Experte
"Brauchen im Herbst wahrscheinlich die nächste Impfung"

Das Risiko einer Thrombose nach einer Corona-Impfung ist sehr gering, sagt Experte Johannes Schmid. "Man schätzt, dass eine Person von einer Million so eine Komplikation bekommen kann".  | Foto: Markus Spitzauer
2Bilder
  • Das Risiko einer Thrombose nach einer Corona-Impfung ist sehr gering, sagt Experte Johannes Schmid. "Man schätzt, dass eine Person von einer Million so eine Komplikation bekommen kann".
  • Foto: Markus Spitzauer
  • hochgeladen von Julia Schmidbaur

Johannes Schmid leitet das Institut für Gefäßbiologie und Thromboseforschung der MedUniWien. Im Interview mit den Regionalmedien Austria (RMA) spricht er über das Thrombose-Risiko bei einer Covid-19-Schutzimpfung, warum das häufiger Frauen betreffen könnte, und warum wir im Herbst wahrscheinlich die nächste Impfung bekommen werden müssen. 

RMA: Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat nach der Prüfung von aufgetretenen Thrombosen nach der Impfung mit AstraZeneca und nun auch Johnson &Johnson entschieden, dass der Nutzen der Impfung höher ist als die Risiken. Wie sieht es mit dem Kosten Nutzen-Risiko Ihrer Meinung nach aus?
Johannes Schmid: Ich rate jedem zur Impfung. Generell ist das Risiko, das von einer Corona-Erkrankung ausgeht, sehr viel höher als das Risiko, das von der Impfung ausgeht. Die Hirnvenenthrombosen, die nach der Impfung mit dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca beobachtet worden sind, sind eine sehr seltene Komplikation. Die Corona-Erkrankung hat ein etwa zehn mal höheres Risiko, diese Hirnvenenthrombosen zu verursachen. Diese seltene Komplikationen ist insofern aufgeklärt, als man jetzt den prinzipiellen Mechanismus kennt. Man kann therapeutisch früh genug gegensteuern, wenn dieses Problem auftritt.

Was ist eine Sinusvenenthrombose, von der man im Zusammenhang mit der Impfung in vereinzelten Fällen hört?
Das ist eine sehr seltene, thrombotische Komplikation. Man hat herausgefunden, dass diese Komplikation nur Patienten betrifft, die Antikörper gegen bestimmte Bestandteile, die auf den Blutplättchen vorhanden sind, haben. Diese Antikörper richten sich gegen die eigenen Thrombozyten. Im Kontext der Impfung kann es dazu kommen, dass diese dadurch aktiviert werden. Das Ganze ist sehr selten, weil es sich um eine Art Autoimmunerkrankung handelt. Es kommt quasi zu einer Selbstaktivierung der Blutplättchen und dadurch zu Thromben (Anm. Blutgerinnsel) im Körper, auch an unüblichen Stellen wie den Hirnvenen. Eine Folge davon ist, dass die Zahl der Blutplättchen niedriger wird, weil diese in Blutgerinnseln sozusagen verbraucht werden.

Wie kann man nach der Corona-Impfung Anzeichen für eine Thrombose erkennen?
Die Symptome treten erst nach einer gewissen Zeit nach der Impfung auf. Mediziner wissen mittlerweile, worauf sie achten müssen. Hat man nach der Impfung die ersten ein bis zwei Tage eine Reaktion, so ist das noch kein Problem. Treten fünf Tage nach der Impfung starke Kopfschmerzen auf und der Allgemeinzustand verschlechtert sich, dann ist es notwendig, sich das anzuschauen. Die Ärzte können dann herausfinden, ob eine Komplikation vorliegt und das z.B. mit hochdosiertem Immunglobulin gut behandeln.

Können Thrombosen bei allen Impfstoffen auftreten?
Es könnte sein, dass Vektorimpfstoffe wie AstraZeneca diese Komplikation etwas stärker verursachen, als die mRNA-Impfstoffe. Das ist statistisch aber noch nicht ganz klar. Es kann also im Prinzip auch bei einer Impfung mit Biontech/Pfizer oder Moderna passieren, dass man diese seltene Komplikation bekommt.

In den USA haben die Behörden die Impfung mit dem Vakzin von Johnson & Johnson nach seltenen Fällen von Blutgerinnseln vorläufig gestoppt. Alle Fälle betreffen Frauen im Alter zwischen 18 und 48. Haben Frauen ein höheres Thrombose-Risiko?
Bei dieser seltenen Hirnvenenthrombose hat man beobachtet, dass deutlich mehr Frauen betroffen sind. Die Gründe dafür kennt man noch nicht genau. Das könnte auch mit dem Hormonhaushalt zusammenhängen. Die Thromboserisiken sind zwischen Männern und Frauen nicht gleich verteilt. Frauen neigen eher zu Venenthrombosen, Männer neigen zum Beispiel eher zu arteriellen Thrombosen, wie dem Herzinfarkt. Das Risiko ist trotzdem sehr gering: Man schätzt, dass eine Person von einer Million so eine Komplikation bekommen kann. 

