Ministerin Tanner
"Unser Luftraum wird jährlich 50 bis 60 Mal verletzt"

- Verteidigungsministerin Klaudia Tanner: "Wehrpflicht bringt jährlich 16.000 Rekruten."
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Verteidigungsministerin Klaudia Tanner freut sich, dass durch Österreichs Wehrpflicht jährlich 16.000 Rekruten zum Bundesheer kommen. Außerdem erklärt sie, warum die Wehrpflicht von sechs auf acht Monate verlängert werden soll.
ÖSTERREICH. Im Gespräch mit MeinBezirk erklärt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, warum Sky Shield nicht Österreichs Neutralität verletzt, was das Bundesheer an Anschaffungen vorhat, und warum die Miliz verpflichtend werden soll.
MeinBezirk: Nur 58 Prozent der Offiziersstellen sind besetzt, nur 37 Prozent der Unteroffiziersstellen. Das Miliz-System gerät laut Jahresbericht an die Grenzen: Die parlamentarische Bundesheerkommission spricht von einer "katastrophalen Personalsituation", auch, weil Betriebe Milizangehörige nicht gerne einstellen würden. Wie kann man die Situation verbessern?
Klaudia Tanner: Es wurden bereits einige Erfolge in diesem Bereich erzielt. Dennoch steht außer Frage, dass das Personalthema eine der größten Herausforderungen der Zukunft sein wird. Es wurden Maßnahmen wie freiwillige Prämien und die Initiative „Miliz wirbt Miliz“ ergriffen, die bereits erste Erfolge gezeigt haben. Ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Ländern ist die Wehrpflicht, die es ermöglicht, jährlich 16.000 junge Männer für den Dienst zu gewinnen. Zudem wurde der freiwillige Grundwehrdienst für Frauen eingeführt, wodurch der Anteil der Soldatinnen seit dem Amtsantritt des Sprechers von 3,2 Prozent auf sechs Prozent gestiegen ist.
Die Wiedereinführung verpflichteter Milizübungen** soll geprüft werden. Das könnte negative Folgen für die Wirtschaft haben, wenn junge Menschen für Übungen regelmäßig ihren Arbeitsplatz verlassen müssen. Ist das gerade in Zeiten der Rezession sinnvoll, wenn man ohnehin weiß, dass Unternehmen Milizangehörige ungern einstellen?
Um die Einsatzbereitschaft des Bundesheeres weiter zu verbessern, sieht das Regierungsprogramm die Einrichtung einer Expertengruppe vor, die alternative Modelle prüfen soll. In den letzten Jahren wurden zudem vermehrt große Übungen durchgeführt, insbesondere unter Einbeziehung der Miliz. Eine enge Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Industrie ist dabei essenziell, um praktikable Lösungen zu finden. Ein Beispiel: Wenn ein einzelner Koch während der Hauptsaison aus einem Gasthaus zum Milizdienst eingezogen wird, führt das zu Problemen. Solche Herausforderungen müssen gemeinsam mit der Wirtschaft gelöst werden.
Derzeit wird geprüft, wie verpflichtende Übungen am besten organisiert werden können – etwa ob sie in kürzere Abschnitte unterteilt werden sollten. Zudem gibt es Vorschläge, die Wehrpflicht von sechs auf acht Monate zu verlängern. Dies müsse jedoch genau analysiert werden, da diese Verlängerung bereits seit 2006 nicht mehr umgesetzt wurde.

- Klaudia Tanner: Wenn ein einzelner Koch während der Hauptsaison aus einem Gasthaus zum Milizdienst eingezogen wird, führt das zu Problemen.
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Was konkret soll die Verlängerung bringen?
Ein großer Vorteil wäre, dass mehr Milizsoldaten zur Verfügung stehen, die gut trainiert sind. Allerdings könnte sich auch nichts an der aktuellen Situation ändern, ähnlich wie in der Vergangenheit. Entscheidend ist das Einverständnis der Wirtschaft, die diesen Prozess mittragen muss. Hier zeigt sich jedoch Optimismus, da es mittlerweile regelmäßige Gespräche mit der Wirtschaft gibt und das Verständnis der Arbeitgeber wächst. Umso wichtiger ist es, geeignete Modelle zu entwickeln, die für alle Seiten praktikabel sind. Die aktuellen Zahlen sind positiv – insbesondere im Bereich der Miliz. Aber auch bei den Berufssoldaten gibt es deutliche Fortschritte. Die steigenden Absolventenzahlen an der Heeresunteroffiziersakademie und der Militärakademie in Wiener Neustadt zeigen, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht.
