Ganz ohne Noten wird es nicht gehen.
Pünktlich zum Start der Semesterferien löste unser letztwöchiger Standpunkt der Woche von Josef Zollneritsch eine heftige Diskussion in der Murmetropole aus. Der Schulpsychologe des Landes Steiermark forderte ein Ende des Beurteilungswahns an unseren Schulen und die Abschaffung des „antiquierten Notensystems“.
WOCHE-Leser Markus Kerschbaumer kann mit dieser Forderung nur wenig anfangen: „Wäre Herr Zollneritsch so wie ich täglich mit der Aufgabe konfrontiert, Jugendliche zum Lernen zu motivieren, so wüsste er aus Erfahrung, dass klare und eindeutige Rückmeldungen über Leistungen hier sehr wohl eine wichtige Rolle spielen. Denn so wie Erwachsene wollen auch Kinder wissen, wo sie stehen, wollen sich mit anderen vergleichen und Erfolge erleben.“
Der Lehrer für Deutsch und Englisch am BG/BRG Kirchengasse ist aber mit Zollneritsch einer Meinung, „dass die Schulnoten hier nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Allerdings würde mit den Noten auch ein wichtiger Antrieb wegfallen. Für viele Schüler ist die Note ja auch eine Form von Motivation.“
Zwei Seiten
Wie so vieles im Leben bringt eben auch die Beurteilung mit Noten positive und negative Aspekte mit sich. Weil immer mehr Kinder von den Volksschulen in die Gymnasien drängen, sind die Noten dort oft auch eine Art Aussiebungsinstrument. „Wenn man sich ansieht, dass etwa im Bezirk Geidorf 98 Prozent der Kinder in ein Gymnasium geschickt werden, ist das auch irgendwo verständlich – die Gesamtschule ist hier ja schon längst Realität.“
Kein Beurteilungswahn
Vor allem viele junge Lehrer sind laut Kerschbaumer auch der Meinung, dass es nicht einfach reicht, einen Fünfer zu geben. „Ein differenziertes Rückmeldesystem ist für viele von uns vorstellbar und wird auch schon häufig angewendet, etwa in der Volksschule. Es kann aber andererseits auch nicht sein, dass man das Kind völlig mit dem Bade ausschüttet und von ‚Beurteilungswahn‘ spricht, denn ganz ohne Beurteilung wird es sicher nicht gehen. Das wäre so, als würde ich von meiner Terrasse das Thermometer abmontieren und davon erwarten, dass es wärmer wird ...“
Das Waldorf-Beispiel
mit verbaler Beurteilung
Dass Schule auch ohne Noten funktionieren kann, beweist die Grazer Waldorfschule. „Das heißt aber nicht, dass es bei uns keine Leistungsbeurteilung gibt“, stellt Norbert Hermann, Lehrer und Geschäftsführer der Freien Waldorfschule Graz klar. „Bei uns gibt es verbale Zeugnisse – es wird die Entwicklung des Kindes beschrieben. Das ist für das Lehrpersonal natürlich viel aufwendiger, aber eben auch viel aussagekräftiger.“ Laut Hermann sei es nämlich ein Unterschied, wenn ein Kind von einem Einser auf einen Dreier abrutscht, oder sich in einem Semester von einem Fünfer auf einen Dreier verbessert – die Note ist zwar immer die gleiche, die Tendenz aber eine völlig andere.
Nur nach der achten und zwölften Schulstufe gibt es in der Waldorfschule ein „normales“ Zeugnis mit Noten – ob die generelle Abschaffung der Noten das Allheilmittel ist, wagt Hermann nicht zu beurteilen. „Ich bin aber der Meinung, dass es Änderungen bedarf – ob man aber gleich die Noten abschaffen soll, weiß ich nicht. Die Frage ist halt, ob junge Menschen wirklich Druck brauchen? Geht es nicht viel mehr darum, dass wir ihnen helfen, eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln?“
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