Wenn Freunde fremdgehen: Darf man sich in die Beziehung anderer einmischen?

Er betrügt sie und man ist mit beiden befreundet – was soll man tun? Der Psychologe Philip Streit hat ein paar Ratschläge | Foto: Bilderbox.com
  • Er betrügt sie und man ist mit beiden befreundet – was soll man tun? Der Psychologe Philip Streit hat ein paar Ratschläge
  • Foto: Bilderbox.com
  • hochgeladen von Elisabeth Pötler

Freunde stehen sich mit Rat und Tat zur Seite und sind ehrlich miteinander – so soll es grundsätzlich sein. Wenn man mit einem Pärchen befreundet ist, kann das mitunter herausfordernd sein. Darf man sich hier bei Beziehungsproblemen einmischen? Ein heikles Beispiel: Er betrügt sie. Soll man es ihr sagen? Oder soll man ihn zur Rede stellen?

"Einmischen? Lieber nicht …"

Eine verbreitete Meinung ist: „Bloß nicht einmischen! Finger weg davon?“ Warum aber denken viele Menschen so? Dafür gibt es zwei Gründe:
1. Die Privatsphäre
Eine wichtige Rolle spielt der Stellenwert, den unsere Gesellschaft der Privatsphäre bei-
misst. Da heißt es oft: Das Private ist heilig. Jeder trifft in diesem Rahmen seine Entscheidungen, die niemand anderen etwas angehen.
Doch diese Einstellung bringt auch Schattenseiten mit sich: In Familien gibt es mitunter Gewalt, Missbrauch oder Abhängigkeiten, die so verborgen bleiben.
In der Kindererziehung hat sich mittlerweile aber durchgesetzt, dass derartige Vorfälle keine Privatsache sind. Nämlich dann, wenn Gewalt, massive Abwertung und drohende Schädigung im Spiel sind. Dort ist klar, dass man eingreifen muss, weil Kinder Schutz brauchen.
Hier gilt das Konzept der „Wachsamen Sorge“: Das bedeutet, achtsam zu sein, um das Wohl des anderen zu sichern.
2. Die Scham
Oft wird ein Eingreifen in die Beziehungen anderer als beschämend erlebt. Derartige Schamerfahrungen müssen aber nicht beziehungszerstörend wirken. Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Moderne Therapien kennen den Begriff der „Reparativen Scham“ im wohlwollenden Rahmen. Oft werden Beziehungen gerade durch Scham-erlebnisse gefestigt.

Soziale Verantwortung

Soll man sich nun im eingangs erwähnten Fall des Fremdgehens einmischen? Worauf es hierbei ankommt, ist weniger ein unerlaubtes Einmischen, als ein verantwortungsbewusstes Aufzeigen in wachsamer Sorge und das couragierte Wahrnehmen von sozialer Verantwortung.
Dafür braucht es aber Selbstbeherrschung und Selbststeuerung. Sich im Affekt einzumischen, um dem anderen eines hinter die Löffel zu geben ist mehr als kontraproduktiv. Das kann zur Eskalation führen und auch Beziehungen zerstören.
Wie sollen Sie nun handeln, wenn Sie vom Fremdgehen im Freundeskreis hören?

8 Tipps: Das können Sie tun

1.) Halten Sie sich zurück und beherrschen Sie sich selbst. Erliegen Sie nicht der Versuchung des Beziehungstratsches.
2.) Suchen Sie das Gespräch mit jemand Außenstehendem, mit dem Sie sich beraten und reflektieren können.
3.) Schätzen Sie die Situation ein. Fragen Sie sich vor allem: Ist ein Eingreifen weiterführend und stützend oder bringt das nur weitere Verwirrung?
4.) Wenn Sie eingreifen, fragen Sie respektvoll nach. Setzen Sie auf Wertschätzung statt auf Konfrontation. Sprechen Sie als erstes mit den möglichen Verursachern der Problematik.
5.) Achten Sie auf die Art der Botschaft. Sie wollen niemanden entwerten, erniedrigen oder bloßstellen.
6.) Sagen Sie klar Ihre Meinung, werden Sie aber nicht untergriffig. Versuchen Sie nie, jemanden zu einer Handlung zu nötigen. Sie können nur Angebote machen und nicht bestimmen, was der andere tut.
7.) Solch klare und wertschätzende Kommunikation kann viel Stress nehmen und Anstoß zu einer neuen konstruktiven Entwicklung sein.
8.) Wenn Sie unsicher sind, ob es sinnvoll ist etwas zu tun, tun Sie nichts. Die Macht des Schweigens und wohlwollender Beistand können auch hilfreich sein.

DER EXPERTE

Dr. Philip Streit
ist Psychologe, Psychotherapeut und Lebens- und Sozialberater.
Seit 20 Jahren leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz, das größte Familientherapiezentrum der Steiermark.
Kontakt: Tel. 0316/77 43 44, www.ikjf.at

Im Jänner hat er das „M24“, das Begegnungs- und Therapiezentrum des Institutes in der Moserhofgasse eröffnet.

Jede Woche beantwortet er in der „WOCHE“ eine Frage aus dem Themenfeld Erziehung und Beziehung.
Ihre Anregungen können Sie an die Redaktion schicken:
elisabeth.poetler@woche.at

Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk.at auf Facebook verfolgen
Die Woche als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.