Wohnen als Menschenrecht
Herbergssuche im 21. Jahrhundert in Graz – ein Erfahrungsbericht

Das Theaterprojekt "InterAct" hat Marias Geschichte aufgegriffen und daraus ein Stück mit politischer Botschaft gemacht. | Foto: Rappel/InterACT
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Das Thema Wohnen ist in Graz seit Jahren ein heißes Eisen. Abgesehen von der Verbauung von Grünraum, den Leerständen und den hohen Wohnungspreisen gibt es ein weiteres Problemfeld, das vielfach unbekannt ist: Sogenannte Beherbergungsbetriebe, die mit teils unlauteren und menschenunwürdigen Methoden Profit aus der Wohnungsnot schlagen. Eine betroffene Grazerin hat sieben Jahre in einem derartigen Betrieb gelebt und mit meinbezirk.at über ihre Erfahrungen gesprochen.

GRAZ. Das ist die Geschichte von Maria auf Herbergssuche. Was auf den ersten Blick Weihnachtlichkeit verspricht, ist es auf den zweiten Blick nicht wirklich. Maria (vollständiger Name der Red. bekannt) ist 46 Jahre alt und steht während sie ihre Geschichte erzählt mitten im Leben. Das war jedoch nicht immer so, vor ca. sieben Jahren war sie in einer Abwärtsspirale aus Depression, Burnout, Arbeitsverlust und einer psychisch stark belastenden Partnerschaft gefangen. "Irgendwann war die Wohnung dann nicht mehr zu bezahlen, Behördenwege konnten nicht mehr erledigt werden", erinnert sie sich.

"Durch Mundpropaganda habe ich dann den Tipp bekommen, mir ein Zimmer in einem Beherbergungsbetrieb zu suchen." Tatsächlich hatte Maria kurz darauf ein Zimmer in einem sogenannten Beherbergungsbetrieb gefunden. "Das war zu Beginn eine Erleichterung, alles andere ist halt immer an den Kautionen gescheitert. Dort waren keine Kautionen zu zahlen, das Zimmer konnte ich sofort beziehen, die erste Miete gleich übergeben."

Keine Meldung, kein Mieterschutz, lange Wartezeiten auf Reparaturen, Nasszellen für mehrere Parteien, kein Kündigungsschutz – "Ware, Wohnen, Menschenrecht" thematisiert alle diesen Probleme. | Foto: Rappel/InterACT
  • Keine Meldung, kein Mieterschutz, lange Wartezeiten auf Reparaturen, Nasszellen für mehrere Parteien, kein Kündigungsschutz – "Ware, Wohnen, Menschenrecht" thematisiert alle diesen Probleme.
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Beherbergungsbetriebe als Ausweg

Zum Hintergrund: Beherbergugsbetriebe werden privat geführt, verbergen sich teilweise in unscheinbaren Zinshäusern und sind zum Teil in schlechtem, sogar desolatem Zustand. Aufgrund fehlender rechtlicher Regeln (kein Mietvertrag, jederzeitige Gefahr der Kündigung, Hürden bei der Meldung, Verbot von Besuchen und Zusammenschluss) sind die Bewohnerinnen und Bewohner mancher Betriebe der Willkür der Vermieterinnen und Vermieter ausgesetzt. Wie viele derartiger Beherbergungsbetriebe es in Graz gibt, ist unklar: Auch im Büro der – auch für Wohnfragen zuständigen – Bürgermeisterin Elke Kahr war keine genaue Zahl zu erfahren. Tatsache ist, dass die meisten in einem rechtlichen Graubereich agieren.

Im Fall von Maria war dieser Bereich tatsächlich sehr grau: "Das Dach war undicht, bei jedem Regen tropfte das Wasser von der Decke, nötige Reparaturen wurden nicht oder nur nach langem Drängen durchgeführt. 40 Bewohner haben sich eine Dusche geteilt. Das Waschbecken im Zimmer war die meiste Zeit verstopft. Von Kakerlaken und anderem Ungeziefer ganz zu schweigen." 220 Euro pro Monat hat Maria für die rund 10 m2 im Sommer und 280 Euro im Winter bezahlt. "Zimmernachbarn wurden von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt, wenn dem Vermieter etwas nicht mehr gepasst hat."