Rund 45 Prozent der Wehrpflichtigen absolvierten zuletzt einen Zivildienst, der aktuell drei Monate länger dauert als der Grundwehrdienst. Soll es eine Verlängerung des Zivildienstes geben, sollte der Grundwehrdienst verlängert werden?
Sollte es zu einer Änderung kommen, müsste sie entsprechend angepasst werden. Wichtig ist, dass die gefundenen Modelle in der Gesellschaft auf Verständnis stoßen. Die Landesverteidigung betrifft uns alle, doch dieses Bewusstsein ist nicht mehr so präsent – hier muss ein Umdenken stattfinden. Daher gibt es ein breites Netzwerk an Informationsoffizieren, die Schulen und Bildungseinrichtungen besuchen, um das Verständnis für die Bedeutung der Landesverteidigung zu stärken.
Sollen Zivildiener ebenso regelmäßig zu Übungen wie die Miliz zusammenkommen?
Das Verteidigungsministerium ist für den Grundwehrdienst zuständig, aber diese Frage muss insgesamt betrachtet werden. Wichtig ist, dass die verschiedenen Modelle aufeinander abgestimmt sind. Oft wird übersehen, dass sich junge Männer und Frauen bereits bei der Stellung freiwillig entscheiden, ob sie zum Bundesheer gehen oder den Zivildienst leisten. Deshalb muss man viel früher ansetzen, um Begeisterung für das Bundesheer zu wecken. Wenn die sechs Monate Grundwehrdienst gezielt für eine fundierte Ausbildung genutzt werden und aufgezeigt wird, welche Möglichkeiten es gibt, lassen sich mehr Menschen langfristig für die Miliz gewinnen.
Die EU-Kommission hat ein Weißbuch zur europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030 vorgelegt mit Lösungen, um eine starke industrielle Basis der Verteidigung aufzubauen. Bleibt es trotz des Budgetlochs bei den geplanten 1,5 Prozent des BIP für Österreichs Verteidigung?
Beide Aspekte sind wichtig: ein ausgeglichenes Budget und eine moderne, leistungsfähige Landesverteidigung. Die aktuellen Zahlen der Statistik Austria unterstreichen die Notwendigkeit, sparsam zu wirtschaften. Gleichzeitig bleibt die Finanzierung der Landesverteidigung essenziell. Es gibt keinen Grund, an der Einhaltung des im Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz festgelegten Budgets zu zweifeln. Im Regierungsprogramm ist sogar vorgesehen, dass der Verteidigungsetat bis 2032 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen soll.
Gleichzeitig gibt es immer Möglichkeiten, effizienter zu arbeiten. In der vergangenen Periode wurden im Ressort bereits Maßnahmen ergriffen, etwa durch die Zusammenlegung von Abteilungen mit ähnlichen Aufgaben oder die Reduzierung externer Vergaben. Solche Einsparungen sind wichtig, doch gleichzeitig muss angesichts der angespannten geopolitischen Lage sichergestellt werden, dass das Bundesheer verteidigungsfähig bleibt. Das Regierungsprogramm hält diese Prioritäten klar fest. Gespräche laufen bereits, um Wege zu finden, die Verwaltung effizienter zu gestalten und Einsparpotenziale sinnvoll zu nutzen.
Wohin konkret fließen die Investitionsentscheidungen, in den Bereichen Personal, Infrastruktur und Mobilität eigentlich?
Im Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz ist der Aufbauplan bis 2032 genau festgelegt, der Investitionen in mehrere zentrale Bereiche vorsieht. Die Kasernen werden modernisiert und neu gebaut, wobei bereits deutliche Fortschritte erzielt wurden. Im Bereich Mobilität werden neue Fahrzeuge und Hubschrauber beschafft, darunter eine zweite Flotte Black Hawk-Hubschrauber. Noch in diesem Jahr werden neun weitere geliefert, sodass insgesamt 36 dieser Hubschrauber zur Verfügung stehen. Zudem kehren modernisierte Kampf- und Schützenpanzer schrittweise in den Dienst zurück.
