Die EU-Wahl 2024
Ein Steirer wirkt als "Übersetzer" für die EU

Den Menschen EU erklären und Zustimmung suchen –diese Übersetzungsarbeit ist der Job des Grazers Richard Kühnel in der EU. | Foto: Europäische Kommission
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  • Den Menschen EU erklären und Zustimmung suchen –diese Übersetzungsarbeit ist der Job des Grazers Richard Kühnel in der EU.
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Richard Kühnel ist in Graz geboren, hat hier Rechtswissenschaften studiert. Der Diplomat war unter anderem in Tokyo und New York im Einsatz für Österreich. Aktuell verantwortet er als Direktor die Kommunikation der Europäischen Kommission in die Mit­glied­staaten der EU.

STEIERMARK. MeinBezirk.at hat den erfahrenen Europaexperten zum Interview gebeten – und mit ihm auch über seine Heimat Steiermark geplaudert. Richard Kühnel wird in dieser Woche Gast beim steirischen Pfingstdialog in Seggau sein (Infos siehe unten).

MeinBezirk.at: Sie waren in vielen Ländern auf der ganzen Welt – welche Städte und Länder haben Sie besonders beeindruckt und warum?
Richard Kühnel: Am beeindruckendsten war Japan, weil es so ganz anders ist. Es war gleichzeitig eine Reise in die Zukunft, wie etwa die Hochtechnologie-Metropole Tokio oder der Shinkansen, damals der schnellste Zug der Welt, und in die Vergangenheit, beim Eintauchen in ganz alte Traditionen. Aber ich liebe auch die Weiten Amerikas, die Gerüche Afrikas und die Geschmäcker des übrigen Asiens. Ein besonderer Kontinent ist und bleibt für mich Europa, in all seiner Schönheit und Vielfalt.

Wie oft schaffen Sie es noch, nach Österreich oder nach Graz zu kommen?
Drei- bis viermal im Jahr, und meistens doch nach Graz. Wien ist auch eine großartige Stadt, Kärnten hat die herrlichsten Seen, zum Skifahren fahre ich nach Salzburg oder Tirol. Aber zu Hause bin ich in der Steiermark, mit besonderem Hang zur Süd- und Weststeiermark. Da kann man herrlich wandern und Schwammerl suchen, und die Brettljausen und der Wein sind da am besten.

Wenn Sie an Graz denken – gibt es für Sie besondere Plätze und Erinnerungen?
Als Eggenberger das Schloss und der Plabutsch, meine Laufstrecke. Die Uni und das Uni-Viertel, aber auch das Palais Attems, wo meine Studentenverbindung zu Hause ist. Der Schloßberg mit der Stiege, dem Ausblick und den versteckten Bankerln, die Sporgasse mit ihren herrlichen Eisdielen, die kleinen Geschäfte, Lokale und Galerien in der Altstadt, und der Kastner. Als Kind habe ich mich auf Würstel mit Saft gefreut, wenn ich mit meiner Mutter dort war, heute freue ich mich auf ein Glaserl steirischen Muskatellersekt auf der Dachterrasse.

Welche Erinnerung haben Sie an die Karl-Franzens-Uni?
Ich bin froh, für das Studium in Graz geblieben zu sein, da konnte man im besten Sinn Student sein, und nicht nur studieren. Man konnte eine persönliche Beziehung zu den Professoren aufbauen, einige waren für mich prägend wie die Professoren Mantl (Verfassungsrecht und Politikwissenschaften) und Ginther (Völker- und Europarecht). Damals waren die Institute noch über die halbe Stadt verteilt und alles war segmentiert. Meine Frau, die gleichzeitig in Graz Kunstgeschichte studierte, hätte ich da nie kennengelernt. Getrennte Welten. Es brauchte ein Auslandsstudium in Florenz, um sie zu treffen.

Das ist tägliche Dienstort für Richard Kühnel: Das Berlaymont-Gebäude, Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel. | Foto: Zheng Huansong Xinhua/ Eyevine/picturedesk.com
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„Generaldirektion für Kommunikation“ – was darf man sich unter Ihrer Tätigkeit konkret vorstellen?
Die Europäische Union macht Politik in wichtigen Fragen, etwa um den europäischen Binnenmarkt und unsere Wirtschaft zu stärken. Oder den grünen und den digitalen Wandel zu gestalten, und auf der globalen Bühne, auf der es leider heftig zugeht, europäische Werte und Interessen zu verteidigen. Die letzten Jahre haben gezeigt: Wenn’s darauf ankommt, ist Europa mit Lösungen zur Stelle – siehe Pandemie oder Energiekrise. Es reicht aber nicht, durchschlagkräftige Politik zu machen. Du musst sie auch den Menschen erklären und Zustimmung suchen. Diese Übersetzungsarbeit unserer oft komplizierten Politik in verständliche Worte und Bilder, das ist unser Job. Oft braucht es Beispiele und Geschichten, die zeigen, was es für den Bürger bedeutet. Zum Beispiel, dass die Koralmbahn von der EU massiv gefördert wird. Ich freue mich schon auf den schnellen Sprung von Graz zum Wörthersee – und dann in selbigen hinein!