Ware, Wohnen, Menschenrecht

Die Theater- und Kulturinitiative "InterACT" hat Marias Geschichte in einem partizipativen, legislativen Theaterprozess verarbeitet. Wie kann es zukünftig in Graz leistbaren, menschenwürdigen und bedürfnisgerechten Wohnraum für alle geben? Wie können Zugänge zum Grundrecht auf Wohnen geschaffen und erleichtert werden? Was kann die Grazer Politik dazu beitragen?

Diesen Fragen wird in dem Stück "Ware, Wohnen, Menschenrecht" nachgegangen. "Wir arbeiten sehr oft mit Menschen, die ihre eigenen Erfahrungen einbringen und so das Thema, für das wir sensibilisieren wollen, noch authentischer präsentieren können", schildert "InterACT"-Projektleiter Michael Wrentschur.

Marias Erfahrungen in szenischer Aufbereitung sind ein Teil des Sensibilisierungsprozesses. "Im Frühjahr hat eine Dialogveranstaltung mit Vertretern der Grazer Stadtpolitik und Experten stattgefunden. Dabei wurden jene Vorschläge und Empfehlungen, die in den Verantwortungsbereich der Stadt Graz fallen, präsentiert und mit Szenen aus dem Forumtheater-Stück "Ware, Wohnen, Menschenrechte" veranschaulicht", berichtet Wrentschur.

Letztlich ist daraus ein Projektbericht entstanden, der als Diskussionsgrundlage mit der Politik dienen sollte. Vor dem Hintergrund der neuen Stadtregierung haben sich die Vorzeichen nun geändert. "Wir haben mit der Bürgermeisterin bereits Kontakt aufgenommen", hofft Wrentschur, dass mehr Bewegung in die Sache kommt.

Gibt es deiner Ansicht nach in Graz genügend Unterstützung bei Wohnungsnot?

Keine Chance am Wohnungsmarkt

Wohnen wieder als Grundbedürfnis und Menschenrecht und nicht als Luxusthema, ist auch Andrea Knafl, bei Jugend am Werk für die Unterstützung bei der Wohnungssuche verantwortlich, ein Anliegen. Schätzungen zufolge seien in Graz rund 300 Menschen darauf angewiesen, auf Angebote wie die Berherbergungsbetriebe zurückzugreifen. "Das sind psychisch labile Menschen, ohne fixes Einkommen, oftmals mit einer Suchtproblematik, die sonst keine Chance haben, am Wohnungsmarkt unterzukommen", schildert Knafl, die betont, dass nicht alle schwarze Schafe seien, aber "selbst wir im Sozialbereich haben wenig Einblick, was in diesen Grauzonen passiert."

Ähnlich sieht es Iris Eder, Leiterin der Caritas-Wohnungssicherung: "Grundsätzlich ist es so, dass Beherbergungsbetriebe nicht grundsätzlich schlecht sind. Sie bieten für eine bestimmte Zielgruppe eine schnelle Wohnversorgung mit einem überschaubar notwendigen Eigenkapital." Natürlich gäbe es auch welche, die zu schlechten Bedingungen vermieten. Die Räumlichkeiten sind schlecht instandgehalten, haben keine eigene Nasszelle und die Abrechnungen der Betriebskosten sind nicht nachvollziehbar. "Unsere Erfahrung zeigt aber auch, dass der Wohnungsmarkt für manche unserer Zielgruppen nicht nutzbar ist. Vielmehr bräuchte es leistbaren Wohnraum mit geringen Zugangsbarrieren", resümiert Eder und untermauert damit die Forderungen von Jugend am Werk und "InterACT".

Maria hat wie gesagt inzwischen den Ausweg gefunden, sie lebt heute in einer kleinen Wohnung und hat gerade eine wichtige Prüfung für eine berufliche Neuorientierung abgeschlossen – also doch ein Hauch von Weihnachten.

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