Verstehen sie die Verunsicherung einiger Menschen, die ihren Impftermin nach Berichten über Thrombose-Fälle abgesagt haben oder lieber auf einen anderen Impfstoff warten?
Ich kann das psychologisch nachvollziehen. Viele glauben: "Wenn ich aufpasse, dann kriege ich die Krankheit eh nicht." Aber rein statistisch stimmt das nicht. Auch wenn man aufpasst, kann man sich anstecken. Viele glauben aber, dass sie sich bewusst einem Risiko aussetzen, wenn sie zur Impfung gehen. Das ist ein bisschen wie beim Lotto. Jeder der spielt, glaubt, er wird gewinnen, auch wenn seine Chance relativ gering ist. Jetzt ist es umgekehrt. Viele glauben: "Wenn ich aufpasse, erkranke ich nicht.“ 

Das heißt, man sollte mit der Impfung nicht warten?
Wird sind in einer massiven dritten Welle, obwohl es aussieht, als hätte sich die Lage stabilisiert. Das Risiko, sich anzustecken, ist nach wie vor sehr hoch, weil die Impfrate noch relativ niedrig ist. Der Impfstoff ist limitiert, also muss man im Prinzip den nächsten Impfstoff nehmen, den man kriegen kann. Ich mache hier gerne einen Vergleich: Angenommen, man ist jetzt in einer ernsten Situation und braucht ein Rettungsauto. Dann wird man sich nicht weigern einzusteigen, weil das Auto am Weg ins Krankenhaus einen Unfall haben könnte. Die Impfung ist jetzt unser Rettungsauto. Nimmt man die Impfung nicht, geht man das Risiko ein, ernsthaft zu erkranken oder zu versterben. Natürlich gibt es ein Risiko, mit dem Rettungsauto einen Unfall zu haben, aber das ist geringer.

Haben bestimmte Corona-Impfstoffe mehr Nebenwirkungen, als andere?
Es ist mittlerweile klar, dass man bei der AstraZeneca-Impfung mehr Nebenwirkungen erwarten muss, als bei Biontech/Pfizer. Trotzdem liefert der AstraZeneca-Impfstoff einen sehr guten Schutz gegen eine ernsthafte Corona-Erkrankung. Man darf auch nicht auf Long-Covid vergessen. Menschen, die Covid überlebt haben, können sehr lange in ihrer Gesundheit eingeschränkt sein. Nach einer Erkrankung ist die Lungenfunktion unter Umständen eingeschränkt oder wird nie wieder, wie vor der Erkrankung. Die Lunge ist vernarbt. 

Zu welchen Langzeitfolgen kann es nach einer überstandener Corona-Erkrankung kommen?
Das ist noch wenig erforscht, wir haben noch keine Langzeiterfahrung mit der Krankheit. Was bisher untersucht ist, ist eine langanhaltende Einschränkung der Lungenfunktion. Man weiß, dass es im Lungengewebe spezifische Veränderungen gibt, die andauern können. Es lagert sich Kollagen in der Lunge ein. Die Lungenfunktion wird dadurch reduziert, das kann dauerhaft sein. Wie eine Art Narbengewebe in der Lunge. Man weiß noch nicht, ob das wieder heilt und welche Folgeschäden das Herz-Kreislaufsystem nimmt. Auch Blutgefäßzellen können von den Viren infiziert werden. Wir wissen noch nicht, was das langfristig bedeutet.

Betrifft das auch jüngere Menschen?
Ich kenne Fälle, wo auch sehr junge Menschen unter 30 vergangenes Jahr im März an Covid-19 erkrankt sind. Fünf Monate später hatten sie immer noch eine reduzierte Lungenfunktion von circa 60 Prozent der normalen Funktion. Die britische Mutation ist sicherlich noch infektiöser. Es gibt auch Hinweise, dass sie aggressiver sein kann. Es konnte beobachtet werden, dass das Durchschnittsalter in den Intensivstationen sinkt. Es sind nicht mehr "nur" alte Menschen, die auf der Intensivstation landen. 

Trotzdem verzichten Länder wie Dänemark dauerhaft auf den Corona-Impfstoff von AstraZeneca. In Deutschland verimpft man das Vakzin nur an Über-60-Jährige. Halten Sie eine Altersbeschränkung für sinnvoll?
Länder, die die AstraZeneca-Impfung gestoppt haben, haben aus meiner Sicht verantwortungslos agiert. Hat man genug anderen Impfstoff zur Verfügung, kann man das machen. Aber in der jetzigen Situation setzt man bei einem Impfstopp die eigene Bevölkerung dem Krankheitsrisiko aus. Wir kennen den Prozentsatz an Menschen sehr genau, die schwer an Covid-19 erkranken. Als Faustformel kann man sagen, dass etwa fünf Prozent der aktuell Corona-Erkrankten ins Krankenhaus müssen. Über die Zeit gerechnet ist die Sterberate derzeit etwa 1,3 Prozent der Infizierten. 

