Karl Nehammer
Gespräche über verpflichtenden Ausstieg aus Gasheizung laufen

Bundeskanzler Karl Nehammer im Gespräch mit Maria Jelenko-Benedikt, Chefredakteurin der RegionalMedien Austria: "Ich denke es ist einfach wichtiger, alles zu unternehmen, als nichts zu tun und daher habe ich die Reise nach Moskau lange vorbereitet. " | Foto: Markus Spitzauer
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  • Bundeskanzler Karl Nehammer im Gespräch mit Maria Jelenko-Benedikt, Chefredakteurin der RegionalMedien Austria: "Ich denke es ist einfach wichtiger, alles zu unternehmen, als nichts zu tun und daher habe ich die Reise nach Moskau lange vorbereitet. "
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Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Gespräch mit den RegionalMedien Austria über Österreichs Rolle im Krieg in der Ukraine, das Dilemma der Abhängigkeit von russischem Gas, unser Gesundheitssystem und das angeschlagene Image der ÖVP.

ÖSTERREICH. Dass Österreich aus der Abhängigkeit von russischem Gas so schnell wie möglich aussteigen will, ist klar. Für den Bundeskanzler ist dieser Ausstieg aber kurzfristig nicht vorstellbar. Warum , das erklärt er in diesem Interview. Dafür laufen auf Regierungsebene Gespräche über den verpflichtenden Umstieg von Gasheizungen auf alternative, nachhaltige Heizformen in Österreich. Würde heißen: Wohnungs- oder Hauseigentümer könnten schon bald verpflichtet werden, ihre umweltschädliche Gasheizung zugunsten einer unweltfreundlichen zu tauschen. 

RegionalMedien Austria: Ihr Moskau-Besuch hat landesweit für große Aufmerksamkeit gesorgt. Welche Rolle spielte Österreichs Neutralitätsstatus bei Ihrem Entschluss zur Reise?
Karl Nehammer: Vorab einmal zur Klarstellung: Österreich war neutral, ist neutral und wird auch weiterhin neutral bleiben. Das heißt aber nicht, dass wir keine Meinung zu einem einseitigen Angriffskrieg auf ein freies Land haben. Österreich hat von Anfang an zum ersten Mal in seiner Geschichte der 2. Republik klar Stellung bezogen. Als der Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, waren wir in der EU sofort einstimmig auf der Seite derer, die diesen Angriffskrieg nicht hinnehmen, und haben ein hartes Sanktionsregime gegen die Russische Föderation gefordert. Sogar bei dem schwierigen Thema Waffen- und Munitionslieferung gab es innerhalb der EU ein klares gemeinsames Bekenntnis, auch der zwei paktfreien Mitgliedsländer (Finnland und Schweden) und der drei neutralen Länder (Irland, Österreich und Malta) mittels konstruktiver Enthaltung.

Somit war Österreich von Beginn an sehr klar an der Seite der Ukraine. Gleichzeitig wurde von Seite der Bundesregierung immer klar definiert, dass Österreich militärisch neutral ist und das ist auch für uns oberstes Gebot – die Neutralität hatte für uns bereits in der Vergangenheit einen hohen Stellenwert und wird diesen auch in Zukunft haben. Gleichzeitig bedeutet Neutralität auch, mit einer Meinung aufzutreten und auch Handlungen setzen zu können, die mit der Neutralität vereinbar sind. Und genau das ist auch passiert. Seit dem Einmarsch bin ich in sehr intensivem Kontakt mit der ukrainischen Führung. Eine gute Beziehung zu Dennis Smichal (Ukrainischer Premierminister, Anm.) hatte ich bereits vor Ausbruch des Krieges, da wir über weitere Wirtschaftskooperationen nachgedacht haben und die Ukraine ein großes Wirtschaftsforum geplant hatte. Der Krieg hat das alles überschattet. Auch mit dem Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, stehe ich in engem Kontakt.

