KOMMENTAR
Leben wir in einem Spitzelstaat?

Die digitale Überwachungsindustrie macht's möglich. Doch wie weit darf Überwachung gehen? Auf der einen Seite Persönlichkeits- und Datenschutz, auf der anderen Seite Bespitzelungs- und Abhörmethoden wie bei der Stasi. Werden wir uns künftig auch in unseren Privaträumen nur noch hinter vorgehaltener Hand und flüsternd unterhalten können? "Alexa" lässt grüßen! Mikrofone und Kameras überall. Auf unserem Handy, am PC, im Auto und in vielen weiteren beruflichen und privaten Lebensbereichen. Zu spüren bekommen das derzeit Spitzenpolitiker sowie hochrangige Beamte unseres Landes. An die Öffentlichkeit gelangen Unterhaltungen, die nicht dafür bestimmt waren. Das Ibiza-Video machte den Anfang. Abseits der peinlichen, verstörenden und sittenwidrigen Inhalte stellt sich trotzdem die Frage: Darf man als Politiker, Bürgermeister, Gemeinderat, Beamter, Banker, Polizist, Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsführer, Staatsanwalt, Richter oder Journalist usw. mit niemandem mehr befreundet oder verhabert sein? Wenn das ein Kriterium wäre, dann würden für viele Funktionen und Berufe wohl kaum noch Leute zu finden sein. Ich unterstelle hiermit öffentlich, dass auch einige der Kritiker und Ankläger in ihrem Leben schon Fehlleistungen vollbracht haben dürften. Ein Glück nur, dass diese nicht filmisch, akustisch oder schriftlich dokumentiert wurden. - Es gilt wie immer die Unschuldsvermutung.
Wie sagte schon Helmut Qualtinger?: "Die Moral ist der Heiligenschein der Scheinheiligen". - „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!“ (Jesus Christus) oder „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen“, sind weitere passende Redewendungen zu diesem Thema.

Gefährliche Entwicklung

Es stelle sich jeder selbst die Frage, ob er in privaten Gesprächen oder im beruflichen Bereich nicht auch schon manchmal überreagiert und sein Herz buchstäblich auf der Zunge getragen hat. Wer von sich behauptet, das nie getan zu haben, ist in meinen Augen unglaubwürdig. Deshalb noch einmal die schon eingangs gestellte Frage: Wie weit darf Überwachung und die Speicherung privater und vertraulicher Daten gehen? Ich habe an dieser Stelle seit Langem immer wieder auf die Gefährlichkeit einer allzu lockeren Nutzung digitaler Kommunikationsmittel hingewiesen. „Jedes Schriftl is a Giftl“ wusste schon der seinerzeitige Bundeskanzler Julius Raab. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ ist ein weiteres Sprichwort, das angesichts der bedenklichen Entwicklung im vermeintlich vertraulichen Meinungsaustausch wieder in Erinnerung gerufen wird.
Wie sicher sind vertrauliche Gespräche und Mitteilungen noch, wenn das Handy auf dem Tisch liegt. Wie sicher sind Unterhaltungen in Privaträumen und Büros oder im Auto vor visuellen und akustischen Angriffen? Bei aller Aufklärungswürdigkeit der aktuellen Vorkommnisse im spitzenpolitischen Bereich gehen mir die zum Teil schon kriminellen Enthüllungsmethoden doch entschieden zu weit. Meistens sind diese ohnehin nur politisch motiviert. Bleibt die Frage, ob der dadurch erzeugte Schaden eines scheinheiligen Moralanspruchs den Nutzen für die Bürger und den Staat nicht bei Weitem übersteigt. Ich meine ja. Aber das möge jeder für sich selbst beurteilen.

Nicht für die Öffentlichkeit bestimmt

Ich selbst kenne in meinem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis und auch in meinem beruflichen Umfeld als Journalist kaum jemanden, der nicht privat oder zumindest nicht öffentlich schon Dinge gesagt hat, die er auf offener Bühne nie sagen würde. Das schließt ehrlicherweise auch mich selbst mit ein. Das ist zutiefst menschlich und je nach Situation oft auch der Emotion geschuldet. Jemanden aber nur auf seine Fehler zu reduzieren und bei jeder Gelegenheit ans Kreuz der Selbstgerechten zur nageln, ist meiner Meinung nach nicht fair. Wer in seinem Leben mehr richtig als falsch gemacht hat, darf sich schon zu den Guten zählen. Niemand ist sakrosankt. Deshalb sollte man sich auch nicht vorschnell ein Urteil über andere anmaßen. Mein Rat: Erst vor der eigenen Tür kehren! Man sieht bei selbstkritischer Betrachtung dann oft sehr schnell, wie sich die Sicht auf die Dinge verändert oder zumindest objektiviert.
Gute Beziehungen und Freundschaften zu pflegen sowie Netzwerke zu nützen, um an Informationen zu kommen, ist sowohl für politische Führungspersönlichkeiten als auch für Journalisten und Wirtschaftskapitäne lebenswichtig. Würde man darin generell Freunderlwirtschaft vermuten, würde das wohl viele in Bedrängnis bringen. Doch bis zur Grenze ist es nur ein schmaler Grat.

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