunnel des Regierens, haben wir vielleicht wirklich manchmal zu sehr aufs Zuhören vergessen."
Die Demokratie ist der Ort, an dem wir gemeinsam entscheiden, wie wir leben wollen – wie wir unser Gemeinschaftsleben organisieren wollen! Wenn sich Menschen davon abwenden, können wir das nicht einfach hinnehmen. Da müssen wir aktiv, Schritt für Schritt wieder schauen, dass wir dem entgegenwirken. Und das nehme ich als großen Auftrag mit.
Ich finde in der Politik haben wir alle gemeinsam einen Auftrag, dass Demokratie nicht zu einem Ort wird, von dem sich Menschen abwenden. Das heißt aber natürlich auch für die demokratischen Parteien, sich anzuschauen, was wir besser machen können. Und das sage ich auch für uns Grüne. Ja, auch wir haben Wahlen verloren, das heißt auch wir haben Fehler gemacht.
Meine Kandidatur ist in dem Sinn auch eine Einladung, es gemeinsam wieder besser zu machen. Deswegen starte ich diese Kandidatur auch mit einer Einladung zum Mitreden, zum Gespräch und zum Dialog. Ich bin quer durch Österreich unterwegs auf einer Tour mit einer Einladung an die Menschen in unserem Land: Erzählt uns, was ihr euch von den Grünen erwartet. […] Weil ich glaube, in diesem Tunnel des Regierens, haben wir vielleicht wirklich manchmal zu sehr aufs Zuhören vergessen – und darauf, dass Politik eben nicht nur in der Theorie, sondern im Alltag der Menschen funktionieren muss, um positive Unterschiede zu machen. Dazu gehört auch wieder mehr direkter Dialog.
Wie wollen Sie die Menschen mit direktem Dialog wieder mehr erreichen?
Es gibt nicht die eine Wunderlösung, die alles auf einmal löst. Politik und Demokratie leben davon, dass Menschen mitmachen, sich einbringen, sich einmischen und das auf den unterschiedlichsten Ebenen. […] Das ist, glaube ich, ein großer Auftrag. Da haben wir Grüne einen Auftrag!
Politik heißt, dass man sich um das Vertrauen der Menschen immer wieder bemühen und es sich erarbeiten muss. Das braucht auch den Dialog – das braucht dieses Zuhören, nicht nur als Einmalaufgabe, sondern als dauerhafter Prozess.
Natürlich sind da auch kritische Gespräche dabei. So war auch die Einladung bewusst an Menschen gestellt, die wir vielleicht in den letzten Jahren verloren haben, oder die einmal Grün gewählt haben, aber sich jetzt fragen, warum soll ich euch eigentlich wieder wählen?
Mein Anspruch ist, dass sich die Menschen nicht nur beim Klimaschutz darauf verlassen können, dass die Grünen fest an ihrer Seite stehen, sondern bei ganz vielen anderen Themen auch. Von der Kinderbetreuung bis zur Wirtschaft, von der Sorge um den Arbeitsplatz bis zur Bildung. Das wird der Auftrag für die nächsten Jahre.

- Politik braucht mehr direktet Dialog, sagt Leonore Gewessler im Interview.
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Wie bewerten Sie die Rolle der Grünen in der Opposition im Vergleich zum Regieren?
Wir Grüne haben die letzten fünf Jahre bewiesen: Wir können regieren! Aber – wir wissen es aus vielen Jahren – die Grünen können auch Opposition. Wir werden – gerade in deutlichem Unterschied zur FPÖ – eine konstruktive Opposition sein.
Wir werden uns immer laut, deutlich und klar positionieren, wenn es darum geht, dass berechtigte Anliegen von der Regierung einfach nicht beachtet werden. […] Aber wenn es Vorschläge gibt, die unser Land tatsächlich weiterbringen, sind wir die Ersten, die sagen, ja – reden wir drüber!
Unser Anspruch ist zu gestalten. Wir kommen mit Überzeugungen und mit Ideen. Der Anspruch ist, Ideen auch bestmöglich auf den unterschiedlichsten Ebenen umzusetzen. Wir haben gezeigt, dass wir das aus der Regierung heraus können. Wir haben auch – nicht nur in Tirol, sondern auch in Österreich – in der Vergangenheit gezeigt, das können wir auch aus der Opposition heraus.
Sie kritisierten schon mehrfach die Sparmaßnahmen der aktuellen Regierung, aber wo sehen Sie die Mitverantwortung der Grünen angesichts des Budgetlochs?
Die letzten 25 Jahre war das Finanzministerium fast durchgehend in Händen der ÖVP. Aber das, was jetzt passiert und was mich schon langsam wirklich ärgert an dieser Debatte, ist, dass man – statt Verantwortung zu übernehmen – jetzt mit dem Finger auf den Klimaschutz zeigt. Das halte ich für inhaltlich falsch.
