Nach Amoklauf in Graz
Neue Details zum Täter und Tathergang bekannt
Nach dem Amoklauf mit elf Toten und elf Verletzten am Dienstagvormittag in Graz informierten die Polizei sowie die Staatsanwaltschaft Graz am Donnerstag im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz über den aktuellen Ermittlungsstand. Der mutmaßliche Täter soll in der Gaming-Szene aktiv gewesen sein, ein detailreich dokumentierter Tatablauf wurde bei der Hausdurchsuchung sichergestellt.
GRAZ. Auch 48 Stunden nach dem Amoklauf am Grazer BORG Dreierschützengasse steht die Stadt unter Schock. Gedenkveranstaltungen finden statt, die psychologische Betreuung von Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonal sowie Betroffenen läuft auf Hochtouren. Anlässlich der Tagung des Nationalen Sicherheitsrates informierten am Donnerstag der Leiter des LKA Steiermark Michael Lohnegger und der Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Graz (StA) Arnulf Rumpold über die neuesten kriminalpolizeilichen Erkenntnisse.

- Arnulf Rumpold (l.), Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Graz, und Michael Lohnegger, Leiter des Landeskriminalamts Steiermark, informierten über den aktuellen Ermittlungsstand.
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Staatsanwaltschaft ermittelt nach möglichen Mitwissenden
Rumpold gab einen kurzen Überblick über die bisherigen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse und darüber, welche Schritte im Ermittlungsverfahren bisher gesetzt wurden. Was bisher über den Tatverdächtigen bekannt ist: dass er mit zwei legal besessenen Waffen das Schulgebäude betrat und das Feuer in mehreren Klassenzimmern eröffnete. Insgesamt forderte die Tat elf Tote – darunter neun Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren sowie eine Lehrerin und der Tatverdächtige selbst, der nach dem Amoklauf Selbstmord beging. Elf weitere Personen wurden verletzt.
Die StA Graz hat ein Verfahren wegen mehrfachen Mordes und versuchten Mordes eingeleitet. Es gilt herauszufinden, ob es etwaige Mitwissende oder Mittäter gibt. Dazu wurde noch am Dienstag um die Mittagszeit nach gerichtlicher Bewilligung eine Hausdurchsuchung am Wohnsitz des Tatverdächtigen durchgeführt. Dabei wurde eine nicht funktionsfähige Rohrbombe, Datenträger – sowie ein Abschiedsbrief vorgefunden. Die Auswertung dazu läuft. Darüber hinaus wurden sämtliche Leichname obduziert, um die Todesursache und die näheren Umstände der Taten zu beschreiben. Sachverständige aus dem Bereich der Ballistik wurden hinzugezogen, um die Tatwaffen, Projektile sowie die Kleidung der Opfer zu untersuchen.

- Ein Lichtermeer war am Dienstagabend vor dem BORG Dreierschützengasse zu sehen.
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Ego-Shooter-Spiele als „Leidenschaft“
Der Leiter des Landeskriminalamtes Steiermark, Michael Lohnegger, gab anschließend weitere Details zum Tatverdächtigen bekannt. Es handelt sich um einen 21-jährigen Österreicher, der eine berufliche Ausbildung absolvierte und mit seiner Mutter in Graz-Umgebung wohnte. Am BORG Dreierschützengasse hatte der Tatverdächtige die fünfte und sechste Klasse besucht, wobei er die sechste Klasse einmal wiederholt und die Schule vor drei Jahren abgebrochen hat. "Polizeilich ist der Tatverdächtige bisher noch nie in Erscheinung getreten", betont Lohnegger.
Laut Aussagen seines engsten Freundes sei der 21-Jährige eine extrem introvertierte Person gewesen, die nicht gewillt war, im realen Leben an Unternehmungen teilzunehmen. Vielmehr habe er sich in den virtuellen Raum zurückgezogen und sei in der Gaming-Szene aktiv gewesen. Seine große Leidenschaft: die Teilnahme an Ego-Shooter-Spielen. Bislang liegen keine Hinweise vor, dass der Täter zuvor Unmut gegenüber einer Schule oder deren Personal geäußert hätte. Das konkrete Motiv für die Tat bleibt daher weiterhin unklar.
Was über den Tathergang bekannt ist
Um 9.43 Uhr habe der Täter mit einem Rucksack, in dem er Waffen und Munition mitgeführt hatte, das BORG Dreierschützengasse über den offiziellen Eingang betreten. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich zwischen 350 und 400 Schülerinnen und Schüler im Gebäude befunden. Mit Schießbrille und Headset sowie den beiden Schusswaffen – einer Pistole der Marke Glock 19 und einer am Schaft abgesägten Bock Doppelflinte – habe der 21-Jährige um 9.57 Uhr den rund sieben Minuten andauernden Amoklauf begonnen.
Betonen wolle Lohnegger, dass der Schütze nach bisherigem Wissensstand wahllos auf Personen geschossen habe, zuerst in einer fünften Klasse im zweiten Obergeschoß und anschließend im dritten Stock, wo sich eine siebte Klasse im offiziellen Klassenzimmer einer achten Klasse befand. Hierbei habe der Amokläufer die versperrte Klassentüre aufgeschossen und dann wahllos auf darin befindliche Personen geschossen. Um 10.07 Uhr habe er sich suizidiert.
Aufgrund aktueller Erkenntnisse geht die Polizei davon aus, dass er kein persönliches Naheverhältnis zu den Schülerinnen und Schülern gehabt hat. Eine ermordete Lehrerin habe er jedoch aus seiner Zeit an der Schule gekannt.

