Fachkräftemangel enorm
Wirtschaftskammer setzt auf Aus- und Weiterbildung

Der Leiter der WKO-Bezirksstelle Liezen, Christian Hollinger, blickt positiv in die Zukunft. | Foto: Foto Steinfisch
  • Der Leiter der WKO-Bezirksstelle Liezen, Christian Hollinger, blickt positiv in die Zukunft.
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Der Arbeitsmarkt steht vor dem Umbruch. Nicht nur in den letzten zwei Jahren hat sich vieles verändert, sondern auch davor war die Arbeitswelt schon im Fluss. Ein Gespräch mit dem WKO-Geschäftsstellenleiter Liezen Christian Hollinger über Risiken und Chancen für Gewerbetreibende im Bezirk und welche Herausforderungen es zu meistern gilt.

Wie ist es, ganz allgemein, um die Wirtschaft im Bezirk bestellt: Gab oder gibt es Veränderung durch die Pandemie?
CHRISTIAN HOLLINGER: Es gibt Branchen, die von den Lockdowns bzw. Beschränkungen kaum betroffen waren, diese boomen und dort kommt es auch zu einem Abziehen der wenig verbliebenen Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt. Jene Branchen, die durch Lockdowns und Beschränkungen immer wieder betroffen sind, trifft es doppelt, massive Einbrüche bei den Einnahmen, erhöhte Ausgabe, um die Kontrollen gewährleisten zu können und durch die Unplanbarkeit, spürbare Umorientierung bei den Arbeitskräften.

Was sind die hauptsächlichen Anliegen bzw. Aufgaben der WKO Liezen hinsichtlich der Aus- oder Weiterbildung im Bezirk? Haben sich diese in den letzten Jahren stark gewandelt?
Viele nutzen die Chance der Selbstständigkeit, der Gründerboom setzt sich nach wie vor fort. Da zum Unternehmertum auch das kaufmännische Wissen wichtig ist, werden gerade solche Aus- und Weiterbildungen intensiv genützt, wie das Unternehmertraining bzw. Buchhaltungs- und Personalverrechnerlehrgänge. Auch die Vorbereitungskurse zur Lehre mit Matura nehmen an Beliebtheit weiter zu. Ebenso werden auch Sprachkurse sehr gut angenommen. Spezialausbildung im Bereich der KfZ-Technik, Seilbahntechnik, Hygiene, Taxi- und Staplerberechtigung runden das angenommene Angebot ab.

Wer sind die beteiligten Stakeholder (Schulen, Politik, Institutionen,...), wie ist die Vernetzung untereinander?
Alle Schulen dienen der Ausbildung, ob im Pflichtschulbereich oder in den höheren Schulen. Daher ist ein laufender Austausch wichtig, um die regionalen schulischen Angebote mit dem wirtschaftlichen Bedarf abzugleichen. Sondierungsgespräche zwischen der WKO Regionalstelle und dem Schulqualitätsmanagement hat es bereits gegeben, wo gemeinsame Projekte geplant sind. Gerade der Bereich der Kinderbetreuung wurde im Rahmen des regionalen Arbeitskräftegipfels thematisiert und Lücken wurden den Abgeordneten und Bürgermeistervertretern aufgezeigt. Die regionale Entwicklung ist nur gemeinsam bewältigbar, somit gibt es mit allen 29 Gemeinden, den drei Tourismusverbänden, der Bezirkshauptmannschaft inklusive Expositur, der Baubezirksleitung, der Bezirksbauernkammer, dem AMS, den regionalen Sozialpartnern, den Leader-Einrichtungen und dem RML laufend Gespräche, um die wirtschaftliche Gegebenheit zu erörtern und den Wirtschaftsstandort in der Region zukunftsfit gestalten zu können.

Wie sieht es mit den Ausbildungsmöglichkeiten seitens der WKO aus, werden diese genützt?
Mit den beiden Wifi-Standorten in Liezen und Gröbming wird regional ein breites Angebot geboten – speziell im Bereich von kaufmännischen Lehrgängen, Lehre mit Matura und Spezialausbildungen. An Spitzentagen finden bis zu sechs Kurse parallel statt, was ein deutlicher Impuls für die regionale Aus- und Fortbildung ist.

Gibt es den vielbeschworenen Fachkräftemangel auch im Bezirk und wenn ja, wie wird diesem entgegengewirkt?
Der Fachkräftemangel ist allgegenwertig, wobei es nicht nur um Fachkräfte im Sinn von Spezialisten geht. Mittlerweile haben wir einen Arbeitskräftemangel auch schon bei den "einfachen Tätigkeiten". Die Schere der offenen Stellen und der Arbeitslosenzahlen ist zu Spitzenzeiten in der Dimension von 10 zu 1 vorhanden – ein Arbeitssuchender trifft auf 10 Stellenangebote. Mittlerweile werden auch nicht mehr alle offenen Stellen seitens der Betriebe beim AMS eingemeldet, hier werden mit viel Kreativität und Ideenfindung Alternativwege beschritten, wie zum Beispiel das Model "Mitarbeiter:in wirbt Mitarbeiter:in".