Es braucht neben Solidarität und Sanktionen auch sichtbare Zeichen, dass man an die Ukraine glaubt, an die politische demokratische Führung. Für uns war klar, dass wir in die Ukraine reisen, wenn es möglich ist. Für mich war aber auch klar, dass, wenn wir in der Ukraine sind und die Kriegsverbrechen im wahrsten Sinne des Wortes vergegenwärtigen, es auch sinnvoll ist, nach Moskau zu fahren und Präsident Putin damit zu konfrontieren. Und ja, der Neutralitätsstatus gehört immer dazu, er ist ein Teil unserer Politik.

Wird Österreich als Vermittler auftreten? Wenn ja, wie?
Es gibt aus meiner Sicht noch einige bedeutende Möglichkeiten mit den Istanbuler Friedensgesprächen. Daher habe ich sowohl zuvor als auch nach dem Trip nach Moskau mit Präsident Erdogan gesprochen. Ich denke es ist einfach wichtiger, alles zu unternehmen, als nichts zu tun und daher habe ich die Reise nach Moskau lange vorbereitet. Das Team hat hochprofessionell gearbeitet – die russische Seite hat sich bei ihrem Teil der organisatorischen Vereinbarungen sehr korrekt verhalten. Die Reise war höchst sensibel, da immer die Sorge da war, dass diese Reise für Propagandazwecke missbraucht werden könnte, was aber zum Glück nicht eingetreten ist. Wir haben dabei ja auch Bedingungen gestellt, wie etwa, dass es keine Fotos oder Filmaufnahmen gibt, die dann ausgeschlachtet werden hätten können. Das Entscheidende ist, dass es jetzt immer wieder die Konfrontation des russischen Präsidenten abseits des Kremls mit Vertreten aus anderen Ländern braucht , die ihm aufzeigen, was in der Ukraine wirklich passiert.

Sind aktuell weitere Friedensverhandlungen überhaupt noch vorstellbar?
Ich bin sehr pessimistisch von dem Gespräch mit Präsidenten Putin zurückgekommen, da ja zu diesem Zeitpunkt die Vorbereitungen für die Entscheidungsschlacht im Donbass auf Hochtouren liefen und beiden Seiten klar war, dass dies eine Entscheidungsschlacht sein wird. Sowohl Präsident Selenskyj als auch Präsident Putin haben den Istanbuler Prozess angesprochen und auch die Probleme, die damit im Zusammenhang stehen. Ich glaube, dass es weiterhin sehr wichtig ist, dass beide Parteien weiter miteinander im Gespräch sind, was momentan ohnehin schwierig genug ist. Das wird auch künftig ein schwieriges Unterfangen bleiben.

Sie bekennen sich klar zur Neutralität. Können Sie sich einen NATO-Beitritt Österreichs vorstellen?
Das kommt nicht in Frage, das ist auch nicht unser Wunsch! Das ist mit der Neutralität nicht vereinbar. Österreich hat eine sehr aktive Neutralitätspolitik schon in seiner Geschichte gelebt. Österreich ist auch Mitglied der UNO, der OSZE sowie der Europäischen Union. Wir können, wenn völkerrechtliche Mandate gegeben sind, von diesen drei Organisationen, auch tatsächlich solidarisch handeln und das tun wir. Über 1.000 Soldaten des österreichischen Bundesheers sind im Friedenseinsatz, was einen großen Anteil darstellt. Wir haben viele Möglichkeiten, uns aktiv einzubringen und ich denke, die Neutralität ist in vielen Bereichen oftmals ein Vorteil. Wir haben innerhalb der Europäischen Union eine Sonderstellung.

Beim Europäischen Rat im März haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, die Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle aus Russland schnellstmöglich zu beenden. Widersprechen die Gas-Importe aus Russland nicht massiv unserem Neutralitätsstatus? Schließlich finanzieren wir damit indirekt den Krieg mit...
Es ist an sich schon furchtbar, dass wir mit 80 Prozent so abhängig vom russischen Gas sind. Dieser Punkt war auch im Gespräch mit Präsident Selenskyj ein Thema. Gleichzeitig ist meine Verantwortung als Bundeskanzler, für die Energieversorgungssicherheit unseres Landes Sorge zu tragen und daher Sanktionen nur dann zu unterstützen, wenn sie diese Sicherheit nicht gefährden. Ein Embargo von russischem Gas würde dies tun. Was wir tun, ist, dass wir beginnen, uns Stück für Stück unabhängiger zu machen. Das ist bei 80 Prozent kein leichtes Unterfangen. Kurzfristig hat für uns der nächste Winter Priorität – auch mit der Überlegung der strategischen Reserve und der Einlagerung von Gas. Mittelfristig müssen wir andere Anbieter finden, um weniger abhängig zu sein. Gleichzeitig bauen wir unsere Energiesysteme auf nachhaltige Träger um. Es geht hier nicht um den politischen Willen, denn der ist vorhanden. Es ist aber ein Prozess – der Weg dorthin muss rational, nach Mengengerüsten gestaffelt und nach Möglichkeiten des Energiemarktes erfolgen.

