Dem Tod einen Platz im Leben geben

Nach wie vor ist der Tod in unserer Gesellschaft ein Tabuthema. | Foto: Regionautin Friederike Kerschbaum
  • Nach wie vor ist der Tod in unserer Gesellschaft ein Tabuthema.
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Zu Allerheiligen und Allerseelen erhält der Tod für kurze Zeit öffentliche Aufmerksamkeit, bevor er bis zum nächsten Jahr als Tabuthema wieder hinter den Vorhang geschoben wird. Alte und Kranke werden immer häufiger in die Obhut „zuständiger“ Institutionen gegeben. Palliativmedizin und Hospiz-Einrichtungen begleiten Menschen am Ende ihres Lebens, um ihnen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. In den letzten Jahren hat sich auf diesem Gebiet viel getan, doch gibt es noch Potenzial, um der Komplexität der Situationen am Lebensende besser gerecht zu werden. Das zeigt eine Studie von Forschern der Karl-Franzens-Universität und der Medizinischen Universität Graz im Rahmen des Projekts „Netzwerk Lebensende“. Notwendig sei vor allem eine Kommunikationsplattform für den interdisziplinären Austausch von Wissenschaftern und Experten aus der Praxis sowie für den Wissenstransfer in Bildungseinrichtungen und Öffentlichkeit.

Kein Verständnis für den Tod

Für ihre Studie haben die Forscher vom Institut für Moraltheologie der Karl-Franzens-Universität Graz und dem Institut für Sozialmedizin der Med Uni Graz über 30 ausführliche Interviews geführt. Die Gesprächspartner kamen aus Medizin und Pflegewissenschaften, Hospiz-Einrichtungen, Physiotherapie, Psychologie und Pädagogik, Theologie und Philosophie, Rechtswissenschaften sowie Literatur- und Sprachwissenschaft. Die Interviews machen deutlich, welche Defizite es im Umgang mit dem Thema Lebensende und in der Begleitung Sterbender noch gibt.
„Ein Punkt ist, dass das Selbstwissen, die eigenen Erfahrungen und Empfindungen der Patienten, häufig nicht als Information anerkannt werden“, berichtet Projektmitarbeiterin Kristin Attems. „Wenn jemand sagt, er habe das Gefühl, er werde in den nächsten Tagen sterben, die Diagnose aber eine andere ist, so nimmt man den Patienten oder die Patientin oft nicht ernst. Tatsächlich aber wissen Sterbende häufig sehr wohl, wann es soweit ist.“
Es gebe auch kein ganzheitliches Grundverständnis, keine solide wissenschaftliche Beschreibung vom Prozess des Sterbens, die helfen würde zu erkennen, was normal und was pathologisch ist, erklärt Attems und nennt als Beispiel Nahtoderlebnisse. „Wir sehen und verstehen nicht genug, deshalb kommt es zu vielen Missverständnissen und Versorgungslücken. Es bedarf auch einer verstärkten juristischen Aufklärung in der Aus- und Fortbildung innerhalb der Gesundheitsberufe, da es hier noch Unsicherheiten gibt.“
Der Tod werde den Ärzten überlassen, die aber ausgebildet werden, ihn zu verhindern. „Unser gesamtes Gesundheitssystem folgt einer heilenden Logik, es ist nicht darauf ausgerichtet, Sterbende zu begleiten“, so die Forscherin. Da es noch immer zu wenig Palliativeinrichtungen und Hospize gebe, landen viele Menschen an ihrem Lebensende in diesem heilenden System, wo sie dann nicht angemessen betreut werden können, fasst Attems zusammen.
Zur Verbesserung der Situation brauche es in der Ausbildung zu Gesundheitsberufen eine stärkere Integration von Erkenntnissen aus Ethik, Recht, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit sei in der Forschung nötig – einerseits um ein umfassenderes Verständnis vom Menschen als sterbliches Wesen zu erhalten, und andererseits zur Verbesserung der Versorgung Sterbender und der Gestaltung ihres Lebensendes.

Weiterführende Informationen finden Sie hier.

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