Wie haben sich die Formen der Kommunikation in den vergangenen Jahren verändert?
Auf den ersten Blick massiv. Die Medienlandschaft ändert sich rasant, mit dem Aufstieg der sozialen Medien und von Videos als immens schnellen und kurzweiligen News-Lieferanten, aber leider oft auch als Plattformen für Desinformation und alternative Wahrheiten. Das nimmt gerade vor Wahlen gefährlich zu! Außerdem steigt das Phänomen der News-Verweigerung, das heißt: Einige Mitbürger wollen überhaupt nicht mehr mit Neuigkeiten konfrontiert werden. Es ist schwerer geworden, Zusammenhänge und Motive hinter Entscheidungen zu erklären. Aber zwei Dinge bleiben konstant: Die höchste Glaubwürdigkeit haben weiterhin TV und Radio, gefolgt von Printmedien. Und: am meisten interessieren sich Leute immer noch für Lokalnachrichten. Ich bin daher froh, mit Ihnen das Interview zu machen!

In Ihre Agenden fällt auch der Bereich „Bürgerdialog“. Welche Maßnahmen werden in diesem Bereich gesetzt?
Das ist ein anderer wichtiger Trend: Es genügt heute in der Politik nicht mehr, Bürger alle vier oder fünf Jahre zur Wahlurne zu bitten. Wahlen sind und bleiben das Hochamt der Demokratie, und die Europawahlen am 9. Juni sind die wichtigste Richtungsentscheidung für Europas Weg in die Zukunft. Aber zwischen den Wahlen wollen Menschen auch mitreden, gefragt werden, und ihre Erfahrung in Fragen des richtigen Lebens einbringen. Die Europäische Kommission hat die Instrumente der Bürgerpartizipation in den vergangenen Jahren ausgebaut und ist heute ein Vorreiter, worauf ich stolz bin. Wir haben eben ein Bürgerforum zum Thema Energieeffizienz abgeschlossen und gerade biegt ein anderes zur Frage, wie wir dem zunehmenden Hass in unseren Gesellschaften besser begegnen können, in die Zielgerade. Bürger aus ganz Europa nehmen daran teil, aber auch jeder andere kann sich über unsere mehrsprachige Website zu beiden Themen noch einbringen!

Die Ziele der EU in die Mitgliedsstaaten kommunizieren – das ist der Auftrag von Richard Kühnel. | Foto: Land Salzburg/Melanie Hutter
  • Die Ziele der EU in die Mitgliedsstaaten kommunizieren – das ist der Auftrag von Richard Kühnel.
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In den Mitgliedsstaaten ist man immer schnell mit Kritik bei der Hand. Aber was bringt uns diese Europäische Gemeinschaft eigentlich?
Niemand ist über Kritik erhaben, und auch die EU ist sicher nicht perfekt. Aber gerade in diesen Tagen, angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, des Kriegs im Gazastreifen und sich immer mehr zuspitzender Krisen in vielen Teilen der Welt, zeigt sich, wie sehr das integrierte Europa ein Hafen der Stabilität ist. Durch die Schaffung dieser Gemeinschaft vor über sieben Jahrzehnten hat die EU in ihrem inneren Gefüge Krieg unmöglich gemacht und Chancen und Wohlstand geschaffen. Dieser innere Frieden ist ein Privileg, um das uns Menschen in der ganzen Welt beneiden. Wir dürfen uns damit jedoch in kein Schneckenhaus verkriechen, sondern müssen unsere Stabilität exportieren. Ansonsten werden wir Instabilität importieren. Die EU ist heute gefordert, der globalen Ordnung wieder Geltung zu verschaffen und mit den gewaltigen Veränderungen, die der Klimawandel und die Digitalisierung mit sich bringen, in einem Miteinander, und nicht einem Gegeneinander umzugehen.