Welche Alternativen plant Österreich? Ihr Besuch in Katar hat bislang ja keine Wirkung gezeigt.
Die Vereinigten Arabischen Emirate sind strategisch wichtige Partner der OMV an der die Republik Österreich beteiligt ist. Und Katar produziert und verschifft Flüssiggas. Die OMV hat einen Rahmenvertrag mit Katar. Ziel für uns ist, alternative Gasmengen verbindlicher zu machen. Es braucht aber immer die Verfügbarkeit des Marktes – und die Transportmöglichkeiten. Die Pipelines sind derzeit noch nicht ausreichend ausgebaut.

Österreich fiel beim letzten Klimaschutz-Index auf Platz 36 zurück. Im internationalen Vergleich gehören wir zu den „low performern“ beim Klimaschutz. Dass wir in Österreich so schlecht abschneiden, liegt vor allem an den vergleichsweise hohen Treibhausgasemissionen von mehr als neun Tonnen CO2 pro Kopf. Wäre es hinsichtlich des globalen Ziels, den CO2-Ausstoß auf 1,5 Grad Erderwärmung zu reduzieren, nicht sinnvoll, den Umstieg von Gas und Öl auf alternative Brennstoffe ab sofort schrittweise verpflichtend einzuführen und nicht mehr auf Freiwilligkeit zu setzen?
Bei Ölheizungen gibt es schon die Verpflichtung zum Tausch bei Neubau und den verpflichtenden Umstieg ab 2035, bei der Gasheizung laufen die Gespräche. Was man jedoch beim Klimaschutz immer mitdenken muss, sind die Menschen. Das heißt, ich muss sie auf diesem Weg begleiten. Ich kann ihnen nicht einfach die hohen Kosten aufbürden, sondern muss sie beim Umstieg unterstützen – das tun wir auch. Der Befund ist ernst, Österreich zählt aber auch zu den führenden Ländern innerhalb der Europäischen Union, wenn es um erneuerbare Energien geht, also Photovoltaik oder Windkraft. Es braucht einen Mix aus allem und ein Maßnahmenpaket, um Verfahren zu beschleunigen.

Wann kommt das lange geforderte Klimaschutz-Gesetz mit strengen Auflagen für die Umwelt?
Auch das ist momentan in einem Verhandlungsprozess mit den Grünen. Das muss auf die momentane Situation mit der hohen Inflation abgestimmt werden. Wir kämpfen aktuell mit sehr hohen Energiekosten, Ausfällen in den Lieferketten und bei der Produktion. Manche Industriebetriebe müssen wieder um Kurzarbeit ansuchen. All das muss im Einklang mit der österreichischen Wirtschaft und dem Standort stehen. Der Wohlstand, den die Österreicher aufgebaut haben, ist in einer sensiblen Phase angekommen – alle Maßnahmen müssen miteinander einhergehen. 

Bundeskanzler Karl Nehammer: Neutralität als oberstes Gebot | Foto: Markus Spitzauer

Experten warnen vor einer Covid-„Herbst-Welle“. Wie bereitet sich Österreich darauf vor? 
Die Vorbereitung auf den Herbst wird wichtig sein, wird aber mit Augenmaß zu erfolgen haben, weil die Experten an den Prognosen arbeiten. Auch wenn die Schutzmaßnahmen zurückgenommen werden – das Monitoring im Abwasser bleibt bestehen, ebenso der Blick auf die internationale Entwicklung in Bezug auf Varianten aus dem Ausland. Die Impfpflicht wurde bisher nicht scharfgestellt, da die kritische Infrastruktur, die Intensiv- und Normalbetten in keiner kritischen Belastungssituation waren, die eine solche Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit gerechtfertigt hätten. Der Maßstab der Schutzmaßnahmen wird ständig zu evaluieren sein. Die Vorbereitung ist also höchste Konzentration und Aufmerksamkeit. Die Maßnahmen müssen für die Österreicher nachvollziehbar sein und bleiben.

