Virologe über die Folgen von zu schnellen Öffnungen
"Zweite Welle darf kein Tsunami werden"

Der Virologe Otfried Kistner vom Institut für Bioverfahrenstechnik an der Wiener Universität für Bodenkultur spricht Tacheles: "Ob eine zweite Welle verheerend ausfallen wird oder nicht, kann niemand beurteilen. Wir wissen es schlichtweg nicht." | Foto: privat
  • Der Virologe Otfried Kistner vom Institut für Bioverfahrenstechnik an der Wiener Universität für Bodenkultur spricht Tacheles: "Ob eine zweite Welle verheerend ausfallen wird oder nicht, kann niemand beurteilen. Wir wissen es schlichtweg nicht."
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Seit fünf Tagen wird Österreich wieder 'hochgefahren', schrittweise, versteht sich: Geschäfte und Dienstleistungsunternehmen wurden geöffnet,  die Konsequenz: Zahlreiche Österreicher stürmten die Einkaufszentren. Mitte Mai folgen die Schulen, die Gastronomie und Ende Mai schließlich die Hotellerie. RMA-Redakteurin Anna Richter-Trummer sprach mit dem österreichischen Virologe Otfried Kistner über die Auswirkungen und die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Corona-Infektionswelle.


ÖSTERREICH. "Nach wie vor gibt es bei den Menschen eine hohe Akzeptanz für die Beschränkungen", lobt Innenminister Karl Nehammer die Österreicher ob der Aufhebungen der Ausgangsbeschränkungen am 1. Mai. Und er warnt: "Wir sind in einer heiklen Phase des Überwindens des Virus, deshalb gilt weiterhin: Eigenverantwortung und Disziplin sind nach wie vor das Wichtigste, denn eine mögliche zweite Welle darf kein Tsunami werden", so der Innenminister: "Gemeinsam mit den Menschen in Österreich müssen wir rasch einen Weg finden, das Corona-Virus entscheidend zu bekämpfen."

"Zweite Welle darf kein Tsunami werden"

Die warnenden Worte des Innenministers scheinen in der Bevölkerung zu wirken. "Die Österreicherinnen und Österreicher sowie die Menschen, die in Österreich leben, halten die Anordnungen der Bundesregierung hervorragend ein", so der Innenminister. Dies bestätigt auch die Statistik der Anzeigen und Organstrafmandate. "Mittlerweile gibt es pro Tag in ganz Österreich nur noch Anzeigen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen im zweistelligen Bereich." Doch wie gefährlich ist eine zweite Infektionswelle tatsächlich?

"War von Auswirkungen überrascht"

Der Virologe Otfried Kistner unabhängiger Impfstoffexperte und Lehrender an der Wiener Universität für Bodenkultur spricht hierbei Tacheles: "Ob eine zweite Welle verheerend ausfallen wird oder nicht, kann niemand beurteilen. Wir wissen es schlichtweg nicht." Der Experte sieht eine besondere Gefahr im mangelnden Bewusstsein der Bevölkerung: "Es ist gerechtfertigt, zu fürchten, dass eine zweite Welle möglich ist, wenn die Menschen nun die Gefahr des Virus nicht mehr so ernst nehmen." Überrascht war der Virologe ob des Ausmaßes der Epidemie: "Das Ausmaß hat mich überrascht, nicht so sehr von der virologischen Seite als von der wirtschaftlichen und sozialen Seite. Ich meine, wir reden hier von einer ganz unbekannten Gefahr und einer Situation, mit der man noch nie konfrontiert war."

"Virus wird wiederkommen"

Ob die Gefahr einer zweiten Infektionswelle gegeben ist? Ungewiss. Nur soviel: "Wenn man nichts tut, wie bei der Influenza, dann kommen die Viren im Abstand von drei Monaten wieder, wo es mehr Menschen erwischen kann und eine dritte Welle, wo es harmloser ist", so Kistner: "Das haben wir bei den letzten vier bekannten Influenza-Pandemien seit 1918 gesehen. Für SARS Viren gilt, dass wir das so nicht sehen konnten, denn SARS ist im Juni 2003 so plötzlich verschwunden wie es im Herbst 2002 aufgetaucht ist. Wir wissen nicht warum."