Wo noch regional ein Potenzial wäre, ist bei den Erziehungsberechtigten, die aufgrund fehlender Kinderbetreuungsplätze kaum oder nur eingeschränkt dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen. Dieses Dilemma wurde bereits beim Arbeitskräftegipfel aufgezeigt. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen sukzessive in Pension und gleichzeitig kommen die geburtenschwachen Jahrgänge in die Ausbildung bzw. treten in die Arbeitswelt ein. Hier braucht es eine bundeweite Lösung, da der regionale Arbeitsmarkt den Bedarf bei weitem nicht mehr abdecken kann. Gemeinsam mit dem AMS gibt es bereits Aktivitäten, den regionalen Arbeitsmarkt überregional zu bewerben und zu attraktiveren, wo Regionen mit einer höheren Arbeitslosigkeit angesprochen werden, um mehr Mobilität innerhalb von Österreich zu aktivieren.

Was unternimmt die WKO, auch in Zusammenarbeit mit anderen Bildungseinrichtungen und Ausbildungsbetrieben, um den Fachkräftemangel erst gar nicht entstehen zu lassen?
Die Aktivität liegt darin die "Arbeitskräfte-Kannibalisierung" nicht noch weiter zu verschärfen – sowohl zwischen den Branchen und den Schulen als auch der Wirtschaft. Der Arbeitskräftemangel kann regional leider nicht mehr kompensiert werden. Es bedarf hier einer bundesweiten Kraftanstrengung. Dabei ist Mobilität ein zentrales Thema – Zeiten in der Arbeitslosigkeit zu verkürzen: Denn Arbeit muss sich lohnen, bedarfsorientierte Qualifizierung und Ausbildung, Kinderbetreuungsangebote ganztägig und gleich nach der Karenz ausbauen und qualifizierte Zuwanderung zu ermöglichen.

Wie sieht es mit der Abwanderung junger Menschen aus? Oder auch „Rückkehrern“?
Es ist ein signifikanter Trend erkennbar, da die Pandemie den Wirtschaftsstandort Österreich gleichermaßen betroffen hat. Die Region Ennstal/Salzkammergut hat die Pandemie zum Teil sogar besser überstanden als andere Regionen in Österreich. Das liegt darin, dass das Handwerk und Gewerbe sehr stark vertreten, die Industrie sehr heterogen aufgestellt ist und teilweise kaum betroffen war. Weiters haben die Ausfälle im Tourismus aufgrund der Hilfsmaßnahmen eine Mindestunterstützung erhalten.

Existieren bereits neue bzw. spezielle Ausbildungsformen im Rahmen des „zweiten Bildungswegs“, die von der WKO initiiert wurden?
Mit der Bildungseinrichtung Wifi werden zeitgemäße Ausbildungen angeboten, die auch laufend evaluiert werden. So gibt es freie Kursangebote an den beiden Wifi-Standorten und auch Kurse, die innerhalb von Betrieben stattfinden, die speziell auf den Bedarf des jeweiligen Betriebes ausgerichtet sind. Ebenfalls werden Kurse und Abschlüsse in Kooperation mit den Schulen durchgeführt, wo die Schüler:innen mit Zusatzausbildungen abschließen können.

Hat sich das Verhältnis von Auszubildenden und offenen Lehrstellen im Vergleich zu vor Corona verbessert oder verschlechtert?

Derzeit sind die Lehrlingszahlen eher als stabil einzustufen, wobei die geburtenschwachen Jahrgänge der Haupteinflussfaktor dabei sind. Wobei anzumerken ist, dass die Anzahl der Lehrbetriebe steigt, da die eigene Ausbildung noch stärker an Bedeutung gewinnt. Einen Mitarbeiter:in zu behalten ist leichter, als jemanden anzuwerben und einzuarbeiten.

Gibt es Bemühungen, zusätzliche Arbeitsplätze – abseits von Handel, Gastronomie und Tourismus – zu schaffen, hier auch insbesonders eine Betriebsansiedlung erzeugender Betriebe?
Das Interesse in den Branchen von Handwerk und Gewerbe steigt kontinuierlich, das zeigen die Gründerzahlen, ebenso wie Anfragen an Gewerbegebäuden und Gewerbeflächen. In manchen Teilregionen kann man schon von einer Verknappung der Gewerbeflächen sprechen, da sind die Gemeinden mit der Raumplanung und Flächenwidmung gefordert. Gerade der Gewerbepark in Gröbming zeigt Möglichkeiten auf, wie über Gemeindegrenzen hinweg zusammengearbeitet werden kann. Lieber eine Konzentration mit einer gut funktionierenden Infrastruktur als einen Fleckerlteppich mit unzufriedenen Gegebenheiten.

Was sind zukünftige Ideen und Projekte der WKO und werden diese bereits umgesetzt?
Gerade in den Bereichen Digitalisierung, Regionalität – sowohl touristisch als auch bei den Produkten – Mobilität und Leerstandmanagement (Nachnutzung) sind Potenziale an denen gearbeitet wird. Hier braucht es Partner, so laufen Gespräche und auch Workshops mit allen betroffenen bzw. involvierten Einrichtungen von der Landwirtschaftskammer, den Gemeinden, den Tourismusverbänden bis hin zur Alm-, Forstwirt- und Jägerschaft.

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