Leserbrief
Wo ist denn euer Mohr? Warum habt ihr keinen Schwarzen dabei?
Bis 6. Jänner 2024 ziehen die Sternsingerinnen und Sternsinger im ganzen Land von Haus zu Haus - so auch im Bezirk Leibnitz. Michaela Kriegl hat eine Gruppe in Tillmitsch begleitet und zeigt sich über die Reaktionen so mancher Bürgerinnen und Bürger verwundert.
Wir schreiben noch das Jahr 2023. Gemeinsam mit vier hoch motivierten Kindern der VS Tillmitsch ziehe ich schon kurz nach 8 Uhr im alten Jahr los, um Gottes Segen in die Häuser zu tragen. Sie singen und tragen ihre Gedichte gefühlte 100 Mal vor, in jedem Haus so als wäre es die Premiere. Bis zum letzten Haus unseres Gebietes „kämpfen“ sie sich durch und freuen sich über die ein oder andere Schokolade bzw. das kleine Extrageld neben den durchaus großzügigen Spenden.
Und dann passiert es doch tatsächlich, dass ich bereits nach kurzer Zeit in fragende Gesichter schaue, die die Welt gerade nicht verstehen, weil ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen wird mit dem Satz: „Wenn ihr keinen Schwarzen dabei habt, braucht’s garnet erst reinkommen.“ Ein anderer meint gar: „Wo ist euer Mohr? – Ihr habt keinen, dann auf Wiederschauen!“
Es sind vier Kinder, die sich in ihrem Leben noch niemals Gedanken um „schwarz“, „rot“, „gelb“ oder „weiß“ gemacht haben, weil sie es weder von den Eltern noch im Kindergarten und der Volksschule je gehört haben.
Diese Volksschulkinder leben in der Schule dank des hervorragenden Lehrkörpers, Inklusion, Integration und wie die Fachbegriffe für das „große Miteinander“ sonst noch
heißen mögen vom ersten Tag an. Es gibt in unserer Schule I-Kinder, Kinder die vor Krieg und
Zerstörung aus der Ukraine geflüchtet und Kinder die nicht in Österreich geboren sind. Doch sie alle wurden in den Klassen aufgenommen und behandelt wie jeder andere auch.
Trotzdem stehen wir dann an diesem Tag vor verschlossenen Türen, weil halt kein Kind mit schwarzer Schmiere im Gesicht dabei ist. Und es sind genau diese Menschen, die sich im Haus verkriechen und die Polizei verständigen, wenn ein „Schwarzer“ sich nur in der Nähe ihres Gartens aufhält und sich geschlossene Grenzen wünschen. Da finde ich es heuchlerisch und unter jedem Anstand vier Kindern, die sich lange auf diesen Tag vorbereitet haben, früh morgens in den Ferien aufgestanden sind, um in ihrer Freizeit Segen in die Häuser zu bringen, die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Die Menschen sollten in heutigen Zeiten dankbar sein, dass es überhaupt noch Freiwillige gibt die sich in den Dienst der guten Sache stellen und einen ganzen Tag lang von Haus zu Haus ziehen, damit jeder sein „Pickerl“ oder seine Kreideschrift auf der Tür bekommt.
Zu guter Letzt darf man aber (Gott sei Dank) den überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht
vergessen, die uns mit Freuden die Türen geöffnet und sich über die Segenswünsche mehr als gefreut haben. Und auch unsere unerschütterlichen Kinder, die nach einem langen Tag und schweren Beinen trotzdem noch gefragt haben, ob sie im nächsten Jahr wohl wieder als Sternsinger unterwegs sein dürfen.
Michaela Kriegl, Tillmitsch
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