Interview Diätologin
Wissen über gesundes Essverhalten geht verloren

Selbst Kochen führt bereits zu einer ersten Art der „Sättigung“ und Zufriedenheit. | Foto: Leitner
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  • Selbst Kochen führt bereits zu einer ersten Art der „Sättigung“ und Zufriedenheit.
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Egal in welcher Lebenssituation man sich befindet: Das Thema Essen ist allgegenwärtig. Allerdings ist das Fasten oder eine Diät nicht die optimale Lösung für einen gesunden Lebensstil.

MURTAL. Das Thema Essen ist unser ständiger Begleiter. Vor allem in der Fastenzeit machen sich viele über die Ernährung Gedanken. Es muss aber nicht immer ein kompletter Verzicht sein. Bewusstes Essen kann schon einiges verändern. Meinbezirk.at hat mit der Diätologin Marianne Leitner aus Neumarkt über dieses Thema gesprochen. Ihrer Erfahrung nach gibt es keine gute Entwicklung hinsichtliche eines "gesunden" Essverhaltens in unserer Gesellschaft.

"Die Zeit für bewusstes Essen fehlt, Diäten und das Folgen unterschiedlicher Ernährungstrends steht leider bei vielen an der Tagesordnung. Damit geht das Gespür für die eigenen Ernährungsbedürfnisse verloren und dies wirkt sich vielfach auch auf unsere Kinder negativ aus."
Marianne Leitner, Diätologin aus Leidenschaft

Bewusstes Essen

MeinBezirk.at: Auf was sollte man beim Essen achten? 
Marianne Leitner: Einerseits ist eine günstige Auswahl wichtig, andererseits sollte man bewusst essen. Das heißt, Essen sollte wieder mehr nach körperlichen Bedürfnissen erfolgen und nicht nach Ernährungstrends. Der Aufbau und die Funktionsweise unseres Körpers geben den Weg vor was, wann und wie viel unser Körper benötigt. Wir verlassen uns bei der Auswahl und bei den Mengen jedoch leider meist nicht mehr auf unsere inneren Signale, sondern lassen uns von äußeren Einflussfaktoren wie Diättrends, vorgegebenen Packungs- und Portionsgrößen, vorgegebener Mittagspause usw. leiten.

Essen wir nebenbei und sehr unbewusst kommt zwar Essen im Körper an, die Informationen dringen jedoch nicht zu den dafür wichtigen Hirnarealen vor. Das heißt, es kommt zu einer Fehlkommunikation. Das Gehirn sendet keine Sättigungssignale aus. Die Folgen merken wir meist erst später in körperlichem Unwohlsein oder längerfristig mit einem veränderten Körpergewicht.

Was passiert mit dem Körper, wenn man bewusster isst? 
Beginnen wir wieder vermehrt Körpersignale bewusst zu spüren oder zu hinterfragen, können damit Beschwerden, Erkrankungen, Unverträglichkeiten in ihrer Ausprägung positiv beeinflusst werden oder gar verschwinden. Durch die veränderte Wahrnehmung verändert sich der Köper innerlich und äußerlich, als Nebeneffekt pendelt sich auch das Körpergewicht in einem „gesunden“ Bereich ein ohne große Mühen.

Welche Tipps gibt es für einen bewussten Ernährungsstil? 
Unser Verdauungstrakt besteht aus einem großen Nervengeflecht. Eine vielseitige und bunte Auswahl sind für unseren Körper und den Darm als zentrale Schaltstelle im Körper wesentlich. Außerdem ist bewusstes Essen von Vorteil, damit wird der Verdauungstrakt besser (mit Blut) versorgt und kann seine Arbeit gut verrichten. Nachfolgende Systeme wie Immunsystem, körperliches Befinden, Hunger und Sättigungssignale, Körpergewicht und Psyche werden damit positiv beeinflusst.