- Innerhalb von nur 17 Minuten konnten die Einsatzkräfte die Situation unter Kontrolle bringen. Elf Personen kamen beim Amoklauf ums Leben, darunter der mutmaßliche Täter selbst.
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Tatablauf bis ins kleinste Detail geplant
Nachdem die Identität des 21-Jährigen festgestellt worden war, wurde noch am Dienstag eine Hausdurchsuchung an der Wohnadresse durchgeführt. Dabei konnten ein Abschiedsbrief und ein Abschiedsvideo sichergestellt werden. Darin entschuldigte sich der mutmaßliche Täter bei seiner Familie für die Tat. Einen unmittelbaren Anhaltspunkt für das Motiv lieferten die gefundenen Inhalte Lohnegger zufolge jedoch nicht.
Zudem wurde im Zuge der Hausdurchsuchung eine selbst gebaute Rohrbombe sichergestellt. Eine kriminaltechnische Untersuchung derselben habe ergeben, dass alle notwendigen Komponenten für eine funktionstüchtige Rohrbombe vorhanden waren. Dennoch wäre das Gerät in der vorgefundenen Bauweise „nicht einsatzfähig“ gewesen, so der Leiter des LKA Steiermark. Handschriftliche Aufzeichnungen, die ebenfalls an der Wohnadresse gefunden wurden, hätten darüber hinaus gezeigt, dass der gesamte Tatablauf bis ins kleinste Detail geplant war.
Auch in Hinblick auf die vermeintlichen Tatwaffen gab es seitens der Polizei neue Erkenntnisse: Anfang April habe der 21-Jährige eine Schrotflinte legal bei einem Waffenhändler in Graz erworben. Bei einem weiteren Waffenhändler in Graz habe er Mitte Mai zudem eine Faustfeuerwaffe erworben, für die er nach positivem psychologischem Gutachten eine Waffenbesitzkarte erhalten hatte. Ab Mitte März trainierte er insgesamt fünfmal legal mit Leihwaffen in einem Schützenverein in Graz.

- Im Rahmen einer Hausdurchsuchung wurden sowohl ein Abschiedsbrief als auch eine nicht funktionsfähige Rohrbombe sichergestellt.
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Ermittlungsgruppe wird eingerichtet
Derzeit gebe es laut Lohnegger keine Hinweise darauf, „warum die Schule Opfer dieser Handlung wurde“. So sei aus den bisherigen Ermittlungen im privaten Umfeld des 21-Jährigen nicht abzuleiten, dass er jemals Ärger oder Unmut in Richtung der Schule, Schülerinnen und Schüler oder Lehrpersonal geäußert habe.
Für die Ermittlungen zur Tat wurde eine Ermittlungsgruppe des LKA Steiermark unter der Leitung von Michael Lohnegger etabliert. Der Leiter des LKA kündigte unzählige Opfer- und Zeugenvernehmungen an, die in den kommenden Wochen und Monaten stattfinden sollen. Alle Anknüpfungspunkte des Täters sollen überprüft, alle Hinweise bearbeitet und Videos ausgewertet werden. Außerdem werde überprüft, ob der mutmaßliche Einzeltäter im Vorfeld der Tat durch derzeit Unbekannte unterstützt worden war, ergänzte Lohnegger.
Weitere Anlaufstellen:
Krisentelefon des Psychosozialen Dienstes: 05 0944 - 4444 (Mo-Fr 9-13 Uhr)






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