Wenn man in Österreich die Impfung z.B. für zwei Wochen stoppt, würde man beim derzeitigen Impftempo (etwa 50.000 Impfungen pro Tag) auf den Schutz von ca. 700.000 Personen bewusst verzichten. Bei einer Ansteckungsrate von 3000 Personen pro Tag der gesamten Bevölkerung würden sich also von den 700.000 möglichen Geimpften ca. 3300 Person infizieren, was bei der derzeitigen Sterberate ungefähr 43 Todesfälle mit sich bringen würde. 

Die Regierung spricht von der Rückkehr zur Normalität bis zum Sommer. Halten Sie das für realistisch?
Ich glaube das ist realistisch, aber es wird nicht ganz die gleiche Realität sein, wie wir das vor der Pandemie gewohnt waren. Im Sommer wird der Impfpass wahrscheinlich wichtiger sein, als der Reisepass. Für Geimpfte wird es letztlich einen Vorteil geben, in eine Art Normalität zurückzukehren.

Was wird aufgrund von Mutationen noch auf uns zu kommen?
Ich glaube, dass die Mutationen durchaus relevant sind, da man unter Umständen die Corona-Erkrankung trotz Impfung in leichter Form haben kann. Verschiedene Studien zeigen, dass die Impfung relativ gut gegen die aktuellen Mutanten wirkt und davor schützt, ins Krankenhaus zu müssen oder zu versterben. Meine Prognose ist, dass alle, die jetzt geimpft werden, im Herbst wahrscheinlich eine nächste Impfung bekommen werden müssen. Das wird eher eine mRNA-Impfung sein, weil man die Sequenz der RNA relativ einfach ändern kann. Beim mRNA-Impfstoff könnte man mit einem "Impfcocktail" gleichzeitig gegen alle Hauptmutanten impfen – gegen die britische, die brasilianische, die südafrikanische, etc. Bei den Vektorimpfstoffen kann man die Sequenz nicht so schnell ändern. Mit der mRNA-Impfung wird man schnell reagieren können, wenn andere Mutationen auftauchen. So viele Möglichkeiten hat das Virus nicht, an unsere Zellen anzudocken. Meistens sind es Mutationen im Spike-Protein, weil das Virus mit diesem Protein an die Zelle andockt. Mit den Impfungen werden wir die immer wieder in den Griff bekommen können. 

Kann man den Impfstoff unendlich lange anpassen?
Die internationale Kooperation war in der Forschung unglaublich effizient, auch bei der Medikamenten- und Impfstoffentwicklung. Das lässt mich für die Zukunft optimistisch sein. Das Virus ist kein intelligenter Organismus. Die Menschheit wird immer Wege finden, um dagegen anzukämpfen. Andere Erkrankungen, wie zum Beispiel Malaria, sind weitaus schwieriger in den Griff zu bekommen. Das ist ein viel komplexerer Krankheitserreger. Wir werden dem Coronavirus, so ähnlich wie bei der Grippe, immer wieder hinterherlaufen müssen. Die Mutationsrate des Virus ist aber gar nicht so hoch, wie etwa beim Rhinovirus (Anm. Schnupfenvirus) oder anderen Viren. Die Mutationen sind vor allem dadurch entstanden, dass so viele Menschen infiziert waren – das Virus konnte sich millionenfach und milliardenfach vermehren. Das ist auch ein Grund, warum es so wichtig ist, zu impfen und die Pandemie einzudämmen. 

Wurden Sie bereits geimpft?
Ich selbst habe die erste Impfung mit AstraZeneca vor ungefähr einem Monat erhalten. Ich würde jedem empfehlen, den nächstmöglichen Impfstoff zu nehmen. Nur so können wir diese Pandemie zum Erliegen bekommen. Es geht nicht nur um einen selbst, sondern auch darum, die Infektionsketten zu durchbrechen. Aus Daten aus Israel und England ist relativ klar, dass Geimpfte nicht effizient Viren übertragen. Man kann zwar nicht ausschließen, dass man eine milde Infektion bekommt. Die Viruslast ist aber deutlich reduziert, sodass man praktisch nicht effizient infektiös ist. Ist man geimpft, schützt man also auch die Anderen.

Mehr zum Thema:

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur COVID-19-Impfung

"Grüner Pass rund um den 24. Mai in Österreich"
Das Risiko einer Thrombose nach einer Corona-Impfung ist sehr gering, sagt Experte Johannes Schmid. "Man schätzt, dass eine Person von einer Million so eine Komplikation bekommen kann".  | Foto: Markus Spitzauer
Johannes Schmid ist Leiter des Instituts für
Gefäßbiologie und Thromboseforschung der Medizinische Universität Wien. | Foto: Johannes Schmid

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Österreich auf MeinBezirk.at

Neuigkeiten aus deinem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

MeinBezirk auf Facebook: MeinBezirk.at/Österrreichweite Nachrichten

MeinBezirk auf Instagram: @meinbezirk.at


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.