Auch das Personal wird umfassend ausgestattet. Soldatinnen und Soldaten erhalten neue Uniformen, moderne Bewaffnung und verbesserte Kommunikationsgeräte. Der Fortschritt all dieser Maßnahmen wird regelmäßig im Parlament berichtet, um Transparenz zu gewährleisten und notwendige Anpassungen vorzunehmen.
Zusätzlich bereitet sich das Bundesheer auf neue Bedrohungen vor, insbesondere auf hybride Gefahren und den Bereich Cyber Defence, um für zukünftige Herausforderungen gerüstet zu sein.

- Klaudia Tanner: Insgesamt werden 36 Black Hawk-Hubschrauber zur Verfügung stehen.
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Österreich bleibt neutral und wird auch nicht der NATO beitreten, beteuert die Bundesregierung. Man fragt sich aber wegen dieser steigenden Ausgaben für militärisches Aufrüsten, ob diese Gelder nicht ein Tropfen auf dem heißen Stein sind, denn, wenn Österreich sich verteidigen muss, wird diese neue Infrastruktur wohl nicht ausreichen. Wie stehen Sie dazu?
Österreich bleibt neutral, das ist verfassungsrechtlich festgelegt und im Regierungsprogramm verankert. Ein NATO-Beitritt ist nicht geplant. Gleichzeitig ist Österreich als EU-Mitglied ein wichtiger Partner in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die eine Beistandsklausel beinhaltet. Trotz militärischer Neutralität engagiert sich Österreich aktiv in internationalen Friedensmissionen. Hunderte Soldatinnen und Soldaten sind im Westbalkan, in Bosnien und bei der NATO-geführten KFOR-Mission stationiert. Zudem stellt Österreich das drittgrößte Kontingent bei UNIFIL im Libanon. Neutralität allein bietet keinen Schutz – sie muss mit allen verfügbaren Mitteln verteidigt werden. Daher sind Investitionen in die Landesverteidigung notwendig und werden über Parteigrenzen hinweg unterstützt.
Inwiefern widerspricht Sky Shield* nicht der Neutralität, wie die FPÖ immer betont hat?
Die Teilnahme an der Beschaffungskooperation bedeutet nicht den Beitritt zu einem Militärbündnis, sondern lediglich den gemeinsamen Einkauf von Ausrüstung, wie es bereits bei Hubschraubern und Panzern der Fall war. Die Entscheidung über den Einsatz dieser Systeme im Ernstfall bleibt vollständig in österreichischer Hand, da Österreich ein souveräner und neutraler Staat ist. Jährlich wird der österreichische Luftraum etwa 50 bis 60 Mal verletzt. In solchen Fällen steigen Eurofighter auf, und die Entscheidungen über das weitere Vorgehen werden souverän getroffen. Völkerrechtlich steht dem nichts entgegen – im Gegenteil, es ist eine staatliche Pflicht, sich gegen Bedrohungen aus der Luft, etwa durch Drohnen oder Raketen, verteidigen zu können. Die jüngsten Ereignisse, ob in der Ukraine oder im Nahen Osten, zeigen, wie wichtig diese Fähigkeit ist. Ein Beispiel dafür war die fehlgeleitete Drohne, die 2022 in Zagreb einschlug. Deshalb ist es notwendig, sich mit modernen Luftabwehrsystemen auszurüsten. Durch gemeinsame Beschaffung mit anderen Ländern kann dies schneller, effizienter und kostengünstiger erfolgen.
Bereits jetzt hat Österreich ein Radarsystem für den europäischen Luftraum, mit dem Flugziele gesehen werden können. Was ist das Neue an Sky Shield? Geht es da um eine neue Bedrohung aus Russland?
Österreich verfügt derzeit über Luftverteidigungssysteme für kurze und mittlere Reichweiten, ist aber in diesem Bereich insgesamt noch nicht ausreichend aufgestellt. Daher muss ein umfassender Schutzschirm aufgebaut werden, der auch größere Distanzen von bis zu 100 Kilometern abdeckt. Dabei kommen teilweise mobile Systeme zum Einsatz. Neue Bedrohungen wie Drohnen, Marschflugkörper und Raketen haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Deshalb muss die Luftverteidigung in mehreren Schichten organisiert werden – mit Hubschraubern, Flächenflugzeugen und darüber hinaus zusätzlichen Abwehrsystemen, die einen Schutzschirm bilden. Es gibt verschiedene Systeme, und es wird gemeinsam entschieden, welche für Österreich am besten geeignet sind.
