Experten-Meinung
Morgenmenschen spüren die Zeitumstellung stärker
Freilich: Es gibt derzeit wahrlich drängende Probleme als die Zeitumstellung. Vielleicht liegt es auch wirklich an der Pandemie und den anderen Krisen, dass das leidige Vor- und Zurückstellen der Uhren in Europa noch immer zweimal jährlich an der "Tagesordnung" steht. Eigentlich könnte damit nämlich schon seit Jahren Schluss sein, zumindest haben das die EU-Bürgerinnen und -Bürger bei einer Online-Umfrage 2018 kundgetan. MeinBezirk.at hat einen Experten befragt, was die Zeitumstellung mit uns Menschen macht.
STEIERMARK. Diesmal gewinnen wir in einem ersten Schritt ja wieder eine Stunde dazu, eine Stunde mehr Zeit am Sonntag, um zu schlafen, spielen, sporteln, Freunde zu treffen oder zu lesen. Spätestens gegen Abend wird uns dann aber bitter bewusst, dass mit der gewonnenen Stunde auch die Finsternis früher Einzug hält.
Eigentlich sollte es seit rund einem Jahr gar keine Zeitumstellung mehr geben, denn eine groß angelegte online-Umfrage unter den EU-Bürgerinnen und -Bürgern ergab 2018 ein deutliches Votum für die Abschaffung der zweimal jährlichen "Uhren-Rochade". Das EU-Parlament stellte daraufhin das Ende der Zeitumstellung für 2021 in Aussicht. Allein: Jedem Mitgliedsstaat blieb es seitdem wieder selbst überlassen, ob die Zeitumstellung bleibt oder nicht. Damit ist auch der europaweite Plan zur Abschaffung wieder ins Stocken geraten.
Folgen für die Gesundheit
Und seither ist es wie beim Wetter: Die Einen leiden mehr darunter, die Anderen passen sich schnell an. Aber was macht die Zeitumstellung tatsächlich mit uns? Wir haben dazu die Expertise des Psychiaters und Psychotherapeuten Michael Lehofer eingeholt, um herauszufinden, welche Auswirkungen die Zeitumstellung tatsächlich auf den menschlichen Organismus hat.
Ist die Zeitumstellung, die wie zweimal jährlich durchlaufen, aus medizinischer und soziologischer Sicht noch zeitgemäß?
Michael Lehofer: Aus medizinischer Sicht wird die Zeitumstellung inadäquat problematisiert. Der menschliche Organismus ist durchaus in der Lage sich zweimal jährlich an eine moderate Zeitumstellung anzupassen. Viele von uns reisen nach Griechenland oder nach England, und erwarten zu Recht urlaubsbedingte Erholung. In solchen Fällen fürchten wir uns auch nicht vor physiologischen Konsequenzen der Zeitumstellung. Für uns als Gesellschaft spielt die Zeitumstellung demnach kaum eine Rolle.
Merken Sie in Ihrer Praxis beziehungsweise Ihrer Tätigkeit Auswirkungen der Zeitumstellung auf die Gesundheit und Psyche der Menschen?
Freilich gibt es Menschen, die die Zeitumstellung für eine Einschränkung ihres Wohlbefindens verantwortlich machen. Wäre es nicht das, kann man davon ausgehen, dass es sonst das Wetter oder etwas anderes wäre, das schuld wäre.
Lässt sich sagen, ob Menschen, die lieber spät oder früh aufstehen leichter oder schlechter mit der Umstellung umgehen?
Grundsätzlich stellen sich Abendmenschen leichter auf Zeitzonenverschiebungen ein als Morgenmenschen. Allerdings ist gerade für diese die Zeitumstellung im Frühjahr nicht ganz leicht zu verkraften, da sie sich beim Aufstehen in der Früh schweren tun als Morgenmenschen.
In welchen Bereichen stellt sich die Zeitumstellung am ehesten als Problem dar?
Die Zeitumstellung ist sicherlich weniger das Problem der Menschen, als das der Tiere und der administrativen Logistik. Es bleibt die Frage, ob sie aus diesem Blickwinkel betrachtet sinnvoll ist. Andererseits: Die langen Sommerabende haben etwas für sich. Wenn der Tag nicht enden will vermittelt das ein genussvolles Lebensfühl. Die Genussmomente sind spezielle Einladungen mit dem Leben in Berührung zu kommen. Man sollte nicht alles nur funktional sehen.
Über Michael Lehofer:
Der Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut Michael Lehofer lebt und wirkt in Graz, wo er seit 2017 Ärztlicher Direktor des LKH Graz II und Leiter der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie 1 ist. Daneben fungiert er seit 2020 als Aufsichtsratsvorsitzender des Universalmuseums Joanneum und ist Autor zahlreicher Bücher. Gemeinsam mit Gunther Hildebrandt und Maximilian Moser hat er unter anderem das Buch "Chronobiologie und Chronomedizin: Biologische Rhythmen-Medizinische Konsequenzen" herausgebracht.
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