"Ob Virus aggressiver wird, kann man nicht ausschließen"

Die konsequenten Ausgangsbeschränkungen, die die österreichische Regierung Mitte März gesetzt hat, hält Kistner nicht für übertrieben. "Wir haben einen Lock down gemacht, um die Ausbreitung niedriger zu halte, bei Lockerung wird sich das Virus wieder ausbreiten, das ist nur die logische Konsequenz daraus. Ob es gefährlicher wird oder nicht, hat vor allem damit zu tun, wie stark wir die Ausbreitung des Virus erlauben. Es gibt im Moment keine Hinweise, dass das Virus, wenn es wiederkommt, aggressiver wird, aber man kann es auch nicht ausschließen. Das Gefährdungsrisiko ist gleich."

Risikominimierung notwendig

Grundsätzlich sieht der Experte, dass die Regierung die richtigen Maßnahmen gesetzt hat: "Die Regierung hat richtig gehandelt. Die Öffnung macht das Virus nun wieder gefährlicher. Das Tragen von Masken, Social Distancing, keine großen Feste, das waren schon gute Maßnahmen. Bei großen Veranstaltungen, wo 10.000 Menschen auf engstem Raum sind, das würde die Ausbreitung des Virus wieder erhöhen. Doch so wie es geplant ist als koordinierte Vorgangsweise, hat man eine recht hohe Risikominimierung." Wichtig sind laut Experten die Möglichkeiten bei einer lokalen Infektion schneller zu reagieren. "Wenn man ein Problem sieht, etwa wenn Heime wieder geöffnet werden, dann müsste man die Heime leider wieder schließen, auch wenn man merkt, die großen Ansammlungen tragen zu einer Erhöhung der Infektionen bei, sind Gegenmaßnahmen nötig." Ebenso bei Einkaufscentern: "Dann  ist es besser, einen Lock-down zu machen, eine Risikoabschätzung, um die Ausbreitung zu verhindern."

Grippe- und Coronawelle im Herbst

Ob also eine zweite Infektionswelle gefährlicher wäre und unter welcher Begründung diese härter ausfallen könnte, beantwortet der Virologe so: "Wenn die Grippewelle im Herbst kommt und wir zusätzlich Corona-Infektionen haben, ist das sehr ungünstig für das Gesundheitssystem, da es schnell zu einer Überlastung kommen kann." Hier rät der Experte dringend zur Grippe-Impfung. Kistner betont jedoch erneut: "Aber wir können nicht vorhersagen, ob es eine zweite  Infektionswelle gibt."

"Im schlimmsten Fall, bis wir Impfung haben"

Wie lange müssen wir uns also noch einschränken und wann wird wieder ein Zustand wie vor dem Virus zu erwarten sein? Laut Kistner gibt es hier zwei Szenarien: "Hier müssen wir mit allem rechnen, im besten Fall geht es uns wie SARS 2002/2003, dass das Virus schnell wieder verschwindet. Im schlimmsten Fall beschäftigt es uns so lange, bis wir eine Impfung haben. Wird es sich so wie die jährliche Grippe etablieren, dann haben wir es jeden Winter." Der Experte betont: "Wir haben derzeit noch nicht die erforderlichen Ressourcen und das Wissen, um gesicherte Aussagen über zukünftige Entwicklungen zu tätigen."

Anschober: „Lassen wir uns nicht täuschen"

Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober warnt eindringlich vor einer zweiten Corona-Infektionswelle. Laut Minister wäre diese  „verheerend“ wäre „für Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft“. Die deutsche Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung: „Ich befürchte, dass viele das Virus jetzt nicht mehr so ernst nehmen und wieder mehr Kontakte treffen. Wenn das passiert, befinden wir uns bald wieder da, wo wir am Anfang standen.“

Auch die WHO warnt vor zweiten Welle

Trotz leichter Entwarnung für Teile Europas, sind die meisten Länder der Welt noch stark betroffen. Daher warnt auch die WHO (World Health Organisation) und rät, bei Lockerungsmaßnahmen zu äußerster Vorsicht geboten. 

Zweite Coronavirus-Welle noch schlimmer

Auch in den USA warnt man vor einer zweiten Infektionswelle: So schlägt etwa der Chef des Seuchenkontrollzentrums CDC Alarm: "Die USA müssen sich auf eine zweite Coronavirus-Welle im Winter einstellen, die das Land womöglich noch schlimmer treffen könnte", sagt in einemInterview mit der "Washington Post". Denn wenn diese gleichzeitig mit der jährlichen Influenza eintreffe würde sie das Spitalssystem überlasten, ein Worstcase-Szenario. „Das wäre wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schwierig“. Weiters rät der Experte zu Grippeimpfungen und dazu, weiterhin strikte soziale Distanz zu wahren.

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