  • Bewusst Zeit für das Essen und für die Zubereitung einplanen.
  • Beim Essen hinsetzen.
  • Keine Ablenkungen wie Fernsehen, Zeitung, Handy, Radio usw.
  • Bewusste Pausen zwischen den Mahlzeiten ca. vier Stunden und ausreichend essen.
  • Nahrungsenergie an den Tagesrhythmus anpassen. In aktiven Phasen (Arbeit oder Schule) ausreichend essen.
  • Ein Frühstück bietet eine gute Basis, um mit ausreichend Energie in den Tag zu starten.
  • Von allen Bausteinen etwas: Kohlenhydrate (vollwertige Getreideprodukte oder Kartoffeln), Eiweiß (Hülsenfrüchte, Linsen, Fleisch, Fisch, Eier oder Milchprodukte) und eine Portion frisches Gemüse sowie Obst.
  • Bei jeder Mahlzeit sollte der bunte Anteil (Gemüse, Salat, Obst) die Hauptrolle spielen.
  • Saisonale Produkte verwenden, sie enthalten am meisten Nährstoffe.
  • Keine Fertigprodukte bzw. nur gering verarbeitet Fertigprodukte verwenden.
  • Bei bestehenden Beschwerden lohnt es sich, mit einem Ernährungsgespräch der Ursache auf den Grund zu gehen.
Neben der Energiemenge sind auch Zeitpunkt der Nahrungszufuhr, Art und Zusammensetzung der Nahrung, bewusste Zubereitung und die wahrgenommenen Sinneseindrücke wichtig. | Foto: Leitner
  • Neben der Energiemenge sind auch Zeitpunkt der Nahrungszufuhr, Art und Zusammensetzung der Nahrung, bewusste Zubereitung und die wahrgenommenen Sinneseindrücke wichtig.
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Viele greifen wegen Zeitmangels zu Fertiggerichten. Was halten Sie davon?
Was die Versorgung unseres Körpers betrifft keine gute Wahl. Je stärker verarbeitet, desto ungünstiger. In hoch verarbeiteten Fertigprodukten stecken meist nicht mehr viele Nährstoffe drinnen, jedoch umso mehr Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker, Aromastoffe, ungünstige Fette, viel Zucker und Salz. Diese bringen uns kurzfristig eine Zeitersparnis, da wir schnell eine Mahlzeit zubereitet haben, die nachfolgenden Reaktionen des Körpers sind meist jedoch nicht förderlich.

Gegen gering verarbeitete „Fertigprodukte“ mit weniger als fünf Zutaten gibt es nichts einzuwenden. Tiefkühlgemüse oder Tomatensoße können zum Beispiel die Zubereitung und den Zeitaufwand in der Küche erleichtern und damit eine gesunde Ernährung unterstützen. Fertigprodukte kann man auch mit frischem Gemüse mischen.

Warum wirkt sich nebenbei essen nicht günstig auf unser Sättigungsgefühl aus?
Die Mechanismen für Hunger und Sättigung in unserem Körper sind sehr komplex und wird von verschiedensten Faktoren beeinflusst, eine bestimmte Kalorienmenge zu essen allein reicht nicht aus, um sich satt zu fühlen. Neben der Energiemenge spielen auch Zeitpunkt der Nahrungszufuhr, Art und Zusammensetzung der Nahrung, sowie die bewusste Zubereitung und die dabei wahrgenommenen Sinneseindrücke für das Auslösen von Sättigungssignalen eine wesentliche Rolle. Selbst Kochen führt damit bereits zu einer ersten Art der „Sättigung“ und Zufriedenheit.

Gutes Essen ist nicht immer schlecht für den Körper. Die Ausgewogenheit macht den Unterschied. | Foto: Leitner
  • Gutes Essen ist nicht immer schlecht für den Körper. Die Ausgewogenheit macht den Unterschied.
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Wie kann man einen bewussten Ernährungsstil mit der Familie oder einem stressigen Berufsalltag kombinieren?
In einer Familie hat natürlich jeder einzelner wichtige Tätigkeiten zu erledigen. Gemeinsames Essen wird dabei heute leider oft zur Nebensache und als Stress empfunden. Unser Essen macht unseren Körper aus. Schenken wir unserem Essen keine Beachtung, schenken wir uns selbst weniger Beachtung. Dies spiegeln auch die heute bekannten „Ernährungsproblemen“ wider (Beschwerden nach dem Essen, Unverträglichkeiten, Übergewicht, Essstörungen usw.).

  • Am Wochenende bewusst Zeit für das Kochen, Vorkochen und Einkaufen einplanen und Kinder miteinbeziehen. 
  • Die gemeinsame Zubereitung nicht als Aufwand, sondern als eine lohnende Investition sehen. Für Kinder ist es wichtig, Prozesse hinter der Zubereitung kennenzulernen. 
  • Eltern haben auch eine wichtige Vorbildfunktion bei der Prägung des Essverhaltens. Mut zum Probieren von neuen, unbekannten Lebensmitteln positiv vorleben. 
  • Negative Gespräche am Esstisch und häufige Diäten in der Familie vermeiden. Dies wirkt sich negativ auf die Beziehung zum Thema Essen aus und kann das Risiko für Essstörungen begünstigen. 
  • Gemeinsame Mahlzeiten sollten als Familienzeit gesehen werden. Damit schenken wir einander Aufmerksamkeit und auch dem Körper.
Marianne Leitner ist Diätologin und Ernährungsberaterin. | Foto: Leitner
  • Marianne Leitner ist Diätologin und Ernährungsberaterin.
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Zur Person

Marianne Leitner, BSc. ist seit 2012 Diätologin und freiberufliche Ernährungsberaterin. Zusätzlich arbeitete sie bis 2018 im LKH Univ. Klinikum Graz. Zu Hause ist die Mutter in der Marktgemeinde Neumarkt.

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