Wie transparent und nach welchen Kriterien werden die Anschaffungen von Lenkwaffensysteme mittlerer und großer Reichweite zum Schutz vor Raketen und Drohnen bzw. auch Eurofighter vollzogen?
Es ist entscheidend, aus der Vergangenheit zu lernen und Fehler bei der Beschaffung zu vermeiden. Der Eurofighter ist zwar ein modernes Gerät, doch das damalige Beschaffungsverfahren verlief problematisch, teils laufen noch Gerichtsverfahren. Mittlerweile zeigen Beispiele wie die Hubschrauber- oder Leonardo-Beschaffung, dass es auch anders geht – transparent und direkt von Regierung zu Regierung. Ähnlich läuft es bei der Ablöse der Hercules-Transportflugzeuge in Zusammenarbeit mit den Niederlanden. Dasselbe gilt für die Luftverteidigung. Dafür wurde eine Beschaffungskommission eingerichtet, die sicherstellt, dass alle Entscheidungen geprüft und frei von Betrugsverdacht sind.
Wie schätzen Sie die Bedrohungslage in Österreich aktuell ein?
Die geopolitische Lage stellt eine wachsende Herausforderung dar, weshalb Österreich seine Verteidigungsfähigkeit stärken und in allen Bereichen nachrüsten muss. Experten haben viele Entwicklungen frühzeitig vorhergesagt – von der Pandemie bis zur wachsenden Konfrontation Russlands mit Europa. Europa, einschließlich Österreich, hat sich lange zu sehr auf andere verlassen und muss nun Versäumnisse aufholen. Daher gibt es nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch seitens der EU umfassende Nachrüstungs- und Aufrüstungsprogramme, um die Verteidigungsfähigkeit zu sichern.
Wie kann sich Österreich vor einer nuklearen Bedrohung schützen?
Das ist eine schwierige Frage, aber in der aktuellen Lage sollte es nicht darum gehen, Ängste zu schüren – etwa durch Schlagzeilen oder Forderungen nach einer stärkeren atomaren Abschreckung in Europa. Vielmehr ist jetzt Deeskalation entscheidend, um langfristig wieder zu Frieden zu gelangen. Gleichzeitig ist es natürlich notwendig, in allen Bereichen Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Eine mögliche Eskalation würde nicht nur das Verteidigungsressort betreffen, sondern uns alle.
Gewinner dieses europäischen Wettrüstens sind zweifelsfrei Waffenfirmen. Die Bedeutung von Rüstungsaktien im Zuge steigender europäischer Verteidigungsausgaben wächst. Gibt es einen Deal für eine strategische Zusammenarbeit mit der Industrie?
Aus österreichischer Sicht handelt es sich nicht um ein Wettrüsten, sondern um notwendiges Nachrüsten in vielen Bereichen. Besonders im Infrastrukturausbau der Kasernen profitieren lokale Bauunternehmen, da 90 Prozent der Investitionen in österreichische Firmen fließen. Mehr als 200 kleine und mittelständische Unternehmen sind an diesen Projekten beteiligt. Gleichzeitig ist Transparenz entscheidend – Industriekooperationen sind vorgesehen und müssen fair und nachvollziehbar gestaltet werden. Dies entspricht auch den europäischen Plänen, die solche Kooperationen gezielt fördern.
* Die Europäische Sky Shield Initiative soll bestehende Lücken im derzeitigen Schutzschirm für Europas Luftraum schließen. Bisher hatte man sich vor allem vor Bedrohungen aus dem Iran geschützt, jetzt soll das erweitert werden.
** Derzeit dauert der Grundwehrdienst sechs Monate, Milizübungen sind freiwillig. Bis zur Abschaffung der verpflichtenden Milizübungen 2006 galt das 6+2 Modell, auf mehrere Jahre verteilt mussten insgesamt zwei Monate an Übungen absolviert werden.
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