Was können Regionen, was kann die Steiermark, in die EU einbringen?
Als ich EU-Vertreter in Deutschland war, habe ich gerne Baden-Württemberg als europäische Forschungshochburg gepriesen. Das kam gut an. Dann habe ich aber bisweilen nachgefragt, welche europäische Region eine noch höhere Forschungsquote aufweisen könne. Da kam dann meist die Lombardei oder die Region Paris. Aber die Wahrheit heißt natürlich: die Steiermark. Das dann fallen zu lassen, hat mir innerlich viel Freude bereitet. Die Steiermark hat guten Grund zuversichtlich zu sein, aber sicher nicht die Füße hochzulagern. Mit der bewährten Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ihren Erfolgsclustern, ihren innovativen Klein- und Mittelbetrieben ist die Steiermark gut aufgestellt. Aber der Wind ist rauer geworden, eingespielte Erfolgsmodelle sind keine Selbstläufer mehr, Rohstoff- und Energieversorgung werden strategische Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit. Regionen sind das Rückgrat der Europäischen Union, in ihnen entscheiden sich Erfolg oder Misserfolg unseres ökosozialen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Vernetzung, Innovation und Ausbildung sind zentrale Bausteine künftigen Erfolgs.

Was würde der Steiermark fehlen, wenn Österreich nicht in der EU wäre?
Teil von etwas Größerem zu sein. Teil zu sein von einer Union, in der Menschen mit unterschiedlicher Sprache, Kultur und Geschichte zusammen leben, arbeiten, sich kennen und manchmal lieben lernen, voneinander profitieren durch Kooperation, durch wirtschaftlichen Austausch, durch Arbeits- und Studienangebote. Einer Union, in der man frei reisen und mit einer Währung zahlen kann. Einer Union, die im globalen Wettbewerb der Systeme, der Ideen und der Wirtschaftsmacht Relevanz hat und die Rahmenbedingungen beeinflussen kann, zum Beispiel was Regeln für Künstliche Intelligenz betrifft. Eine Union, in der in aller Vielfalt aber die gleichen grundlegenden Werte zählen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Würde des Menschen. Der Europäischen Union würde ohne die Steiermark ihr grünes Herz fehlen. Dieses Herz braucht aber einen gesunden, agilen und starken Körper, um darin schlagen zu können.

Was kann Kommunikation in die Mitgliedsstaaten leisten, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen?
Hoffentlich sehr viel. Als Kommission unterstützen wir das Europäische Parlament in seiner Kampagne, Menschen für die Europawahlen am 9. Juni zu mobilisieren. Das Video etwa, das zeigt, wie Großeltern ihren Enkeln klarmachen, dass unser Leben in Freiheit und Demokratie alles andere als selbstverständlich ist. Das berührt jeden, der es gesehen hat. Gemeinsam wollen wir klarmachen, dass jede Stimme zählt – auch in einem sehr großen demokratischen Organismus wie der EU oder den USA kommt es oft auf wenige Stimmen an. Die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament werden den Kurs Europas in der Bewältigung der enormen Herausforderungen vor uns bestimmen. Die Europawahl ist daher eine entscheidende Richtungswahl und durch unsere Kommunikation wollen wir die Bürger ins Bild setzen, was die EU für sie geleistet hat und leisten kann, damit sie eine gut informierte Wahlentscheidung treffen können. Meine Bitte an meine Landsleute ist daher: Gehen Sie am 9. Juni zur Wahl und ermutigen Sie Ihre Familie, Freunde und Nachbarn, das auch zu tun. Und genießen Sie danach einen herrlichen, steirischen Sonntag.

Der Pfingstdialog:
Das Programm auf Schloss Seggau bei Leibnitz beginnt am Mittwoch, 15. Mai 2024 um 13.00 Uhr mit der Eröffnung und endet am Donnerstag, 16. Mai 2024 um circa 18 Uhr. 

Im Rahmen des heurigen Pfingstdialoges werden insbesondere folgende Fragen behandelt: Wie können die Regionen Europas die Zukunft gestalten? Welche Risiken gilt es zu bewältigen? Welche Hoffnungen können sich erfüllen? Welche Rolle kann die Vielfalt Europas in einer multipolaren Weltordnung spielen?

Zu den 60 Referentinnen und Referenten zählen: der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler, die frühere EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner, der Wirtschaftsjournalist Gabor Steingart, der Präsident des Forums Alpbach und Aufsichtsratsvorsitzende der Erste Stiftung Andreas Treichl, Europaministerin Karoline Edtstadler, EcoAustria-Direktorin Monika Köppl, Turyna und IHS-Direktor Holger Bonin. Auch die Wissenschaftsminister aus Österreich und Slowenien, Martin Polaschek und Igor Papič sind vor Ort.

Alle Infos gibt es hier!


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