Interview mit Waltraud Haas-Wippel
Fünf Mal "L" als Anker im Alter

Hohe Verantwortung, große Selbstwirksamkeit: Diese Kombination schätzt und lebt Pflegedienstleiterin Waltraud Haas-Wippel (2.v.r.). | Foto: GGZ (Archivbild)
  • Hohe Verantwortung, große Selbstwirksamkeit: Diese Kombination schätzt und lebt Pflegedienstleiterin Waltraud Haas-Wippel (2.v.r.).
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Genau ein Jahr ist es her, dass der Pflegeberuf – neben einigen anderen Sparten – mehr als jemals zuvor in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. "Mittlerweile ist der Applaus leider verhallt", befindet Waltraud Haas-Wippel, die seit 25 Jahren den Pflegedienst der Geriatrischen Gesundheitszentren (GGZ) leitet. "Aber es war zumindest ein Bewusstwerden in der Gesellschaft darüber da, was die Pflege bewirkt." Im Gespräch mit der WOCHE schildert Haas-Wippel die Herausforderungen in den vergangenen zwölf Monaten und die Momente, die den Pflegeberuf für sie zum Traumjob machen.

Der Pflegebereich hat sich zuletzt offenkundig als Beruf mit Zukunft manifestiert. Warum haben Sie diesen Weg eingeschlagen?
Waltraud Haas-Wippel:
"Die Pflege hat so viele Gesichter. Was mir so gefällt, ist, dass das dabei der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wird. Pflege ist Beziehung und Berührung im doppelten Sinne des Wortes. Eine Tätigkeit, die eine hohe Verantwortung in sich birgt und die gleichzeitig auch viel bewirken kann. Besonders bei alten Menschen, im Langzeitbereich, da erlebt man die Selbstwirksamkeit. Das kommt an, ich bewirke etwas und ich habe das Gefühl, dass mein Beruf wirklich was bewegen kann. Corona hat nun gezeigt, dass es auch ein krisensicherer Beruf ist."

Und doch genießt der Pflegeberuf in der Gesellschaft nicht den Stellenwert, den er verdienen würde ...
Die Pflege muss sich positionieren. Es liegt auch an uns, dass wir das selbstbewusst vertreten

Fehlt es den Berufskolleginnen- und kollegen etwas an Selbstbewusstsein?
Ja, das kann man schon so sagen. Ich bin in verschiedenen Gremien vertreten, unter anderem als Sprecherin für den Langzeitpflegebereich innerhalb des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands. Es ist wichtig, dass wir uns Gehör verschaffen, aber die Lösungen müssen von uns kommen. Die Pflege muss sich artikulieren und die Politik muss uns das Ohr geben. Arbeit mit Menschen müsste besser entlohnt werden als mit toten Materie

Inwiefern ermutigen Sie Ihr Team zu mehr Selbstbewusstsein?

Ich fordere eine gewisse Eigenverantwortung ein. Selbstwirksamkeit wird nicht spürbar, wenn ich den Mitarbeitern nichts übertrage.

Die WOCHE stellt dieses Jahr unter den Schwerpunkt „Fokus Familie“ - wie erleben Sie als Frau Ihre Führungsrolle? Hatten Sie eventuell mit größeren Hürden zu kämpfen als dies Männer getan hätten?

In meiner Position habe ich keine Probleme gehabt, aber das ist sicher darin begründet, dass ich in einem traditionellen Frauenberuf bin (die Frauenquote liegt im Pflegedienst bei 80 Prozent). Generell denke ich, dass Frauen oft viel selbstkritischer sind, sich weniger zutrauen. Und sie haben einen höheren und komplexeren Anspruch an sich. In meiner Managementfunktion versuche ich, Diversität zu schaffen, in der Altersstruktur und bei den Geschlechtern.

Sie sind auch Gerontologin, Altersforscherin. Was genau ist darunter zu verstehen und warum wird dieses Gebiet immer wichtiger?
Die Wissenschaft vom Alter und vom Altern ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, bietet ein sehr breit gefächertes Spektrum an Forschungsbereichen. Kurzum: Die Menschen unterscheiden sich umso mehr, je älter sie werden. Dabei ist die Altersforschung meist von Defizitgedanken geprägt. Mir liegt am Herzen, davon abzugehen und den Weg hin zu Kompetenzen, zu den Potenzialen zu lenken. Darauf zu schauen, was das Alter noch bietet. Wie lassen sich die fünf großen "L" – 
Leben, Lieben, Lachen, Lernen und Laufen – am besten möglichst lange erhalten.

Kümmert sich unsere Gesellschaft genug um ihre "alten Mitmenschen"?
Da gibt es sicher noch Verbesserungspotenzial. Es ist eine Frage der Haltung. In erster Linie ist mehr Wissen gefragt. Wie kann ich alten Menschen in Zukunft begegnen, welche neuen alternativen Betreuungsangebote können wir anbieten. Die Babyboomer, die jetzt altern, sind sehr selbstbewusst und wollen selbstbestimmt bleiben.

Welche Optionen gäbe es da?
Ambulante und technische Unterstützung sowie alternative Wohnformen, wie Betreutes Wohnen, Generationenhäuser oder Wohngemeinschaftsmodelle mit befreundeten Paaren, die sich eine Betreuungskraft und andere Dienste selbst organisieren, wären neue Möglichkeiten.

Stichwort Corona: Was hat die Pandemie verdeutlicht?
Innerhalb unseres Hauses hat die Krise einen Zusammenhalt und ein Ineinandergreifen bewirkt, die es davor so nicht gegeben hatte. Alle Professionen haben die Pflege unterstützt, das war einmalig. Diese Empathie, dass man einander hilft, das ist sicher gestiegen.
Daneben hat die Krise den Blick aufs Wesentliche geschärft, gezeigt, was wirklich zählt – vielleicht nicht ein Urlaub, sondern Familie und Freunde. Und dass nicht alles selbstverständlich ist: Ich hatte immer ein Abo in der Oper, war regelmäßige und begeisterte Besucherin. Jetzt haben Opernbesuche sicher einen ganz anderen Stellenwert als noch vor einem Jahr.

Zur Person:

Waltraud Haas-Wippel (Jahrgang 1958) schloß die Ausbildung zur diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin 1979 ab. Nach der Geburt der Tochter arbeitete sie als erste freiberufliche Pflegerin der Steiermark. 1990 wechselte Haas-Wippel zu den GGZ, wo sie 1996 die Pflegedienstleitung übernahm.
Daneben ist sie Sachverständige, Gerontologin, Autorin sowie Lektorin an der Meduni und der Karl-Franzens-Universität Graz.

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