Österreich kann Klimaschutz, wir können Emissionen senken und auf diesem Weg sind ganz viele Menschen dabei. Ja, diese Menschen haben wir beim Klimaschutz unterstützt: Vom Heizkesseltausch zum Klimabonus, von der Unterstützung für die Photovoltaik zum Klimaticket. Und diese Unterstützung braucht es, dazu stehe ich. Aber jetzt genau dort rein zu kürzen und so zu tun, als wäre das eine Notwendigkeit, das ist einfach eine unehrliche Diskussion.
Was die Regierung jetzt macht, ist dort zu kürzen, wo es um den Klimaschutz und um sozialpolitische Errungenschaften aus der letzten Legislaturperiode geht. Sie macht das Klimaticket teurer, aber unterstützt den SUV- oder Pickup-Fahrer, der mit dem stinkigen Diesel in die Innsbrucker Innenstadt rollt. Sie kürzen die Familienbeihilfe für alle und die Digitalkonzerne sind wieder einmal fein raus. Da ist die Bundesregierung eingeknickt. So zu tun, als wäre der Klimaschutz das Problem, ist eine unehrliche Diskussion.
Den Grünen wurde in der Regierung ebenfalls häufig vorgeworfen gegenüber der ÖVP eingeknickt zu sein. Wie soll das die SPÖ jetzt anders machen?
Wir haben hart gekämpft. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was das für ein hartes Ringen war, der ÖVP die Reform einer klimaschädlichen Subvention – wie der Normverbrauchsabgabe – abzuringen. Wir haben dafür gesorgt, dass die fetten, PS-starken Diesel- und Benzin-SUVs sowie Pickup-Trucks eine Normverbrauchsabgabe zahlen.
Was macht diese Regierung jetzt? Statt, dass sie dort weitermacht, schafft sie diese Besteuerung wieder ab. Ein wirkliches Zeichen, wie das falsch herumläuft. Wohingegen auf E-Autos – die wir für eine saubere Zukunft auf der Straße brauchen – eine neue Steuer eingehoben wird. Auf fossile Pickup-Trucks und SUVs lässt man die Steuer nach. Das ist wirklich komplett falsch herum! Und die SPÖ hätte, um bei dem Beispiel zu bleiben, einfach nur Nein sagen müssen. […]
Und ja, auch wir Grüne müssten in einer Bundesregierung jetzt konsolidieren – völlig klar, nach Zeiten massiver Krisen. […] Wir Grüne machen auch Vorschläge dafür: Straßenbau, klimaschädliche Subventionen oder Digitalsteuer. Das sind Vorschläge, wo man sinnvoll mit Herz und Hirn sparen kann. Aber so wie es jetzt passiert, ist es eben leider genau das Gegenteil.
Was stellen Sie sich für Tirol und Innsbruck vor?
Das Leben leichter machen, das ist das, was die Menschen auch in Innsbruck von grüner Politik spüren und sehen – beispielsweise in der Bildung, beim Stadtrad oder in der Stadtgestaltung – da gibt es viele positive Beispiele.
Generell ist die Energiewende – also der Umstieg von Öl, Gas und Kohle, die uns von Autokraten wie Wladimir Putin abhängig machen, auf Energie, die wir kostengünstig zu Hause produzieren können und die auch noch sauber ist – das Gebot der Stunde. […] Wir sind am Weg dorthin, aber wir sind noch nicht da. Das heißt, wir müssen natürlich in allen Bundesländern die erneuerbare Energiegewinnung ausbauen. Dass es 2025 noch Bundesländer gibt, wo noch kein einziges Windrad steht, das kann so nicht weitergehen. Und ja – das heißt natürlich, man muss Menschen in diese Planungen einbinden und den Dialog suchen – in der Planung und in der Umsetzung der Projekte. Das kann auch bedeuten, dass man Menschen finanziell einbindet. Dann profitiert man von garantiert günstigen Strompreisen in der Heimatgemeinde, wenn dort ein Windenergieprojekt steht.

- "Die Energiewende ist das Gebot der Stunde.", sagt Leonore Gewessler im Interview mit der Redaktion von MeinBezirk Innsbruck.
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Welche abschließende Message wollen Sie den Innsbruckerinnen und Innsbruckern mit auf den Weg geben?
Die Welt wird nicht von allein besser. Sie braucht Menschen, die sich engagieren, die sich einbringen und die sich einmischen. Deswegen wünsche ich mir viele Menschen, die sich in Innsbruck mit den Grünen in der Stadtpolitik einmischen, mitarbeiten, mitreden und diese Stadt Schritt für Schritt, Tag für Tag ein Stück besser machen.
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