In Österreich fehlen bis zu 100.000 Pflegekräfte, wir haben einen Ärztemangel, der sich, wenn nichts geschieht, mit der Pensionswelle der 60er-Generation verschärfen wird. Welche Konzepte verfolgt Ihre Regierung konkret, um im Gesundheits- und Pflegebereich den Personalmangel zu kompensieren?
Wir verhandeln derzeit mit dem Koalitionspartner über konkrete Maßnahmen. Es gibt zwei große Themenbereiche: institutionelle Pflege und häusliche Pflege. Bei ersterer geht es darum, wie wir den Beruf der Pflegekraft so attraktiv wie möglich gestaltenBei Ersterer geht es um die Attraktivierung des Berufs: Ausbildung, Gehalt, Arbeitsbedingungen. Aber auch die häusliche Pflege muss neu überdacht werden – die Situation der Personen, die gepflegt werden, als auch die der Pflegenden. Was macht Pflege mit den Familien? Wie kann die Belastung reduziert werden? Es ist auch ein gesellschaftspolitisches Thema, bei dem wir Einzelmaßnahmen benötigen. Der Druck , dass Lösungen gefunden werden, ist sehr groß, denn das Thema ist tatsächlich dringlich.

Beim Ärztemangel muss man unterscheiden zwischen Ballungsraum und ländlichem Raum, bei Letzterem ist der Ärztemangel ein größeres Problem. Auch hier geht es um die Attraktivierung, in dem Fall um den Beruf des Landarztes – zum Beispiel mittels Förderprogrammen, oder, medizinische Kompetenzen an einem Ort zu zentrieren. Es handelt sich vor allem auch um ein Verteilungsproblem. Auch die Abwanderung ist ein Problem, dem wir uns stellen müssen.

Die Korruptionsvorwürfe samt konkreten Ermittlungen gegen ÖVP-Mitglieder, sowie Details aus der Chat-Affäre schaden der ÖVP enorm. Wären am Sontag Wahlen, würde die SPÖ laut Meinungsumfragen mit 28 Prozent klar vor der ÖVP liegen. Wie wollen Sie Ihre Wähler zurückgewinnen?
Vertrauen ist schnell verspielt und muss hart wieder erarbeitet werden – das ist unser Weg. Ich verurteile klar die veröffentlichten Aussagen in diversen Chats. Diese Aussagen wurden von Einzelpersonen getätigt wurden und stehen nicht stellvertretend für die ÖVP. Die Volkspartei ist eine große Bürgerbewegung: Wir haben 20.000 Gemeinderätinnen und -räte, über 1.500 Bürgermeisterinn und Bürgermeister, sechs Landeshauptleute und unzählige ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Diese finden diese veröffentlichten Aussagen genauso widerwärtig. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir ihre Anliegen sehr ernst nehmen und breit verwurzelt sind.

Am 14. Mai beim Bundesparteitag wird Ihnen die Vertrauensfrage gestellt. Ihr Vorgänger Sebastian Kurz hatte mit 99,4 Prozent die Latte sehr hoch gelegt. Was für ein Ergebnis erwarten Sie und in welche Richtung schwören Sie die Partei ein?
Die Erwartungshaltung ist, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Entscheidend ist, dass der Parteitag signalisiert, dass die ÖVP ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Gesellschaft ist, und dass es ein Privileg ist, Politik für Österreich zu machen. Ich komme ja selbst aus der Kommunalpolitik und habe gesehen, welch großartige Arbeit und Leidenschaft hier meist neben dem Beruf von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Gemeinderätinnen und Gemeinderäten geleistet wird. Diese Zuversicht muss weiterhin im Vordergrund stehen.

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